Schöpfungen der Ingenieurtechnik der Neuzeit. Geitel Max
Bräckerbohm der Hein, Lehmann & Co., A. – G. zu Berlin. Bereits im Jahre 1909 erhielt diese von der Gesellschaft für drahtlose Telegraphie (Telefunken) den Auftrag zum Bau eines 100 m hohen als Antennenträger dienenden turmähnlichen, unten isolierten Mastes. Dieser erhielt einen dreieckigen Querschnitt und wurde gegen Umkippen durch Spannseile gesichert; die Aufstellung erforderte sechs Wochen. Im Jahre 1911 ergab sich die Notwendigkeit, diesen 100 m hohen Mast auf das Doppelte zu erhöhen, da ein Neubau aus verschiedenen Gründen unmöglich war. Gegen Weihnachten 1911 war die Erhöhung fast vollständig erfolgt, als die Arbeiten durch schwere Stürme überrascht wurden. Aus irgendwelchen Ursachen war in etwa 150 m die Erhöhung eingeknickt, und es erfolgte ein Zusammensturz des Turmes, glücklicherweise ohne Folgen für die Arbeiter und die benachbarten Gebäude. Als Notbehelf wurden auf Vorschlag der vorgenannten Firma zwei 120 m hohe Rohrmaste errichtet. Diese wurden auf der Erde liegend zusammengebaut und in einem Stück mit Hilfe eines 40 m hohen Hilfsmastes aufgerichtet. Wenige Wochen nach jenem Einsturz beschloß die Telefunken-Gesellschaft die Errichtung eines Turmes von 260 m Höhe, der in seinen Grundprinzipien mit dem eingestürzten Turme übereinstimmt, und dessen Verhältnisse zu dem Eiffelturm und zu dem Kölner Dom die zeigt. Bisher hatte die Isolation derartig schwerer Türme große Schwierigkeiten bereitet. Jetzt aber war es gelungen, die für die Isolation erforderlichen großen massiven Porzellankörper herzustellen. Die Aufstellung dieses Riesenturmes erforderte trotz der ungünstigen Jahreszeit (Wintermonate 1912/13) im ganzen nur 5 Monate. Die den Turm sichernden Spannvorrichtungen wirken derart zuverlässig, daß selbst bei den stärksten Stürmen kaum eine Bewegung der Abspannseile bemerkbar ist. Diese Bewegung wäre auch durchaus unschädlich, da der Mast sowohl an der Erde wie in der Mitte mit einem Gelenk versehen ist, das etwaige Schwingungen ausgleicht. Das Bauwerk stellt das Beste dar, was an Ermöglichung des Ausbaus und an Standsicherheit zu erreichen ist. Dies tritt besonders hervor, wenn man sich die Belastung vergegenwärtigt, die dieser 260 m hohe Turm zu tragen hat. Auf diesem ruht ein Drahtseil, das ihn an der Spitze mit 30 000 kg senkrecht und mit 6000 kg wagerecht belastet, eine Beanspruchung, welcher der Eiffelturm trotz der in ihn hineingebauten gewaltigen Eisenmassen nicht gewachsen wäre. Das Gewicht des 260 m hohen Turmes beträgt 360 000 kg; der Druck auf das Fundament beläuft sich bei Stürmen auf etwa 800 000 kg. Dieser 260 m-Turm befindet sich in Nauen in zwei Ausführungen; außerdem sind dort noch vorhanden: 2 Maste von je 150 m und 4 Maste von je 120 m Höhe; ferner ein 134 m hoher Turm. Trotz des verblüffend leichten Aufbaus sind alle diese Türme durchaus standsicher.
Große Leistungen ermöglicht das Eisen insbesondere im Hochbau bei der Errichtung der »Wolkenkratzer« der amerikanischen Großstädte. Noch im Jahre 1880 begnügte man sich in den Vereinigten Staaten mit 5–6 Stockwerken, bis man durch das Steigen der Bodenpreise gezwungen wurde, »in den offenen Raum zu flüchten«.
In der baulichen Ausbildung der Wolkenkratzer sind zwei Zeitabschnitte zu unterscheiden, deren erster bis zum Ende der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts, deren zweiter bis zur Gegenwart reicht. In dem ersten Zeitabschnitt übertrug man die für ein gewöhnliches Steingebäude üblichen Baugrundsätze auf Gebäude von doppelter und dreifacher Höhe. Hierbei war das Mauerwerk der hauptsächlich tragende Teil, während das Eisen nur zur gegenseitigen Versteifung der Wände, der Balkenlagen und des Daches benutzt wurde. Bald aber stellte sich heraus, daß diese Bauweise für die Errichtung höherer Gebäude nicht benutzbar war, weil in den unteren Geschossen die Mauerstärke ungebührlich vergrößert werden mußte, infolgedessen der verfügbare Bebauungsraum in unerwünschtem Maße beengt wurde. Die Eigenlast der Gebäude und damit deren Druck auf die Fundamente wurde ungemein groß. Hierdurch gelangte man auf eine andere Bauweise, die sog. »Skelett- und Furnierkonstruktion« (skeleton and veneer construction). Die bisher benutzten schweren Mauerwerksmassen sind hierbei durch aus Eisen hergestellte Gerippe ersetzt, die die sämtlichen Belastungen aufnehmen und auf das Fundament übertragen. Die Verteilung der inneren Räume läßt sich leicht in das Gerippe einbauen, während die feuerfesten Verkleidungen in Stein, Ziegel, Terrakotta u. dgl. gleichsam wie ein Furnier das ganze innere Eisengerippe umgeben. Diese Gerippebauart hat gegenüber der früheren Bauweise noch den großen Vorzug des raschen Aufbaus. Bauten, die früher ein Jahr und mehr beanspruchten, werden jetzt in 5–6 Monaten errichtet. Die mit dieser Bauweise zu erreichende größte Gebäudehöhe schätzt man auf 600 m.
