Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich

Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band. - Gerstäcker Friedrich


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war, und seine Schritte weiter und weiter im dürren Laub verklangen – »schön Dank für die Warnung; ich weiß aber eben noch nicht, ob mir mein Hals in Deiner Gesellschaft sicher oder unsicher ist, mein alter Bursche, und fataler Weise ist der Versuch gerade so gefährlich. Nun, jedenfalls bin ich auf meiner Huth und vor Dir ziemlich sicher daß Du nicht selber aus der Schule schwatzest; Vielleicht kommt mir aber der französische Grünschnabel einmal gelegentlich unter die Finger und dann können wir ja unsere Rechnungen mitsammen ausgleichen. Jetzt übrigens, so lange es noch Tag ist, werde ich nicht an Bord zurückgehn, sondern meine Geschäfte hier am Land besorgen; ich traue den Insulanern nur nicht viel zu; sie sind zu gleichgültig bei Allem was sie nicht unmittelbar in die Höhe schüttelt, und müßten sich sehr geändert haben, wenn sie überhaupt noch einmal zu einem entscheidenden Schlag zu bringen wären – sei der nun hingerichtet, wohin er wolle. – Hm – ist mir aber auch wieder ungemein lieb erfahren zu haben daß der Gesell in einer französischen Uniform steckt und hier herumläuft – werde doch zusehn daß er mir zuerst vorgestellt wird, und nicht ich ihm.« – Und mit einem vorsichtigen Blick umher, denn Jack's Warnung hatte seine Wirkung keineswegs verfehlt, schlug er sich, mit der Gegend in der er sich hier befand vollkommen gut bekannt, seitwärts in das Dickicht, die Stadt auf einem anderen Pfade zu erreichen und verschwand bald darauf in den dichten, hinter ihm sich wieder schließenden Guiavenbüschen.

      Capitel 2.

      Sadie und René

      Ah – die Brust hebt sich ordentlich frei, wie wir dem wilden wüsten Treiben von Haß und Sünde, Leichtsinn und roher Sinnlichkeit den Rücken kehren, dem Wald, dem unentweihten Walde zuzustreben. Noch haben wir aber nicht all die bunten wilden Gruppen hinter uns, die zerstreut bei all den verschiedenen Hütten, in all den kleinen Hainen ihre Orgien feiern. Horch, von da drüben herüber lauter und munterer Trommelschlag unter den Palmen vor – lachende Männer und Mädchenstimmen und jubelnder Chor; und von dort? tönt der scharfe Klang einer kleinen, in den Zweigen eines Orangenbaumes aufgehangenen Glocke, und der monotone Sang frommer Hymnen in Tahitischer Sprache, von den Ehrwürdigen Männern selbst an einem Wochentag gesungen, weil heute die Inseln ja dem rechten, dem »allein selig machenden Protestantischen Glauben« gerettet wurden.

      Dahinein aber kreischt der laute fröhliche Sang halbtrunkener Matrosen, die am Strand nieder neuen Vergnügungen zuziehen. Hier eine Frauengestalt in wehdurchschauerter Angst niedergeworfen vor dem zürnenden Gott, den Blick angstvoll nach oben gerichtet, als ob sie fürchte daß der rächende Strahl den Zornesworten folgen müsse, die der weiße fromme Mann eben niedergedonnert hatte von dem einfach hölzernen Kanzelstand, auf die Häupter der kleinen »auserwählten Schaar« – dort ein wildes braunes halbnacktes Mädchen, den Arm leichtfertig um die Schulter eines französischen Soldaten gelegt, der mit ihr plaudert und koßt, während sie den lachenden Blick frei und ruhig zu dem blauen freundlichen Himmel emporhebt, und dabei mit halbem Ohr vielleicht den fernen wohlbekannten Glockentönen lauscht.

      Widersprüche wohin das Auge fällt, und nur die Natur selber ist sich treu geblieben in dem tollen wilden Gewirr – nur die Natur allein, die Gottes Größe und Güte predigt in jeder Zeit, und ihre Gaben liebend ausstreut über die Kinder des Allmäch tigen, gleichviel welcher Sekte sie angehören, welchen Namen die Lippe flüstert, wenn das Herz, in stiller Anbetung versunken, emporstaunt zu seinen Wundern, und gleichgültig dabei, ob sie ihre Stirnen nach Westen oder Osten zum Gebet neigen – beten sie doch Alle zu Ihm.

      So, je weiter wir das wirre tolle Treiben Papetee's hinter uns lassen, verschwimmen die Dissonnancen von Hymne und Trommel in dem gewaltigen Donner der ewigen Brandung, und dem leisen flüsternden Rauschen der Blätter und Palmenkronen, und dort draußen, weit draußen am wunderschönen Strand, wohinaus kaum der donnernde Schall des Geschützes drang, das den Aufgang und Niedergang der Sonne kündete, hatte René seine Hütte gebaut. Ein wohl nicht großes aber doch geräumiges Haus, dicht in den Schatten von Frucht- und Blüthenbäumen hineingeschmiegt, diente ihm mit seiner kleinen Familie, wie dem alten ehrwürdigen Mr. Osborne, von dem sie sich nicht hätten trennen mögen, zum Aufenthalt; ja wurde ihm zur Heimath, und selbst Sadie fühlte sich hier wieder wohl und glücklich, so heimisch so freundlich war der kleine liebe Platz – so lieb fast wie Atiu – nur daß ihm die Erinnerungen fehlten.

