J’accuse. Brausewetter Max

J’accuse - Brausewetter Max


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Wärter nicht irre. Wir dürfen keine Zeitungen lesen, und das ist wohl gut. Eins fürchte ich, und wohl jeder von uns, hier zu verrecken, ehe wir etwas für unsere Heimat getan haben. So ganz ruhmlos möchte ich nicht aus diesem Kriege hervorgehen, und daß ich noch nichts habe tun können, schmerzt mich am meisten. Darum hatte ich der französischen Regierung den Vorschlag machen wollen, mich anzustellen, mit der Bedingung, daß ich in Gefangenenlagern vorzugsweise meine Landsleute behandeln dürfte, wenn möglich verwundete Soldaten. Das ist abgeschlagen, aber nun wird es in gewisser Weise in Erfüllung gehen, denn Krankheiten mehren sich in unserem Lager und die Zahl der Gefangenen. Aber wie sollen wir behandeln? Uns steht ja kein Medikament, kein Bett, kein Verbandstoff zur Verfügung. Kranken nur Trost zusprechen, wo man selber keinen Trost findet, ist ein nichtig Ding. Sie glauben uns nicht, weil wir auch nicht glauben. So greift die Verzweiflung mehr und mehr um sich, und der Verzweiflung entspringt der wilde Plan der Selbsthilfe. Darum, wenn wir den Krankheiten entgehen – und wir werden es durchaus nicht alle, das ist sicher – , so wird jedes Opfer unwürdiger Verhältnisse, jeder weitere hämische Uebermut unserer Gefangenenwärter uns mehr und mehr zum Widerstande reizen, und dem Kriegsgesetze, das scharf ist und scharf sein muß, unterstehen wir.

      Darin liegt die größte Gefahr, in der Auflehnung.

      Ich kann nicht dauernd den Korporalston vertragen, ich kann es nicht hören, wenn einem an Dysenterie Kranken, der zu unerlaubter Zeit den Abort aufsuchen muß, wie ich es neulich hörte, zugerufen wird: „S’il ne peut pas attendre, qu’il peut sortir, qu’il se merde dans son pantalon!“ Es sind so viele gebildete Männer unter uns, die derlei nicht gewöhnt sind. Ich nehme mir täglich wieder vor, über meine Lage hinwegzusehen und das Empfinden dagegen abzustumpfen, daß ich der Willkür irgendeines rohen Burschen ausgesetzt bin, der sein Mütchen an mir kühlen will, dem „boche“, den er nur im Felde fürchtet. Und wenn ich mich auch vielleicht für mich gewöhnen würde, werde ich es für andere, oder werden sie es für sich können? Ich weiß, Ihr fürchtet in demselben Sinne für mich, weil Ihr mich kennt und auch meine Freundschaft für die Franzosen. Neulich hätte es beinahe eine zweite Tragödie, wie auf unserer Reise nach Marseille, gegeben und mit ernsteren Folgen.

      Oekonomen kommen und gehen. Jeder treibt es, solange man wucherische Uebervorteilung hinnimmt, und solange sie nicht Rand und Band überschreitet. Geschieht das, so kommt ein neuer und treibt es wieder so weit, bis ein neuer ihn ablösen muß.

      Wir hatten wieder unsere Kohlsuppe, nachmittags war uns auf unsere Beschwerde hin Fleisch versprochen, und es gab auch Fleisch, so hart und zähe wie Leder, ungenießbar. Ich trat vor, reklamierte in schlechtestem Französisch, aber mit deutlicher Zeichensprache, und warf dem Oekonomen das Fleisch vor die Füße. Der wollte den Koch verantwortlich machen, bis der ihm seinen Kochlöffel vor die Füße warf. Die Stimmung war böse, da trat der Sergeant, vom Korporal gerufen, herzu. In anderen Lagern war mir Gefängnis sicher, aber der trat, wie immer, auf unsere Seite und wieder wurde ein Oekonom entfernt.

