Tahiti: Roman aus der Südsee. Zweiter Band.. Gerstäcker Friedrich
am Strand zu blühen, zu gedeihen und unter ihrem Schatten einst in leichter Erde, leicht und hoffend einem neuen, besseren Leben entgegen zu träumen. Da kam René – mit ihm erschloß sich eine neue Welt für sie, mit ihm gewann sie etwas was sie nie geahnt – ein geistiges Leben, neben ihrer Palmenwelt, und Alles das was ihr die Brust von da mit solcher Seligkeit erfüllte, fand in dem einem Herzen nur Ursprung und Ziel – und wenn das eine Herz ihr wieder schwand dann – nein, sie dachte den Gedanken nie aus, und wenn er aufsteigen wollte in ihr, floh sie vor sich selbst, und das Gefühl gewann erst wirklich festen Grund in ihr, bekam erst Farbe und Gestalt, als ihr ein anderer Schmerz durchs Leben zog – das erste schwere herbe Leid der jungen Brust.
Der alte ehrwürdige Mr. Osborne, ein Missionair im wahren Sinn des Worts, der Gottes Liebe voll und wahr im Herzen trug, und Tausenden schon damit Trost gebracht, fand gerade da, wo er Achtung und Anerkennung hätte fordern dürfen, mit seinem treuen ehrlichen Herzen, kalten dürren Grund, und wenn nicht offenen Kampf, weit Schlimmeres – heimlicher Bosheit Pfeil, der oft weit tödtlicher trifft als Blei und Stahl. Herüber und hinüber geschickt auf der Insel, wo er kaum des einen Stammes Herzen sich gewonnen, und wohlthätigen Einfluß auf sie auszuüben begann, gekränkt und angefeindet, geärgert und betrübt, erkrankte er endlich, und ehe René sowohl wie Sadie sich auf den schmerzlichen Verlust der ihnen drohte, vorbereiten konnten, ja ehe selbst nur die Befürchtung solcher Gefahr in ihnen aufgestiegen war, machte ein Nervenschlag seinem Leben ein sanftes und nur zu rasches Ende.
Der Schmerz traf tief in ihr junges, bis dahin ungetrübtes Glück, und Sadie besonders hatte viel, unendlich viel durch ihn verloren. Auch René schmerzte der Verlust des alten wackern Mannes, der ihm ein zwei ter Vater geworden, und ja auch eigentlich viel mit seinetwegen ertragen und geduldet.
Viele Monate vergingen denn auch, ehe sich Beide von dem Verlust erholen, an die Trennung von ihm gewöhnen konnten, und selbst dann noch wollte das Gefühl der Leere nicht ganz weichen – es fehlte ihnen ein Theil ihrer selbst, und der Alles lindernden Zeit mußte es vorbehalten bleiben sie vollständig dafür zu trösten.
Dieser Todesfall war aber auch für René zum Trieb geworden, sich irgend nach einer Thätigkeit umzuschauen, nach der auch, besonders jetzt allein auf sich selbst angewiesen und in der lebendigeren Ansiedlung mit neuen Bedürfnissen erwachsend, sein lebenskräftiger Geist sich sehnte und drängte. Eine solche Beschäftigung wurde ihm aber auch zuletzt zur Nothwendigkeit, wenn er nicht untergehen sollte in dem müßigen, dem Insulaner wohl zusagenden, dem gebildeten Europäer aber auf die Länge der Zeit nicht genügenden Leben.
Kurz vor Mr. Osbornes Tode war ein Theil des Capitals, das René in Frankreich stehen hatte, für ihn auf Tahiti eingetroffen, und er beschloß jetzt dasselbe in kaufmännischen Speculationen anzulegen, und sich außerdem mit dem Handel und Betrieb dieser Inseln bekannt zu machen. Er bedurfte dessen allerdings nicht seine Lage zu verbessern oder seine Existenz zu sichern, denn wenig genügte hier seinem einfachen Leben, aber er wollte einen Antrieb haben, der ihn irgend einem gestellten Ziel entgegen führte, und das zog ihn dann nicht allein nicht von seinem häuslichen Leben ab, sondern mußte diesem sogar einen noch höheren Reiz verleihen.
Seine kleine freundliche Wohnung lag vielleicht eine halbe Meile unterhalb Papetee, dicht am Meeresstrand, von hohen Wi- und Mapebäumen umgeben, und die freie Aussicht nach dem reizenden Imeo hinüber gewährend. Dort, schon mit mancher Europäischen Bequemlichkeit ausgestattet, hatte er sich sein Nest gebaut, und zog ihn auch über Tag dann und wann theils die Anknüpfung seiner Geschäfte, theils das rege politische Treiben dieser lebendigen Zeit für Tahiti, nach der Stadt, so fand ihn der Abend doch stets mit raschen Schritten heimwärts, in die Arme seines trauten Weibes eilend, und schmiegte sich dann das liebe holde Kind, dem die Mutterwürde einen fast noch höheren Reiz verliehen, kosend an seine Seite, dann segnete er wohl oft, in der Fülle seines Glücks, das Schiff, das ihn an diese gastliche Küste geführt, und mehr noch den Entschluß Freiheit und Leben daran gesetzt zu haben den Boden zu betreten, zu dem es ihn, wie mit einer höheren inneren Stimme unaufhaltsam getrieben.
