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eingerichtet und denken gern der herzlichen Worte, die zu uns, gleichviel welchen Glaubens, von katholischen Geistlichen Sonntags gesprochen wurden.
Doch auch die Lust an Vorträgen und Unterhaltungen ließ bald nach, als ein Gespenst, zuerst in unseren Reihen kaum merkbar, dann aber mehr und mehr sichtbar, sich eingeschlichen hatte, das wir nie mehr ganz von uns abschütteln sollten, das Gespenst des Kleinmuts, der Verzweiflung. Wie manchen von uns hat es die ganze Zeit der Gefangenschaft so fest umkrallt gehalten, daß er die Folgen bis an sein Ende spüren wird! Gepackt hat es jeden von uns, und jeder von uns hat eine Zeit durchgemacht, da er wie ein Schwerkranker sich von der Gesellschaft ausschloß und den bittersten Gedanken nachgrübelte. Ich weiß von manch einem, und es war durchaus nicht immer ein Weichling, der sich nachts die Decke über den Kopf zog und bitterlich weinte. Das war nicht Schwäche, das war Scham vor sich selber. In Château d’If waren es noch wenige, in Frioul mehrte sich die Zahl, und in Casabianda griff die geistige Ansteckung erschreckend um sich, und in jener Zeit, da wir unsere Kameraden an Dysenterie und Typhus verloren, da die Fluchtversuche mißglückten und auf das härteste bestraft wurden, hatte das Gespenst gewonnenes Spiel. Nur langsam richtete den einen oder den anderen wieder der kategorische Imperativ auf: Du darfst nicht in Feindesland kläglich erliegen! – Daß keiner von uns durch Selbstmord fiel, betrachte ich noch heute als große Genugtuung. Wie nahe hat manch einer von uns vor solcher Lösung gestanden. Was diesen Kleinmut erhöhte, war die ewige Sehnsucht nach Freiheit, die täglich wiederkehrende Hoffnung, sie stünde uns nahe bevor, und die täglich wiederkehrende Enttäuschung. Wer von uns gedenkt nicht der Sistermontage, der festen Hoffnungen, die sich an das montägliche Wiedererscheinen dieses verdammten Fahrzeuges geknüpft hatten. Es war wie eine fixe Idee in uns, die Sister, die uns so heimtückisch ins Gefängnis geführt, müsse uns die Freiheit wiederbringen. Und unsere braven Kommissäre, denen wir trotz ihrer Verlogenheit immer wieder trauten, bestärkten uns hämisch in diesem Glauben. Wie oft mögen sich die Braven ins Fäustchen gelacht haben, wenn sie uns wieder einmal zum Narren gehalten hatten! – Ich darf mich wohl zu denen rechnen, die eigene Energie aufrechterhalten hat, wenngleich ich die Tage und Stunden der Verzweiflung durchmachte, wie jeder von uns, der etwas zu verlieren und etwas zu wünschen hatte. Als die Aussicht, freizukommen, immer weiter entschwand, entschloß ich mich, den Franzosen meine ärztlichen Dienste anzubieten, wenn sie mich in ein Lager schicken wollten, in welchem ich verwundete Deutsche behandeln könnte. Ich war naiv genug, zu glauben, daß mir die Bitte erfüllt werden könnte. Mein Gesuch wurde aber zweimal abgeschlagen und mir bedeutet, daß es ganz aussichtslos sei, wenn ich ein offizielles Gesuch an das Kriegsministerium richten würde. Es wären auch zu viele Bedingungen, die ich absolut stellen mußte, ein Hindernis gewesen. Doch hat meine an Ereignissen so reiche Gefangenschaft auch eine Periode gekannt, die mich offiziell zum Medizinmajor in Vertretung beförderte, die freilich, wie ich später berichten werde, mit traurigem Eklat endete.
Auch an den Ratsversammlungen, die fast täglich auf der Galerie abgehalten wurden, war es mehr und mehr erkennbar, wie eine gewisse Hast und Nervosität sich vieler bemächtigte. Es wurden Anträge auf Anträge gestellt, bei der französischen Regierung, bei der spanischen und deutschen, bei der amerikanischen Botschaft vorstellig zu werden wegen unserer ungerechten Gefangensetzung, das und das zu fordern für bessere Behandlung usw.; besonders war es wieder das Tribunalzimmer, das die äußerste Linke bildete. Ich war durchaus gegen solche Schritte und mit mir meine Kollegen vom Vorsitz. Noch in späteren Tagen ist mir der Vorwurf gemacht worden, daß ich durch starke Ablehnung solcher Vorschläge vielleicht eine frühere Freilassung verhindert hätte. Die Zeitenfolge hat bewiesen, daß dieser Vorwurf ungerechtfertigt war. Eingaben an alle Regierungen, die etwa tagtäglich gemacht wurden, führten zu nichts, als zu ewigen Enttäuschungen, welche die Nervosität zum Unerträglichen steigerten.
Mit dem Tribunal schloß ich an einem feierlichen Tage Frieden, es war der 2. September, den wir in diesem Zimmer im kleinen Kreise und so heimlich als möglich feierten. Und doch war diese Feier, so primitiv sie war, von unvergeßlicher Weihe. Ich sprach in kurzen Worten von der Bedeutung dieses Tages und dem wehmütig-zaghaften Gefühl, mit dem wir hinter Schloß und Riegel unserer Helden von damals und unserer Helden von heute gedächten. Dann sprach noch Dr. Beyer herzliche Worte für mich, und es wurden mit leiser Stimme patriotische Lieder gesungen. Erst um 9½ Uhr trennten sich die nächtlichen Schwärmer. Eine Pfirsichbowle, die wohlpräpariert war, hatte wesentlich zur Hebung der Stimmung beigetragen. So seltsam habe ich den 2. September nie begangen.
