Alfried Krupp. Frobenius Herman
der Tagesproduktion 400 Pfund. Welche bescheidene Zahl gegenüber den Massen, welche in späteren Jahren erzeugt wurden, und welche sich z. B. im Jahr 1881 auf die tägliche Herstellung von 130000 Pfund Gußstahl bezifferte! Die Schwere der Güsse konnte bis zum Tode Friedrich Krupps auf 40 Pfund gesteigert werden. Was ist das im Vergleich zu dem Block, welcher 1873 auf die Wiener Weltausstellung gesandt wurde und das stattliche Gewicht von 105000 Pfund erreichte! Und auch dieser Block war aus kleinen Tiegeln gegossen und in derselben Weise, wie jene ersten kleinen Gußstücke.
Mit der Aufopferung seiner letzten Mittel hatte der energische Mann diese Erweiterung seiner Fabrik ins Werk gesetzt und keiner seiner Freunde und Verwandten hatte ein Verständniß für diese Aufopferung seines guten Vermögens im Dienste einer Idee, deren hohe Bedeutung ihrem kurzsichtigen Blick vollständig entging. Sie machten ihm nur Vorwürfe, anstatt ihn zu unterstützen und suchten ihn zu bereden, die Sache aufzugeben und sein früheres Geschäft wieder zu ergreifen, wozu sie ihm bereitwilligst die hilfreiche Hand boten. So stand er allein und verlassen im Kreise seiner Mitbürger und Berufsgenossen, unverstanden von Allen, die ihn hätten unterstützen können, unverstanden auch von den maßgebenden Personen, welche die für das Vaterland so wichtige Industrie mit Staatsmitteln hätten über die mühsamen Anfänge hinwegbringen können. Und doch war er so durchdrungen von der Bedeutung seines Unternehmens, so überzeugt von der Entwickelungsfähigkeit seiner Idee, so siegesgewiß, wenn er nur die Mittel erlangen konnte, seine Erzeugnisse zur Geltung zu bringen, daß er keinen Augenblick schwankend wurde, lieber sich und seine Familie in Noth und Sorgen zu stürzen, als an seiner Lebensaufgabe zu verzweifeln. Nach allen Seiten blickte er nach Hilfe, selbst die Gründung einer staatlichen Gußstahlfabrik in Rußland brachte er in Anregung, und durch gutachtliche Prüfungen suchte er seinem Fabrikat allgemeine Anerkennung zu verschaffen. So unterzog der in großem Ansehen stehende „Verein zur Beförderung des Gewerbefleißes in den Königl. preußischen Staaten” seinen Gußstahl einer gründlichen Untersuchung und veröffentlichte 1822 sein Urtheil, in dem er bekundet, daß „Herr Friedrich Krupp in Essen a. d. R. durch langjährige Versuche und große Aufopferungen es soweit gebracht hat, daß sein Gußstahl im Allgemeinen den Vorzug vor dem englischen hat… Sein Fabrikat ist von der Abtheilung für Manufakturen und Handel in Berlin sorgfältig untersucht und dahin beurtheilt worden, daß es an Brauchbarkeit und innerer Güte dem besten englischen Stahl gleich zu achten, ja in mehrfacher Hinsicht ihm vorzuziehen ist.”
So wie ihm hier eine Anerkennung gewissermaßen amtlichen Charakters zu Theil wurde, so war auch aus der stetig zunehmenden Zahl der Bestellungen zu erkennen, daß die neuen Fabrikate mehr und mehr Boden gewannen. Selbst aus der Fabrik von Cockerill bei Lüttich und der englischen Münze in Hannover kamen Bestellungen. Sie konnten nicht bewältigt werden, denn die Erweiterung des Betriebes hätte neue Kapitalien erfordert, und woher diese nehmen? Nirgends mehr öffnete sich ein Kredit. Von der Hand in den Mund mußte der Fabrikant leben trotz des nicht zu verkennenden Aufschwunges seines Werkes, und ein einziger Unglücksfall konnte plötzlich das mühsam errichtete Gebäude zu Sturze bringen, gerade jetzt, wo die Hoffnung auf ein glückliches Gedeihen aufzublühen begann.
Es ist nicht zu verwundern, daß Friedrich Krupp einerseits seine eiserne Willenskraft, welche allein ihn die ungeheuren Schwierigkeiten immer wieder überwinden ließ, in unnachsichtiger Strenge gegen sich selbst, wie gegen Andere zum Ausdruck brachte, daß er anderseits, aus einer schwierigen Lage in die andere geworfen, von Sorgen gemartert und bisweilen beinahe verzweifelnd am Erfolge, oft finster und trüb gestimmt erschien. Für seine Familie – und die einzige treu ihm zur Seite ausharrende, in vollem Verständniß seinen Plänen folgende Seele war seine Frau – mag er herzlich wenig Zeit übrig gehabt haben, und auch ihr gegenüber zeigte sich die Thatkraft in dem festen Beharren bei seiner Idee; er trug kein Bedenken, ihr nicht nur seine eigene, sondern auch seiner Kinder Lebenskraft dienstbar zu machen und nöthigenfalls zum Opfer zu bringen.