Der höchste Wolkenkratzer ist das in dargestellte Woolworth-Gebäude in New York, das mit einem Kostenaufwand von 80 Mill. Mk. errichtet wurde. Es liegt am Broadway mit einer Front von 47 m und auf dem Park Place und Barklay Street mit einer Fassadenlänge von je 60 m. Der Turm erhebt sich vom Broadway mit 55 Stockwerken und besitzt 26 m im Quadrat. Der übrige Teil des Gebäudes hat 29 Stockwerke. Die Höhe des Turms über dem Straßenpflaster beträgt 221 m. Da auch unter der Straße noch Geschosse von 37,50 m Tiefe liegen, so ergibt sich eine Gesamthöhe vom Fundament bis zur Spitze des Turms von 258,50 m. Wenn sämtliche Räume vermietet sind, faßt der Bau 10 000 Personen. Der ausführende Architekt Cass Gilbert hat es verstanden, durch Anwendung des gotischen Stils und durch eigenartige Farbenzusammenstellung des Mauerwerks einen durchaus künstlerisch und harmonisch wirkenden Eindruck zu erwecken. Die von der Otis-Gesellschaft gelieferten, den Innenverkehr vermittelnden gewaltigen 26 elektrischen Fahrstühle besitzen eine Geschwindigkeit von 3,5 m in der Sekunde.
Angesichts der Wohnungsnot ist man auch in Deutschland dem Bau von Wolkenkratzern nähergetreten, wegen der hohen Eisenpreise aber bisher ohne tatsächlichen Erfolg. Da ist von Interesse, daß der Bau von Häusern bis zu 22 Stockwerken möglich ist ohne Anwendung von Eisen. Vorbedingung für derartige hohe Häuser ist, daß sie mit rundem oder elliptischem Grundriß aufgeführt werden und hierdurch befähigt sind, dem Winddruck besser zu widerstehen als Gebäude mit flachen Wänden und rechteckigem Grundriß.
In der neuesten Zeit nimmt der Eisenbeton in schnell steigendem Maße an Bedeutung als Baustoff zu. Derselbe besteht aus einer innigen Vereinigung von Eisen und Beton und verdankt seine hohe Festigkeit dem Umstande, daß jeder der beiden Baustoffe, aus denen er zusammengesetzt ist, diejenige Beanspruchung aufnimmt, wofür er besonders geeignet ist. Das Eisen nimmt die Zugspannungen, der Beton nimmt die Druckbeanspruchungen auf. Der Eisenbeton, der sich durch unbedingte Feuersicherheit, schnelle und billige Ausführbarkeit, Dauerhaftigkeit und leichtes Anpassungsvermögen auszeichnet, wird in der Weise hergestellt, daß ein Netzwerk von Eisenstäben, das in seiner Gestalt dem zu schaffenden Bauwerk entspricht, von einer Schalung umgeben wird und in dieser Schalung mit flüssigem Beton umgossen wird, der bei seiner Erstarrung eine unlösbare Verbindung mit dem eisernen Netzwerk eingeht. Die weitestgehende Verwendung findet der Eisenbeton zunächst im Hoch- und Brückenbau, sodann im Tiefbau und im Wasserbau. Die weitest gespannte Eisenbetonbrücke überschreitet den Mississippi bei Minneapolis mit einem Bogen von 121,92 m Weite und 26,82 m Pfeilhöhe. Jenseits des Ozeans verwendet man den Eisenbeton auch als Baustoff für Wolkenkratzer. Neuerdings hat der Eisenbeton eine zunehmende Bedeutung als Schiffbaustoff gewonnen, und zwar sowohl für Binnen-, wie für Seeschiffe. Als Vorzüge des Eisenbetonschiffbaus sind außer den bereits genannten zu nennen: Wasserdichtheit, elastisches Verhalten gegen Stoß, kurze Bauzeit, Möglichkeit der Reihenherstellung von Schiffen gleicher Bauart, geringe Reibung im Wasser, hohe Widerstandskraft gegen Seewasser, geringer Ansatz von Pflanzen und Muscheln am Schiffskörper. Anfangs wurde die Einführung des Eisenbetons in den Schiffbau durch den Umstand stark erschwert, daß sich das Eigengewicht der Schiffe im Verhältnis zu deren Ladefähigkeit sehr ungünstig gestaltete. Dieses Mißverhältnis scheint aber durch Schaffung eines sehr leichten Betons beseitigt zu sein. Schließlich werden jetzt auch Eisenbahnwagen in steigendem Maße aus Eisenbeton hergestellt. Der aus Eisenbeton hergestellte Wagen hat gegenüber dem eisernen Wagen den großen, bei den jetzigen hohen Eisenpreisen besonders wichtigen Vorzug, daß er erheblich weniger Eisen in Anspruch nimmt; so stehen beispielsweise den 2200 kg Profileisen des eisernen offenen 20 t-Güterwagens nur 700 kg Bandeisen und 200 kg Flach- und Quadrateisen des Eisenbetonwagens gegenüber.
II. Tunnelbauten
Von jeher hat der Riesenwall der Alpen den Wagemut der durch ihn voneinander getrennten Völkerschaften erregt.
Die ersten großen über die Alpen führenden Verkehrsstraßen stammen aus dem 18. Jahrhundert: Kaiserin Maria Theresia erbaute 1772 die über den Brenner führende »Kaiserstraße«; Napoleon I. schuf die Heerstraßen