Reise durch den Stillen Ozean. Max Buchner
gebogenen und gewundenen Linien das gewaltige Thier mühelos unsere Fahrt. Andere gesellten sich ihm bei, schon von ferne erkennbar als geradlinige in der Mitte zu einem Knoten anschwellende kreuz und quer in der Luft hin und her balanzirende Stäbe. Es lag etwas Räthselhaftes in ihrer Stetigkeit und Ruhe, mit der sie gegen den scharfen Wind – nicht kämpften, sondern gelassen und ohne Anstrengung dahinglitten.
Von nun an schleppte stets eine Albatrossangel hinten nach, aber fünf Wochen ohne etwas zu fangen. Die Seeleute hatten zwar jedesmal Gründe zur Hand, warum sie nicht bissen. Einmal weil die Fahrt zu rasch, das andere mal weil zu langsam, heute war das Wasser zu durchsichtig, morgen wieder zu trübe. Ich wusste bereits, was von dieser Weisheit zu halten sei, und es war mir kein geringer Triumph, mit der Flinte einen Albatross zu erbeuten, lange ehe jene mit der Angel einen erwischten.
Als wir eines Tages hart beim Winde segelten, flogen sie zuweilen hoch oben quer über das Schiff, etliche Sekunden schweben bleibend um das Deck zu rekognosziren. Trotz der spöttischen Zweifel des Kapitäns und trotz der äusserst störenden Schaukelbewegung des Bodens lud ich eine gewöhnliche sehr starke Schrotflinte mit doppeltem Pulvermass und der gröbsten Schrotsorte, und schoss, und ein riesiger Albatross plumpste mit gebrochenem Flügel neben mich herab. Dies war übrigens nur ein reiner Zufall. Denn so oft ich auch später das Kunststück zu wiederholen versuchte, und wenn ich auch öfter noch traf, was an dem wegfliegenden Flaum zu erkennen war, die Schrote drangen nie wieder durch, sondern prallten an dem dichten Gefieder ab, und das Ziel meiner erfolglosen Bestrebung entfernte sich schwänzelnd, als ob es ein Kitzeln und Prickeln fühlte.
Mehr als zwanzig Albatrosse zu gleicher Zeit waren wohl nie in Sicht, und an manchen Tagen waren sie ganz verschwunden. Zuweilen flogen sie so nahe hinter dem Achterdeck vorbei, dass man glaubte sie greifen zu können, für einen Moment in der Verkürzungslinie der Flügel ein höchst komisches plumpes Profil zeigend und immer gierig spähenden Blicks. Zuweilen blieben sie weit zurück und verfolgten uns Tage lang nur von Ferne. Warf man ihnen ein Stück Fleisch oder Speck über Bord, so setzte sich gleich der Nächste aufs Wasser nieder und paddelte eifrig darauf zu.
Wenn sie sich setzen wollten, stemmten sie, um die Schnelligkeit ihres Fluges zu hemmen, ihre beiden Schwimmfüsse ausgebreitet dem Wasser entgegen, und oft liessen sie schon lange vorher die sonst knapp an den Schwanz gelegten Füsse herabbaumeln und verriethen so ihre Absicht. Sassen sie endlich, so wurden die langen Flügel langsam und bedächtig zusammengefaltet, wobei sie dieselben seltsam ungeschlacht krümmten. Nicht so ganz leicht schien es ihnen, wieder aufzufliegen. Sie paddelten erst mit Flügeln und Beinen spritzend eine halbe Schiffslänge über die Wasserfläche, ehe sie sich in die Luft erhoben. Und auch sonst paddelten sie zuweilen darüber hin ohne sich zu setzen, wenn sie vielleicht etwas sahen, von dem sie noch nicht recht wussten ob es sich der Mühe verlohnte.
Setzte sich einer, so kamen auch die anderen und setzten sich neugierig zu ihm nieder und leisteten ihm Gesellschaft, wahrscheinlich weniger aus gegenseitiger Zuneigung als vielmehr aus dem höchst egoistischen Instinkt, dass es beim Kameraden etwas zu fressen gebe. Dann stritten sie sich erst eine Zeit lang herum, klapperten ärgerlich und neidisch mit den langen Schnäbeln wie Störche und packten sich auch wohl damit an den Hals, um nach zehn Minuten die von den Wellen geschaukelte Versammlung aufzuheben und auseinander zu fliegen.
Unsere ewig nachschleppende Angel mit einem wallnussgrossen Stück Speck und entsprechendem Haken erregte häufig entschieden ihr lebhaftes Interesse. Aber nur bei einer Fahrt nicht schneller als vier Seemeilen die Stunde war für sie die Möglichkeit anzubeissen gegeben. Wir liessen dann die über zwei Schiffslängen messende Leine in dem Grade ablaufen als das Schiff sich von dem Köder entfernte.
Wie oft jagten uns ein paar Albatrosse in die grösste Aufregung indem sie herangeschwommen kamen und nach ihm schnappten. Aber entweder schnappten sie zu vorsichtig, oder sie pickten uns den Speck von der Angel, so dass wir den leeren Haken einzogen, oder sie waren gefasst, rissen sich aber gleich wieder los. Oder es kam vielleicht gerade im kritischen Augenblick der höchsten Erwartung ein stärkerer Windstoss, wir rauschten schneller durchs Wasser, und der Albatross konnte mit der besten Absicht der Angel nicht mehr nachrudern. Einmal postirte sich einer dummdreist schon ziemlich weit vor ihr hin und wartete auf sie, bis sie herangeschleppt kam, mehrmals wüthend nach der gespannten Leine beissend, aber er war nicht flink genug und die Angel entging ihm.