Ein Bild der in eherner Arbeit unermüdlichen Thatkraft, des in seinen Leistungen nie ganz sich genügenden ehrgeizigen Pflichtgefühls, der über die Nichtigkeiten des Lebens und seiner Bedürfnisse hoch sich erhebenden Begeisterung für eine große Idee, der vor keinem Opfer zurückscheuenden, durch keine Sorgenlast zu hemmenden, durch keinen Mißerfolg entmuthigten Energie, so stand der Vater vor den Augen seiner Kinder als ein leuchtendes Beispiel, als ein strenger Lehrmeister schon in den ersten Jahren ihrer individuellen Entwickelung. So ward ihr Auge geschärft zur klaren Auffassung der Verhältnisse, ihr Gemüth gehärtet gegen verweichlichende und beunruhigende Regungen, ihr Begehren auf hohe Ziele gerichtet und ihre Bedürfnißlosigkeit durch Entbehrungen gefördert, so ward ihr Geist entflammt für die große Aufgabe, der sie die Eltern in einträchtigem Streben jeden Genuß, jede Freude, jeden Athemzug ihres Lebens opfern sahen.
Und gegen alles Erwarten schnell kam der schwere Schicksalsschlag, der die Kinder mitten hineinstellte in den Kampf des Lebens. Friedrich Krupp erkrankte im Jahre 1823, gerade als die endliche Entscheidung des Prozesses Nicolai eine günstige Wendung seiner Verhältnisse eingeleitet hatte. Eine Kur in Schwalbach brachte Linderung seiner Leiden, aber bereits Ende 1824 wiederholten sich die Anfälle, welche auf eine hochgradige Ueberanstrengung des Nervensystems zurückzuführen waren, in so heftiger Weise, daß er 10 Monate lang arbeitsunfähig war. Welche Folterqualen für den Mann, auf dessen energischer Thätigkeit ganz allein die Hoffnung einer weiteren günstigen Entwickelung beruhte, da er sich zum thatlosen Zuschauen verurtheilt sah und sich nicht verbergen konnte, daß von Tag zu Tag sein Werk zurück, daß es dem Zusammenbruch entgegen ging.
Die Lage wurde kritisch; das Haus in der Stadt mußte aufgegeben werden und die Familie bezog 1825 ein kleines, zur Fabrik gehörendes Haus, das in den letzten Jahren für einen Werkmeister errichtet worden war. Es ist ein ärmliches einstöckiges Fachwerks-Gebäude, neben der Thür in der Front beiderseits nur ein Fenster, im Giebel deren zwei mit grünen Läden, darüber beiderseits ein einfenstriges Giebelstübchen, kaum Raum genug für die Eltern und die vier Kinder bietend, eine Arbeiterwohnung im strengsten Sinne des Wortes, und was in diesem Hause für angestrengte, sorgenschwere, aber auch segensreiche Arbeit geleistet wurde, das hat die Welt nach Jahrzehnten mit Staunen wahrgenommen, dessen werden sich aber auch die Nachkommen des ersten Bewohners stets mit tiefbewegtem, dankbarem und immer aufs Neue ermuthigtem Herzen erinnern. Noch heute steht inmitten der Riesengebäude der Fabrik, in seiner ursprünglichen bescheidenen Form dieses „Stammhaus”, in dem Friedrich Krupp noch einmal Hoffnung schöpfte, sein Leiden überwinden und dem drohenden Zusammensturz seines Werkes mit Energie Einhalt gebieten zu können. Kurz und trügerisch war die Hoffnung. Mitten in neuen Arbeiten, in der Lösung neuer Aufgaben, raffte ihn der Tod dahin. Er starb am 8. Oktober 1826 an der Brustwassersucht. Was er erstrebt hatte, schien verloren, was er erreicht, schien vernichtet. In Noth und Sorge, ohne alle Mittel ließ er seine Familie zurück, in der Blüthe seiner Jahre überwältigt durch die Aufgabe, der er sein Leben und das Wohl der Seinen geopfert hatte. An seinem Grabe standen die früheren Freunde und Genossen ohne ernste Theilnahme; sie hatten es ihm ja vorausgesagt, daß er einem Hirngespinnst in thörichter Weise sich opferte; nur ein mitleidiges Lächeln hatten sie für die Wittwe und die unerwachsenen Kinder, die er im Elend zurückgelassen hatte. Sie ahnten nichts von dem reichen Erbe, das er ihnen vermachte, da er sie durch eine Schule geführt hatte, welche sie zur strengsten Pflichterfüllung und zum Einsetzen aller Kraft an hohe Ziele vorbereitet hatte, sie sahen nicht den unscheinbaren Keim blühender Entwickelung, den er in seinem Werke eingepflanzt hatte und der sich zum Riesenbaum ausgestalten sollte, in dessen Schatten Deutschlands Industrie für seine Weltbedeutung sich zu entfalten Schutz fand.
II
Lehrjahre
Ein vierzehnjähriger Knabe stand Alfried am Grabe seines Vaters, und in den tiefen Schmerz hinein, welcher sein Herz mit Thränen erfüllte, in die bangen, schweren Gedanken, welche mit ungewohnter Last sein Haupt beschwerten, klangen anstatt der Töne warmen Mitgefühls die Aeußerungen des frostigen Mitleids wie ein schneidender Mißton, seinem thränenverschleierten Blick entging nicht das Achselzucken der klugen Leute, welche es nicht für der Mühe werth hielten, ihre Schadenfreude zu verbergen. Und die Thränen versiegten in heiligem Zorn, das schmerzgebeugte Haupt erhob sich in stolzem Bewußtsein der großen Aufgabe, welche der Knabe von heute ab als Nachfolger seines Vaters diesen kleinen Seelen gegenüber zu vertheidigen, in ihrer ganzen vollberechtigten Bedeutung zur Anerkennung zu bringen