Bald darauf begann ein neuer Einzug der Gäste in unsere Burg. Es waren das Offiziere und Mannschaften der „Elsa Köppen“ und einiger anderer Schiffe. Die „Elsa Köppen“ war in Nizza angehalten und ihre Mannschaft gefangengenommen, ehe noch der Krieg ausgebrochen war. Das nahm uns nicht wunder; derlei waren und wurden wir immer wieder von neuem gewöhnt. Es waren 34 Mann, darunter der Kapitän und mehrere Offiziere. Sie waren teilweise scharf zugerichtet und erzählten von ähnlichem Empfang durch die französische Damenwelt, wie er etwa den meisten zuteil geworden ist, und den wir erst später genauer kennenlernen sollten. Wir begrüßten die Herren und räumten ihnen mit Einverständnis des Sergeanten Bonel als vorläufige Unterkunft den Festsaal ein. Die Offiziere wurden in einzelne Zimmer verteilt, der Kapitän William ins Tribunal, der Erste Offizier Heinrich zu uns. Am nächsten Tage gab es Revolution im revolutionären Zimmer: der neue Ankömmling schnarchte so, daß die festesten Mauern der Ruine ins Wanken gerieten. Es gibt Charaktersünden des Menschen, die beim Kriegsgefangenen zur Todsünde werden; dazu gehört das Schnarchen. Der Kapitän selbst verstand die Aufregung der Masse durchaus nicht und erklärte am nächsten Morgen mit Seelenruhe, daß er selten so gut geschlafen habe. Er ließ sich auch später nie durch die Nervosität der anderen aus so gleichmäßiger Ruhe bringen. Uebrigens liegt es mir fern, dem Herrn etwas Böses nachsagen zu wollen; er hat mir im Winter durch einen prachtvollen dicken Wintermantel und Kopfkissen die kalten Nächte erträglich gemacht. Auch wurde gegen etwaiges Weitertragen der Krankheit dem Herrn Kapitän mit drei anderen Herren, die rücksichtslos demselben Laster frönten, ein Extracachot in Château d’If angewiesen, dessen Akustik minderwertig war. Diese 34 reihten sich uns an, und wenn wir 72 Gefangene der Sister als Sisterleute von nun an eine eigene Gruppe bildeten, so erweiterte sich diese mit den 34 Matrosen zu den Château d’Ifern. Zu uns gesellten sich dann noch der alte Herr Müller und Herr Weißschedel, deren Schriftstücke mit der Versicherung ungehinderter Fahrt ich anfangs in Kopie wiedergab. Der eine von ihnen war ein Greis, der andere schwer krank; aber doch hielt sie Frankreichs Starrsinn und Unberechenbarkeit als mobilisable Gefangene.
Und noch eines muß ich gedenken, der in unsere Gruppe aufgenommen wurde. Den darf ich nicht mit drei Worten abspeisen; er bot uns lange Unterhaltungsstoff und war ein Gradmesser für unsere erregten Nerven. Es war an einem Dienstag. Wir schrieben den 9. September. Hinter uns lagen die üblichen Sonntagsbesuche, die meist aus Damen bestanden, welchen wir als „boches“, also als besondere Spezies von Menagerietieren, gezeigt wurden. Der Montag hatte uns mit dem Einfahren der Sister die üblichen Hoffnungen, mit ihrer Ausfahrt die übliche Enttäuschung, der Dienstag den Katzenjammer gebracht. Unsere Stimmung war die denkbar schlechteste und gefährlich für Kombinationen. Noch dazu hatte am Nachmittag einer der Herren tschechischen Geistes, der uns als besonders gewaltiger Redner gepriesen war, eine herzlich öde Rede über den Marienkultus gehalten, kurz, wir waren reif zur Aufnahme einer Sensation. Die ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Sie erschien – das war an und für sich durchaus nichts Besonderes – in Gestalt eines neuen Gefangenen. Aber die Begleitumstände! Die bekannte Treppe hinauf durch das Tor schritt ein Jüngling von etwa 24 Jahren, französische Soldaten – ja, das war es! – trugen ihm Koffer, Matratzen, Kissen und Decken nach; er lohnte sie ab und entließ sie.
Was das sagen will, versteht nur der, welcher je Sträfling gewesen ist. Ich will darauf nicht weiter eingehen, weil ich vielleicht nicht genug Sachverständige fände, die unser Entsetzen voll würdigten. Wer war der Jüngling, der wie ein verkappter Fürst, von französischen Soldaten bedient, hier einzog, wohin wir noch vor kurzem, begleitet und bedroht von französischen Bajonetten, unser Gepäck im Schweiße unseres Angesichts heraufgeschleppt hatten? Wer war der Knabe, der mit einer, nach unserer heutigen Anschauung, kompletten Schlafzimmereinrichtung hier eintraf? Sein Aussehen war kaum deutsch, eher französisch.
Während die Besonnenen unter uns sich scheu und vorsichtig zurückhielten, duldeten