Endlich, endlich bissen sie aber doch, und zwar auf einmal wie verrückt. Wir hatten das schönste Haifischwetter, das man sich denken kann, kaum so viel Wind, um noch zu steuern, einen blauen wolkenlosen Himmel, glatte langsam dünende See und einen aussergewöhnlich hohen Barometerstand, der den Kapitän in Verzweiflung brachte.
Die Albatrosse strichen träge über die Dünung und setzten sich heute häufiger aufs Wasser. Eine ganze Flottille von Albatrossen schwamm schliesslich hinter uns her. Die Angel wurde wieder ausgeworfen und war sofort der allgemeine Zankapfel. Einer der grössten schnappte zu, und die Angel sass. Frohlockend, aber behutsam zogen wir ihn ein, während seine Gefährten verwundert ihm nachguckten. Vergebens stemmte sich der unglückliche Vogel mit Flügeln und Beinen gegen das Wasser. Es half ihm nichts, er musste heran, und wir hoben ihn an der Leine zu uns herauf.
Kaum hatten wir den Haken abermals ausgeworfen als auch der zweite eingezogen wurde. Die dummen Thiere geberdeten sich heute ganz wahnsinnig, sie stritten sich förmlich um den Vorrang des Geangeltwerdens, klapperten mit den Schnäbeln und kreischten ärgerlich, so oft wieder einer von ihnen entführt wurde. In der kürzesten Zeit hockte ein Dutzend friedlich nebeneinander auf dem Kajütsdach. Zweien gelang es, sich von dem Haken los zu machen, da wir nicht stetig genug einholten. Der Widerstand, den sie trotz allen Schlegelns und Stemmens mit Flügeln und Füssen leisteten, war erstaunlich gering. Das Merkwürdigste aber war mir, dass kein einziger, auch später nicht, gefangen wurde, indem er die Angel verschluckte, wie die Fische, und wie ich nach den gehörten Erzählungen erwartet hatte. Sie hingen alle einfach nur mit der hakenförmig gekrümmten Schnabelspitze an dem Angelhaken.
Anfänglich sassen sie verdutzt in einer Reihe auf dem Dach der Kajüte, machten nicht den geringsten Versuch zu entfliehen und staunten die Volksmenge an, die sich um die Wunderthiere versammelt hatte. Hie und da kam dann einem plötzlich ein dunkler Bewegungsimpuls, er erhob sich auf die Beine, ein paar andere folgten seinem Beispiel, aber gleich darauf klappten sie wieder zusammen, als ob sie zum Stehen zu schwach wären. Die meisten, nicht alle, spieen sich und entleerten ihren flüssigen Mageninhalt auf den Boden.
Ich wählte den grössten und schönsten zum Abbalgen aus und vergiftete ihn mit Zyankalium. Er liess sich ruhig den Schnabel öffnen und die tödtliche Gabe mit einer Pinzette in den Rachen schieben. Nach einer Minute neigte er sanft sein Haupt und starb. Zwei andere, die jüngsten, erschlugen wir, um von ihrem Fleisch uns herrliche Beefsteaks zu bereiten. Nicht die Spur eines thranigen Beigeschmacks. Nach den drei Monaten Salzfleisch und Büchsenfleisch gehörten jene Albatrossbeefsteaks zu den höchsten kulinarischen Genüssen meines Lebens. Sämmtliche drei Albatrossmagen, die ich untersuchte, enthielten die nämliche Nahrung, Pyrosomen und Sepien. Diese Sepien scheinen also auf der Meeresoberfläche ziemlich häufig zu sein. Auch in den zwei Haifischmagen die ich erhielt, fand ich nur Reste von solchen.
Die übrigen Albatrosse liessen wir laufen, das heisst, wir warfen sie über Bord, worauf sie fröhlich von dannen flogen. Seeleute behaupten, Albatrosse könnten von festem Boden nicht auffliegen. Dies ist nur in so fern wahr, als das Deck eines Schiffs niemals Raum genug bietet um den nöthigen Anlauf zu gestatten. Ich fing später einen Albatross, der ganz abweichend von den Gewohnheiten seiner Art nicht blöde sitzen blieb, sondern mehrmals aufzufliegen versuchte. Er stiess sich aber immer wieder am Geländer oder am Kompasshäuschen oder an einem Bündel Tau oder an einem Poller. Ohne solche Hindernisse auf einem freien Platz würde er leicht in die Höhe gekommen sein. Alle die Albatrosse, die wir fingen, waren voll von Läusen. Also auch auf den azurenen Wogen des Ozeans diese Plage, nicht blos im Zwischendeck bei den Polaken.
Es giebt eine Menge von Albatross-Arten und Varietäten, die vielleicht noch gar nicht vollständig gesichtet sind. Die grosse und auffälligste Art, die wir angelten, zeigte allein schon zahllose Abstufungen in der Farbe des Gefieders vom jungen fast vollständig dunkelbraunen bis zum alten fast vollständig weissen Individuum. Die Bleichung schien bei allen am Rücken zwischen den Flügeln in Form eines nach hinten