Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh

Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh


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dem Hohenstaufen zu. Von da hätte ich es nicht weit bis zu dem damals schon so berühmten Boll mit seinem Pfarrer Blumhardt gehabt. Aber ich hatte eine Abneigung, solche Orte zu besuchen, die gewissermaßen als Wallfahrtsorte galten und zu denen die Menschen vielfach mehr aus Neugierde als eines inneren Bedürfnisses wegen gehen. Doch während ich die einsame, kahle Berghöhe des Hohenstaufen hinaufkletterte, zog ein schweres Gewitter herauf. Ich sah von oben schnell nach allen Seiten in das schöne Schwabenland hinein und eilte dann bergab in der Hoffnung, das Städtchen Göppingen noch vor Ausbruch des Gewitters zu erreichen. Aber das Unwetter ereilte mich unterwegs in seiner vollen Wut. Ich wurde durch und durch naß und hielt es nun für besser, geradezu vorwärts zu marschieren, bis ich vor der Tür von Bad Boll stand. Der liebe Vater Blumhardt nahm sich dann auch des wider Willen zu ihm getriebenen Studenten aufs väterlichste an, und ich gewann solches Zutrauen zu ihm, daß ich ihm mein ganzes Herz ausschütten konnte. Ich blieb einige Tage bei ihm, die mir von großem, bleibendem Segen geworden sind und unser Gemeinschaftsband knüpften bis an das Ende der Tage.

      Dann ging es über Ulm und Augsburg, wo die prachtvollen Dome und Kirchen besucht wurden, wieder zurück in die freundliche Musenstadt an der Regnitz, wo freilich aus dem Studieren nicht mehr viel wurde, da ich in diesem sehr heißen Sommer viel an Kopfweh, Nasenbluten und Schlaflosigkeit litt und schließlich so von Kräften kam, daß ich für drei Wochen das Studentenkrankenzimmer in der Universitätsklinik aufsuchen mußte.

      Nach Schluß des Semesters gab ich mir mit meinem lieben Freunde Riggenbach in Würzburg ein Stelldichein. Er hatte sich entschlossen, als Pastor zu den Deutschen nach Nordamerika zu gehen, und wir beide wollten die letzten Tage vor seinem Abschied noch miteinander verleben. Wir suchten zunächst den Pastor Fabri auf, den späteren Inspektor des Barmer Missionshauses, der mich schon in Erlangen besucht hatte. Wir blieben einige Tage in dem kleinen lieben Pfarrdörfchen, und Fabri gewann unser Herz durch seine äußerst anregenden Gespräche über die tiefsten Fragen des Reiches Gottes. An Leib und Seele erfrischt, zogen wir dann weiter dem Norden zu. Wir wanderten viel zu Fuß, wie einst in den schönen Schweizer Bergen, und es war mir von großem Segen, zu erleben, mit welcher Einfalt und Treue mein Freund abends und morgens eine Stelle aus der Heiligen Schrift vornahm, sie mit wenigen Worten auslegte und dann niederkniete zum Gebet. Wie war man für den ganzen Tag dann gestärkt und erquickt, und wie schön schlief’s sich abends ein! Es gehört gewiß mit zum Köstlichsten, was man auf Erden haben kann, mit einem solchen Freunde durchs deutsche Vaterland zu wandern.

      Unsere Pilgerschaft ging das Lahntal hinauf zu meiner Schwester Sophie, die in Berleburg an den Landrat von Oven verheiratet war, dann zu meiner lieben Mutter nach Velmede und von da nach Bremen, wo wir bei dem Besitzer des Auswandererschiffes, das mein Freund benutzen wollte, die herzlichste Aufnahme fanden. Der liebe Pastor Mallet stand noch in ungebrochener Kraft, und die Kanzel, auf der später Schwalb, mein Studiengenosse von Basel her, den Unglauben verkündete, hatte damals noch der treffliche Treviranus inne. Bei Mallet gingen wir noch einmal gemeinsam zum heiligen Abendmahl. Andern Tages geleitete ich meinen Freund nach Bremerhaven und von da noch ein Stück auf dem Auswandererschiff in die See hinaus, von wo ich über und über seekrank auf dem Lotsenboote wieder in den Hafen gelangte. Dann ging es zur lieben Mutter nach Velmede.”

3. In Berlin. 1856–57

      „Nur zu schnell waren die köstlichen Ruhetage im lieben Velmede zu Ende gegangen. Die Ferienzeit war vorüber, und da man nach den damaligen Bestimmungen mindestens ein Jahr auf einer preußischen Universität studieren mußte, so richtete ich meinen Pilgerweg nach Berlin. An der Ecke der Artilleriestraße, hart an der Spree, mit der Aussicht auf den Monbijou-Garten, eroberte ich mir glücklich ein stilles Stübchen, wo ich mein letztes Studienjahr zuzubringen dachte.

      Es war damals auch in Berlin schöne Zeit. Neander, den ich in meinem ersten Semester neben meinen physikalischen und botanischen Studien gehört hatte, war schon heimgegangen; aber Strauß, Hengstenberg und Nitzsch standen noch in frischester Kraft. Bei Nitzsch besuchte ich das praktische Seminar, wo wir Predigtübungen zu halten hatten; und ich besinne mich noch gut, wie er solche Studenten, die mit oberflächlichen Redensarten und schönen Worten ihre Predigt füllten, als eitle Gecken abzutun wußte und ihnen den Hoffartsteufel austrieb.

