Reise durch den Stillen Ozean. Max Buchner

Reise durch den Stillen Ozean - Max  Buchner


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hatten sich während der Nacht neue Schwierigkeiten hinzugesellt. Das Schiff war mitsammt seinen beiden Ankern von den Böen und der See um mehr als eine Meile zurückgetrieben und dadurch die Distanz vom Landungspier um fast ebenso viel vermehrt worden. Eines der am Hintertheil befestigten Böte hatte sich losgerissen und war spurlos verschwunden, und in einem anderen hatten die zwei Matrosen der Morgenwache, des langweiligen Bordlebens müde, das Weite gesucht.

      Doppelt intensives Fluchen und Toben des Kapitäns war die unausbleibliche Folge. Er unterlag dem Uebermass der auf ihn einstürmenden Zorngefühle und betrank sich. Er lallte schliesslich nur mehr spanisch zu mir, wenn ich ihn um etwas bat. In der Vorkajüte brüllte ohne Unterlass der Bootsmann mit seinem zerschossenen Vorderarm, im Hospital winselten die delirirenden Typhuskranken und draussen auf Deck schimpften sich die Passagiere um ihre Bündel.

      Wäre nicht die Dampfbarkasse der Kommissioners wieder erschienen, und hätten nicht diese auf meine dringenden Vorstellungen hin sich unser erbarmt und uns ins Tau genommen, wir hätten Somes Island niemals erreicht. Die wenigen Matrosen, welche dienstfähig waren, konnten die schweren Böte kaum gegen Wind und Wellen halten, viel weniger vorwärtsrudern.

      Wir kamen merkwürdiger Weise alle glücklich und ohne erheblichen Unfall auf die Insel, trotz des Wirrwarrs und des Geschreis der Frauen und Kinder, die sich fürchteten, in die auf und nieder fliegenden Fahrzeuge zu steigen, und trotz der Brandung an den Felsen des Ufers, in die gerade das Boot mit den Kranken gerieth, so dass wir Gesunde hinausspringen mussten, um es mit den Händen zu dirigiren und das Umschlagen zu verhindern. Wenn ich jetzt zurückdenke an jene Szenen der Landung auf Somes Island, an die lecken Böte, in denen zwei Mann fortwährend mit Eimern auszuschöpfen hatten, nur damit das Wasser auf einem gewissen Niveau blieb, an das Angstgeschrei der dicht zusammengedrängt zwischen Bettzeug und Kisten verpackten Kinder, Weiber und Männer, die alle mit dem Heulen des Sturmes wetteiferten, die Worte der Kommandirenden unverständlich zu machen, an die unruhig hüpfende See, welche zu beiden Seiten hineinschlug und die Menschenknäuel rastlos auf und nieder warf, hier die Böte an der Falltreppe, dort am Pier oder an den Felsen zu zerschellen drohte, so kommt es mir ganz wunderbar und kaum glaublich vor, dass wir alle mit heiler Haut der Todesgefahr entrannen.

      Der Sturm hielt noch über eine Woche an und störte wesentlich den wiedererlangten Genuss des Lebens auf fester Erde und in geräumigeren Wohnungen. Wir sollten alle Tage Proviant aus Wellington erhalten, aber einigemale kam keiner, wahrscheinlich weil es dem Lieferanten zu stark wehte, und wir mussten zu Salz- und Büchsenfleisch zurückgreifen, mit der unerfreulichen Aussicht auf eine Hungersnoth, falls die vorhandenen Vorräthe zu Ende gingen, ehe ruhigeres Wetter eintrat.

      Die Euphrosyne wurde nach etlichen Tagen durch die Kommissioners von der Quarantäne freigesprochen und ging an die Stadt, nachdem die Bettverschläge und sonstigen Einrichtungen für die Immigranten herausgerissen und auf Somes Island gebracht und das Zwischendeck und die Hospitäler mit Chlor und Schwefel geräuchert und frisch gekalkt worden waren. Wir sahen uns dann ganz allein auf der kleinen Insel, die man bequem in einer halben Stunde hätte umgehen können, wenn die Ufer nicht aus steilen Felsen bestunden. Ringsum die tosende See, die uns von der übrigen Welt trennte, uns die Verbannten, Gemiedenen, mit der gelben Flagge Gebrandmarkten. Die Ankunft des Proviantbootes, welches zuweilen auch Briefe brachte, bildete das einzige Ereigniss des täglichen Lebens, und man fühlte sich beunruhigt, wenn es nicht zur gewohnten Stunde kam.

      Ich hatte in den ersten zwei Wochen wahrlich keine Zeit, mich zu langweilen. Sie gehören zu den bewegtesten Perioden meines Lebens. Ueberall gab es zu organisiren, Unfällen, Missverständnissen, Streitigkeiten und Klagen abzuhelfen. Mister Koral der Verwalter gerieth oft in Verzweiflung beim Proviantaustheilen und rannte dann regelmässig zu mir um mich zu Hilfe zu rufen.