      Heute, liebste Armgard, ist unserer kleinen Renate Geburtstag und ich habe ihn würdig unserer Lage gefeiert. Ich geleitete einen armen kleinen Kriegsgefangenen, das achtjährige Töchterchen des Notars Lützerer, zu Grabe. Er sowohl wie seine Frau und sein einziges Kind waren Gefangene und hierhertransportiert. Die Mutter hat mir eine jämmerliche Beschreibung des Transportes gegeben. Das arme Kind war tagelang ohne Nahrung geblieben, einige fette Suppen ausgenommen, die der schwache Magen nicht vertrug. Schmutziges Wasser diente als Getränk. So erkrankte es schwer, und alle Medikamente im Hospital zu Frioul nutzten dem armen Wurm nichts. 40 von unserem Lager waren abgeordnet zur Leichenfolge, darunter ich, 40 vom Frauenlager in Frioul. Wir trafen uns vor dem Hospital. Ein Bierkarren stand vor dem Fenster, aus dem der Sarg des armen Opfers gehoben und aufgeladen wurde. Du kannst Dir nicht denken, wie uns zumute war. Es war ein jämmerliches, klägliches Schauspiel, und die armen Eltern, die so ihr Einziges hergeben mußten, waren fast die Mutigsten unter uns. So brachten wir den armen kleinen Körper, der die Kraft nicht mehr gehabt hatte, so rauher Kriegsbehandlung zu widerstehen, auf den Friedhof. Der Sergeant ließ die Posten präsentieren. Das ist später nicht wieder geschehen. Die Priester gingen voran, dann der Wagen, mit vielen Blumen geschmückt, dann die Eltern und das übrige Gefolge zur Seite, in gleichem Abstand französische Bajonette. Der französische Pfarrer segnete die Leiche ein, dann wurde der Sarg auf dem Friedhof versenkt. – Friedhof! – ein ödes, von Gestein und Unkraut umwuchertes Stückchen Land, das den ersten Toten aufnahm. Pater Kaspar sprach wenige, aber so herzliche und erschütternde Worte am Sarge, daß jedes Auge voller Tränen stand.

      Waren wir so unmännlich empfindsam geworden oder lag tiefe Tragik in diesem Schauspiel? Ich glaube, beides. Wir werden uns an Leichenbegängnisse gewöhnen müssen, um härter zu werden. Dafür ist gesorgt und wird weiter gesorgt werden. Morgen sind zwei Beerdigungen, eine eines elsässischen Bürgermeisters, der in unserem Krankenzimmer an Kehlkopftuberkulose elend zugrunde gegangen ist, die andere eines acht Monate alten kriegsgefangenen Kindes, das dem Hunger erlegen ist. Ich wurde zuletzt noch hinzugerufen und ließ dem armen Wurm ut aliquid fiat etwas warmen Tee mit einigen Tropfen Kognak einträufeln; es starb kurze Zeit darauf. Ich werde nicht mehr folgen, es ist nicht gut, daß derartige Stimmungen überhandnehmen; ich will versuchen, ihrer Herr zu werden. – Wenn wir zur Heimat dürften! Täglich und immer wieder tauchen Gerüchte der Auslieferung oder des Austausches auf, und immer wieder sind wir die Genarrten. Das reißt an unseren Nerven. Und in welcher Gesellschaft leben wir? Frankreich hat alles aufgelesen, wessen es habhaft werden konnte, und die neuen Gefangenen bieten oft wunderbaren Anblick. Da ist einer, halb verrückt. Wir nennen ihn Ravachol. Einige Spaßvögel haben ihn heute frisiert und rasiert – ein gefährliches Wagestück, er war völlig verlaust – dann mit Lackstiefeln, Stehkragen und schwarzem Rock bekleidet, so stolzierte der Narr grinsend einher, ein widerlicher Anblick.

      Einer von uns, ein braver Kerl, er gab sich als Schweizer aus, hat heute nacht ein Boot genommen und ist ausgerissen. Unsere Lage hat er erschwert, aber wir wünschen ihm von Herzen, daß er durchkomme.

      Ich will auf meine Lagerstätte, liebste Armgard, und hoffe, nach üblicher Wanzenjagd Ruhe zu finden. Grüße mir die Kinder, ich will ihnen viel erzählen, wenn ich wiederkomme. Bleibe nur fein geduldig!

Max.

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