Wie es dabei oft jungen Leuten geht, denen das Schicksal, und wie häufig ihnen zum Heil, in ihrer ersten Liebe, bei ihren ersten ehrgeizigen Plänen, den schon zum Genuß gehobenen Becher von den Lippen reißt, und die dann plötzlich ihre Rechnung mit der Welt abgeschlossen, ihre Ansprüche an das Leben und sein Glück vernichtet glauben und gar nicht einsehen wollen, daß ihnen die Welt erst jetzt so voll und weit die Arme öffnet, fand er Alles, Alles gerade in dem Augenblick erfüllt, wo er sich schon an Abgrunds Rande wähnte, und den Schritt für unvermeidlich, für unabwendbar hielt, der ihn zerschmettert in die Tiefe senden mußte.
Und wenn er dann wieder im Anfang, von einem Extrem zum andern überspringend, jeder Gefahr entrissen, mit jedem Wunsch erfüllt, in einem förmlichen Taumel von Wonne und Seligkeit der neu gefundenen Rettungsbahn, die ihn nun durch blumige Auen führte, wie im Traume folgte, verlor sich doch endlich dieses Gefühl, das ihn auch wirklich sein Glück nur halb empfinden ließ, und mit dem vollen Bewußtsein dessen was er sich hier, in dieser wunderherrlichen Welt gewonnen, kehrte auch unendliche Ruhe und Seligkeit ein in sein Herz – eine Ruhe die sein Weib unsagbar glücklich machte und ihrer Brust letzte, durch die anderen Protestantischen Geistlichen wachgerufenen Zweifel und Befürchtungen beschwichtigte und widerlegte, daß sich der unstete Geist des jungen Mannes so leicht und vollständig dem doch ganz neuen ungewohnten, und gewissermaßen abgeschlossenen Leben dieser Inseln fügen werde.
Wie aber der Wirkungskreis ein weiterer war, den er hier fand, so zeigte sich auch bald das Leben ein ganz anderes, als in dem stillen, abgeschlossenen Atiu. Tahiti, und auf ihm Papetee schien der Mittelpunkt des Handels und Verkehrs für die südlich vom Aequator gelegenen Inselgruppen werden zu wollen, und gerade in letzter Zeit hatten sich mehre Amerikanische wie Französische Familien hier niedergelassen, die den gesellschaftlichen Verhältnissen dieses kleinen Inselstaates einen neuen, bis dahin noch nicht gekannten Aufschwung zu geben versprachen. René dessen liebenswürdiges Benehmen ihm leicht die Herzen derer gewann, mit denen er in Berührung kam, trat bald darauf mit einem der Amerikaner sowohl wie den Franzosen in Geschäftsverbindung, und fand sich auf das Herzlichste bei ihnen eingeführt. Den Frauen besonders lag daran einen geselligen Verkehr auf diesem abgelegenen Punkt zu eröffnen und zu erhalten, und sie hörten kaum daß René verheirathet sei, als sie auch fest entschlossen waren ihn aufzusuchen und mehr an sich und ihr Haus zu fesseln.
René, der recht wohl fühlte daß er sich mit der stärkeren Bevölkerung der Insel, wenn sich besonders noch mehr Europäer herüber zogen, einem mehr geselligen Leben nicht ganz würde verschließen können, ja verschließen mochte, hatte schon seit einiger Zeit angefangen Sadie darauf vorzubereiten, und zum ersten Mal störte ihn hierin ihre ungezwungene Tracht, die dem Klima wie der freien Bewegung des Körpers doch so angemessen war. In den Kreisen in denen er sich aber in einem mehr geselligen Leben bewegen mußte, wäre dieselbe jedenfalls, wenn nicht geradezu ein Hinderniß, doch oft ein Stein des Anstoßes geworden. Allerdings fürchtete er im Anfang diesen Punkt bei Sadie zu berühren – es konnte sie kränken wenn sie glauben möchte sie gefiele ihm weniger jetzt in dem bunten flatternden Tuch, als früher in der ersten Liebe Zeit; aber Sadie war viel zu vernünftig nicht einzusehen, wie sie mit dem Gatten in einen anderen Wirkungskreis getreten wäre und sich dem anzuschmiegen hätte. Die liebe kleine Frau schüttelte wohl anfangs darüber lächelnd den Kopf, aber die neuen Kleider standen ihr vortrefflich, und mit dem, ihren Landsleuten eigenen Scharfblick fügte sie sich so leicht nicht allein in die Tracht, son dern auch in das ganze Neue und Fremde, das dieselbe mit sich brachte, als ob sie von Kindheit an darin aufgezogen gewesen wäre, und nicht erst hätte Alles abwerfen müssen was uns durch Gewohnheit und Sitte aus unserer Jugend noch fast zur andern Natur geworden, und mit unserm inneren Selbst verwachsen ist.
Störend allein griffen manchmal, wenn auch selten, die kirchlichen und dadurch wieder politischen Verhältnisse der Inseln in das Leben der Glücklichen ein, denen sich René selber am liebsten ganz entzogen hätte, wenn ihn eben die Geistlichen in Frieden gelassen. Die Protestantischen Missionaire hielten es aber für ihre Pflicht (ein entsetzliches Wort solcher Herren) die junge, im rechten Glauben erzogene und unglücklicherweise in die Hände eines Ungläubigen gerathene junge Frau, unaufhörlich vor dem Abgrund zu warnen an dem sie stehe, und ihr alle die Schrecknisse vor zu halten die sie erwarteten, wenn sie dem von ihrem Gatten betretenen Pfade folge.