      Ich blieb übrigens bei meiner Predigt, die ich vor ihm zu halten hatte, stecken und mußte demütig mein Konzept herauslangen. Umgekehrt ging es mir bei meiner Katechese in der Propstei-Schule an der Nikolaikirche so gut, daß mein lieber Nitzsch mich besonders in sein Herz schloß und mich auch zu seinem regelmäßigen Studenten-Familienabend einlud.

      Indessen wurde in diesem ersten Wintersemester aus meinem Studieren nicht sehr viel. Denn für meinen Dienst unter den Heiden mußte ich versuchen, mir einige Kenntnisse in der Krankenpflege und in der Arzneilehre zu erwerben. Pastor Müllensiefen, den ich noch aus der Zeit her kannte, wo er meine Vettern Diest als Hauslehrer unterrichtet hatte, und der jetzt Pastor an der Marienkirche war, machte mich mit seinem Freunde, dem Regimentsarzt Dr. Lauer, dem späteren Leibarzt des alten Kaisers Wilhelm, bekannt. Dieser nahm mich als Lazarettgehilfen in das Lazarett des Kaiser-Franz-Regiments auf. Jeden Morgen besuchte ich zunächst mit dem Assistenzarzt die einzelnen Kranken und ließ mir von ihm zeigen, wie Verbände angelegt und die chirurgischen Dienstleistungen verrichtet werden. Hernach nahm ich an der Visite des Regimentsarztes selbst teil und lernte dann die angeordneten Arzneien in der Apotheke bereiten.

      Auf dem Wege zum Lazarett begegnete mir eines Tages ein früherer Schulkamerad vom Joachimstalschen Gymnasium, namens Blankenburg. Ich sah ihm gleich an, daß Schmalhans bei ihm Küchenmeister war. Er war teils wegen seiner schlechten Ernährung, aber auch wegen seiner schlechten Wohnung an seinen Nerven krank geworden. Ich wußte ihm nicht besser zu helfen, als daß ich ihn einlud, ob er bei mir wohnen wollte. Das wurde mit Freuden angenommen. Aber die Aufgabe war nicht klein; denn die Nerven meines Freundes wurden mir förmlich zu Haustyrannen, nach denen ich mich in allen Stücken richten mußte.

      Trotzdem wurde ich meinem Stubengenossen bald zu großem Dank verpflichtet. Er machte mich nämlich auf eine große Lücke in meiner Ausbildung aufmerksam. Was ich an Bibelsprüchen und Kirchenliedern auf der Schule und im Konfirmandenunterricht gelernt hatte, war über alle Maßen wenig gewesen. Blankenburg zwang mich nun, sowohl Kirchenlieder als auch ganze Stücke der Heiligen Schrift wörtlich auswendig zu lernen. Ich war inzwischen mit dem Lazarettkursus fertig geworden, und so wurde neben den übrigen Studien diese Arbeit in der Tat mit allem Fleiß betrieben. Jeden Morgen ging ich in den einsamen Monbijou-Garten, und dort, auf dem schönen Wege, der an der Spree entlang führt, prägte ich mir Kirchenlieder und ganze Kapitel aus der Bibel ein, und wenn ich nach Hause kam, überhörte mich mein lieber Blankenburg.

      Inzwischen war mein letztes Semester – Sommer 1857 – herangekommen. Der jüngere Bruder meines Vaters, mein Onkel Karl, legte mir nahe, für den Rest meiner Studienzeit zu ihm überzusiedeln. Ich war in der Tat in meinen Ernährungsverhältnissen etwas zurückgekommen, da ich mit meinem Freunde Blankenburg zusammen etwas zu sparsam hatte leben müssen, um uns beide durchzuschlagen. Zudem wünschten meine Verwandten um ihrer beiden jüngsten Söhne willen, die noch auf dem Gymnasium waren, meine Gegenwart, da sie selbst den größten Teil des Sommers abwesend sein mußten. So zog ich denn gleich nach Ostern in meine alte Heimat, in das Finanzministerium, hinüber.

      Von meinen Baseler und Erlanger Freunden hatte mich nur noch einer nach Berlin begleitet. Es war ein Pfarrerssohn aus der Schweiz, mit Namen Endres. Er hieß gewöhnlich nur „der kleine Schwyzer” und kam meist am Nachmittag zu einer Tasse Kaffee und einer Partie Schach ins Finanzministerium herüber. Auch beteiligte er sich wohl an den kleinen Fußtouren, die ich mit meinen beiden jungen Vettern in die Umgegend von Berlin unternahm. Sonst war bei der strammen Arbeit, die das letzte Semester mit sich brachte, kaum irgend ein anderer Verkehr möglich. Nur einige Male ging ich in das theologische Studentenkränzchen, das ähnlich wie in Erlangen auch hier seine Zusammenkünfte hatte. Hier feierten mein Freund Endres und ich auch den Abschiedsabend unserer Universitätszeit. Reiche, köstliche drei Jahre lagen hinter mir, als ich Anfang August 1857 von meiner letzten Musenstadt Abschied nahm und mit dem Nachtzuge nach Hamburg hinüberfuhr!”

      Als Kandidat. 1857–1858

      „Mein Angesicht stand zunächst nach dem dicht bei Hamburg gelegenen Wandsbeck, der Heimat des alten Matthias Claudius, der mir mit seinen Schriften


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