      – Nur daß ihm die Erinnerungen fehlten – es ist ein kleines, unbedeutendes Wort; die Erinnerung, und sie umfaßt doch, wenn wir erst einmal wirklich ins Leben traten, Alles fast, was das Herz je theuer gehalten und lieb, und dessen Klängen es mit freudigem Klopfen, o wie gern doch, lauscht. Was anderes giebt unserer Heimath jenen unendlichen Reiz, der uns nicht weilen läßt im fremden Land und uns zurückzieht mit festen, kaum zerreißbaren Banden? – was anderes zaubert uns mit einem Schlag alle die lieben, nie vergessenen, aber wohl so oft und heiß ersehnten Bilder wieder herauf, die unserem Leben damals Licht und Farbe, unserem Blut die Wärme, unserer Brust die heitere Ruhe gaben? Verleih einem Platz diese Erinnerungen, und laß es dann die ärmlichste dürftigste Hütte in einer Wildniß sein, und jede Stütze ist uns theuer die noch den morschen Bau zusammenhält. Wir kennen da jeden Baum, jeden Stein und an jedes, das noch so unbedeutendste, an den schmalen Pfad der hinausführt zu dem stillen, Linden umlaubten Friedhof, an das Gartenpförtchen, an den Apfelbaum neben der Thür, an die Steinbank oder den murmelnden Bach, oder den moosbewachsenen Eimer des Brunnens, selbst an die lieben Sterne die nur so, wie alte liebe Bekannte über der Hütte standen, knüpft sich eine Liebe, eine selige Erinnerung, und je älter wir dabei werden, je weiter uns das Schicksal und je länger es uns fortgetrieben aus dem Heiligthum, desto theurern Platz wahrt es sich in unserm Herzen.

      Und ohne diese Erinnerungen? ja die Welt ist schön, und überall gründet der unstete Mensch seinen Heerd, überall deckt Gottes unendliche Güte den Boden für ihn mit Speise und Trank, und das Geschlecht treibt und gedeiht – aber es treibt und gedeiht auch nur eben, und wie in der Fremde beginnt es seine Hütte zu bauen, wie in der Fremde siedelt es sich an und – denkt zurück an frühere glücklichere Zeiten, liebere Plätze – an die Stelle wo seine Wiege gestanden.

      Aber Sadie und René waren glücklich – über ihnen wölbten, wie auf Atiu wehende Cocospalmen ihre Häupter und schüttelten den Thau nieder auf die duftenden Blüthen der Orangen, die ihren Fuß umwuchsen; vor ihnen aus breiteten sich die Corallendurchzogenen Binnenwasser der Riffe, klar und silberrein wie an der Schwesterinsel, und Abends ruderte der junge Mann das Canoe hinaus, und vor ihm saß dann die glückliche Mutter mit dem Kind am Herzen, dem Liebesblick seines Auges in unendlicher Seligkeit begegnend; – es waren das so frohe, so glückliche Stunden.

      Oh daß sie schwinden müssen, daß Alles nur auf Erden eine Spanne Zeit umfaßt, und während uns die Sonne fröhlich scheint, daß da schon düstre Wolkenschleier unterm Horizonte lagern müssen, die langsam aber sicher höher steigen. Es giebt kein ungetrübtes Glück auf dieser Welt, es kann's nicht geben, denn das Bewußtsein schon, wie nah der Wechsel unserm Leben liegt, wie oft an einer Faser nur das Alles hängt, was uns in diesem Augenblick entzückt, wirft einen trüben Schein selbst auf die frohste Stunde, und das, was uns gerade im Unglück stärkt, was den Blick vertrauend, hoffend dem Lichte zukehrt, wie trüb und traurig uns auch im Herzen sei, und wie die Verzweiflung an ihm nagt und zehrt, die Gewißheit irgend des einstigen Wechsels solcher Leidenszeit, die klopft dann ebenfalls als Mahner an des Glückes Thor, mit leisem Finger, aber still und unverdrossen fort.

      Nicht bei René; er war ein Kind im Glück und nahm das Alles mit so frohem leichten Herzen an, wie Kinder Spielzeug nehmen, lachen und springen damit und nicht d'ran denken daß es zerbrechen kann, sich nicht d'rum kümmern. Nach langer schwerer Zeit, wo er viel dulden mußte und ertragen, erschien das Alles hier ihm wie gehörig, wie gerechter Lohn nur für Bestandenes; Sorge hatte er nie gekannt, der Augenblick war ihm des Lebens Trieb gewesen, dem er folgte, dem Augenblick gehörte er auch an, und wie er ebenso im Unglück wenig nur gehofft, sich stets vom Schicksal ausersehn gedacht und kecken trotzigen Muthes darin gerade Freude fand ihm zu begegnen, es zu überwinden, so dachte er auch im Glück nicht oft hinaus wie's einst wohl werden solle, wenn der Tod vielleicht hier oder da die Stützen wegriß, oder and'res Leid mit kalter starrer Hand eingreifen könne in sein junges Glück. Er lebte, liebte, das war ihm genug.

      Nicht so Sadie; auf jener stillen Insel still herangewachsen, hatte sie kaum von einem höheren Lebensziel gewußt;


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