      Und während der ganzen Zeit wehte der widerwärtigste Sturm. Gleich am zweiten Tag deckte er uns das Küchengebäude ab und zertrümmerte den Schornstein des Heerdes und diesen selbst. Wir mussten nun im Freien kochen, und zwar unten auf den Geröllblöcken des Ufers, da oben das dürre Gras hätte Feuer fangen können. Ein anderes mal rüttelten in der Nacht die Windstösse so eindringlich an den Baracken, dass eine förmliche Panik die Bewohner der oberen Stockwerke ergriff. Sie flüchteten in die Erdgeschosse. Die Bewohner dieser, dadurch in ihrer Ruhe gestört, remonstrirten dagegen. Eine Keilerei entwickelte sich, und die ganze unwillkommene und unangekleidete Gesellschaft verfügte sich in meine Wohnung und holte mich aus dem Bett, den Streit zu schlichten. Seit jener Nacht gab es in jedem der vier grossen Gebäude zwei feindliche Etagen – eine neue Gruppirung von Gegensätzen, deren wir bereits genug besassen. Denn nicht nur die Nationalitäten und die Familien hassten einander, man hasste sich ausserdem noch häuserweise, parteienweise, individuenweise, kurz nach allen Dimensionen des Raumes, nach dem Alter, nach dem Geschlecht, die Kranken hassten die Gesunden, die Gesunden die Kranken.

      Nur in der Opposition gegen mich und meine Organe waren sie Ein Herz und Eine Seele. Ein Hauptstein des Anstosses war ein Paragraph in den Vorschriften der Quarantäne, dass die männlichen Immigranten täglich vier Stunden arbeiten sollten. Nach einem Plane, den ich von der Regierung erhielt, sollten Wege und Baumalleen auf der Insel angelegt werden, und dass die Regierung die vielen Arbeitskräfte, die sie ernährte, in höchst bescheidenem Umfang hiezu in Anspruch nahm, war gewiss eine billige und weise Massregel, abgesehen von der psychischen Nothwendigkeit einer Beschäftigung. Aber meine Leute waren durch die lange Seereise so sehr ans Faullenzen gewöhnt und demoralisirt, dass sie sich hartnäckig dagegen auflehnten. Sie behaupteten, ungerechter Weise auf der Insel zurückgehalten zu sein, man schrie Verrath. Die ganze Wuth richtete sich gegen mich, und eine Rebellion entstund, die mir für einen Tag keine geringe Verlegenheit bereitete. Ich hielt Reden an das versammelte Volk, ich versuchte es mit Güte, ich drohte. Zum Glück war man thöricht genug, meinen Versicherungen, dass ich telegraphisch Militär von Wellington requiriren würde, dessen Unterhalt den Immigranten zur Last fiele, Glauben zu schenken. Das Militär allein ohne den Geldpunkt würde sicher keinen Eindruck gemacht haben. Vor den Unkosten aber fürchteten sich alle. Die Widerspenstigen gehorchten und fingen an wenigstens zum Schein zu arbeiten. Diese Leichtgläubigkeit war meine Rettung. Denn die Drohung mit dem Telegraphen war eitel Wind gewesen. Ich besass zwar Flaggen zum Signalisiren, aber bei dem herrschenden trüben Wetter würden meine Signale von keinem Punkt des Festlandes aus bemerkt worden sein.

      Ueberall war der Tabak ausgegangen, und unsere Leute verfielen nun auf ein gräuliches Surrogat. Sie rauchten Theeblätter, indem sie dieselben trockneten, nachdem bereits Thee daraus gewonnen worden war. So sehr ich auch vom wirthschaftlichen Standpunkt aus dieser intensiveren Verwerthung eines Stoffes meinen Beifall zollen musste, so konnte ich doch nicht gestatten, dass die Wohnräume in solcher Weise verpestet wurden. Ich verbot das Rauchen im Innern der Häuser und hatte damit leider eine neue Quelle von Uebertretungen und Unannehmlichkeiten eröffnet. Auf der Euphrosyne war es viel leichter gewesen die Leute vom Rauchen im Zwischendeck abzuhalten durch das Schreckgespenst eines Schiffsbrandes. Jetzt fürchteten sie sich nicht mehr so sehr vor einer Feuersbrunst.

      Der Typhus forderte noch zwei Opfer, und diese mussten den Quarantäne-Vorschriften gemäss so bald als möglich beerdigt werden. Es war schwer, unter meinen Passagieren die nöthigen Arbeiter zur Herstellung der Gräber zu gewinnen, und wurde es dunkel, so war keiner beherzt genug, auf dem Friedhofe zu bleiben, wenn ich nicht selbst blieb und beständig zur Arbeit anhielt. Beide male traf es sich so, dass die Bestattung erst spät in der Nacht vorgenommen werden konnte.

      Die Unglücklichen, welche jene heimtückische Seuche in der Blüthe der Jahre hinwegraffte, ein junger Mann und ein junges Mädchen, hatten wohl nicht geahnt, ein wie frühes Grab und unter welch eigenthümlichen Umständen sie im Land ihrer Hoffnungen finden sollten, als sie die ferne Heimath verliessen. Nur wenige Gefährten vermochten die Schauerlichkeit der mitternächtigen Stunde zu überwinden und folgten als Leidtragende nach dem Friedhof, auf welchem bereits eine lange Reihe von Immigrantenschiffen ihre Spuren in Form schmuckloser Grabhügel hinterlassen hatte. Ringsum die schwärzeste Finsterniss, deren Wirkung das schwächliche Licht unserer Laternen nur erhöhte. Der Wind fegte über die Insel und peitschte den Regen uns ins Gesicht und an die klappernden Laternen. Tief unten brauste und dröhnte die See. So verrichteten wir schweigend das traurige Geschäft. Ein kurzes Gebet, vom Schulmeister gesprochen, dann griff Alles zu den Schaufeln und bedeckte schnell den rohen Brettersarg mit Erde.

      Auch


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