Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre. Rudolf Virchow

Die Cellularpathologie in ihrer Begründung auf physiologische und pathologische Gewebelehre - Rudolf Virchow


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nennenden Gebilde in Beziehung zu den Orten, wo sie entstehen, so ergibt sich ihre Trennung von den homologen durch den Nachweis, dass sie von dem Typus desjenigen Theils, in welchem sie entstehen, abweichen. Wenn im Fettgewebe eine Fettgeschwulst oder im Bindegewebe eine Bindegewebs-Geschwulst sich bildet, so ist der Typus der Bildung des Neuen homolog dem Typus der Bildung des Alten. Alle solche Bildungen fallen der gewöhnlichen Bezeichnung nach unter den Begriff der Hypertrophie, oder, wie ich zur genaueren Unterscheidung vorgeschlagen habe zu sagen, der Hyperplasie15. Hypertrophie in meinem Sinne bezeichnet den Fall, wo die einzelnen Elemente eine beträchtliche Masse von Stoff in sich aufnehmen und dadurch grösser werden, und wo durch die gleichzeitige Vergrösserung vieler Elemente endlich ein ganzes Organ anschwillt. Bei einem dicker werdenden Muskel werden alle Primitivbündel dicker. Eine Leber kann einfach dadurch hypertrophisch werden, dass die einzelnen Leberzellen sich bedeutend vergrössern. In diesem Falle gibt es eine wirkliche Hypertrophie ohne eigentliche Neubildung. Von diesem Vorgange ist wesentlich verschieden der Fall, wo eine Vergrösserung erfolgt durch eine Vermehrung der Zahl der Elemente. Eine Leber kann nehmlich auch grösser werden dadurch, dass an der Stelle der gewöhnlichen Zellen sich eine Reihe von kleineren entwickelt. Ebenso sehen wir durch einfache Hypertrophie das Fettpolster der Haut anschwellen, indem jede einzelne Fettzelle eine grössere Masse von Fett aufnimmt; wenn dies an Tausenden und aber Tausenden, ja man kann sagen, an Hunderttausenden und Millionen von Zellen geschieht, so ist das Resultat ein sehr grobes und augenfälliges (Polysarcie). Allein es kann eben so gut sein, dass sich im Fettgewebe neben den alten Zellen neue hinzubilden und eine Vergrösserung der Gewebsmasse erfolgt, ohne dass die Elemente für sich eine Vergrösserung erfahren. Es handelt sich hier um wesentlich verschiedene Processe: um einfache und um numerische Hypertrophie.

      Hyperplastische Processe (numerische oder adjunctive Hypertrophie) bringen in allen Fällen Gewebe hervor, welche dem Gewebe des alten Theiles gleichartig sind. Eine Hyperplasie der Leber bringt wieder Leberzellen, die des Nerven wieder Nerven, die der Haut wieder die Elemente der Haut hervor. Ein heteroplastischer Process dagegen erzeugt Gewebselemente, welche freilich natürlichen Formen entsprechen, z. B. Elemente von drüsenartiger Natur, Nervenmasse, Theile von Bindegewebs- oder epithelialer Structur, aber diese Elemente entstehen nicht durch einfache Zunahme der vorher vorhanden gewesenen, sondern durch eine Neubildung mit Umwandlung des ursprünglichen Typus des Muttergewebes. Wenn sich Gehirnmasse im Eierstock bildet, so entsteht dieselbe nicht aus präexistirender Gehirnmasse, nicht durch irgend einen Akt einfacher Vermehrung; wenn Epidermis im Muskelfleische des Herzens entsteht, so mag sie noch so sehr übereinstimmen mit der auf der äusseren Haut, sie ist doch ein heteroplastisches Gebilde. Wenn sich Haare von ganz natürlichem Bau in der Hirnsubstanz finden, so mag man die grösste Uebereinstimmung finden zwischen ihnen und Haaren der Körper-Oberfläche; es werden dies immer heteroplastische Haare sein. So sehen wir Knorpelsubstanz entstehen, ohne dass ein wesentlicher Unterschied zwischen ihr und der gewöhnlichen, bekannten Knorpelsubstanz besteht, z. B. in Enchondromen. Dennoch erscheint das eigentliche Enchondrom als eine heteroplastische Geschwulst, selbst am Knochen. Denn der fertige Knochen hat an den Theilen, wo das Enchondrom sich bildet, keinen Knorpel mehr, und die Phrase von dem Knochenknorpel, als der organischen Grundlage des Knochens, ist eben nur eine Phrase. Es ist entweder die Tela ossea oder die Tela medullaris, in welcher das Enchondrom sitzt, und gerade da, wo eigentlicher Knorpel liegt, z. B. am Gelenkende, entstehen keine Enchondrome in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes. Dagegen finden wir sehr ausgezeichnete Enchondrome in Drüsen, z. B. in den Speicheldrüsen, im Hoden. Es handelt sich hier also nicht um eine Hypertrophie oder Hyperplasie, die ein normaler Knorpel eingeht, sondern es ist eine vollständige Neubildung, welche eine Veränderung des localen Gewebstypus darstellt. In meinem Sinne kann daher dasselbe Gewebe das eine Mal homolog, das andere Mal heterolog sein. Fettgewebe in der Nierenkapsel ist homolog, in der Nierensubstanz heterolog. Epithel in Drüsenkanälen ist homolog, im Knochen heterolog. Dieselbe Geschwulst kann an einer Stelle homolog, an einer anderen heterolog sein. Eine Knochengeschwulst (Osteom) am Knochen ist hyperplastisch, im Gehirn heteroplastisch.

      Diese Auffassung ist wesentlich verschieden von der früher gangbaren, wie sie z. B. Lobstein vertrat, als er die Neubildungen in homöoplastische und heteroplastische eintheilte. Denn bei ihm, wie noch in der neuesten französischen Schule, gilt als homöoplastisch jede Neubildung, welche eine den physiologischen Geweben oder Organen des Körpers entsprechende Zusammensetzung zeigt; eine jede solche wurde zugleich als gutartig angesehen. Ich dagegen nehme in Beziehung auf die Frage von der Heterologie und Homologie keine Rücksicht auf die Zusammensetzung des Neugebildes als solchen, sondern nur auf das Verhältniss desselben zu dem Mutterboden, aus dem es hervorgeht. Heterologie in diesem Sinne bezeichnet die Verschiedenartigkeit in dem Typus der Entwickelung des Neuen gegenüber dem Alten, oder, wie man gewöhnlich zu sagen pflegt, die Entartung (Degeneration), die Abweichung von der Eigenart des typischen Gewebes.

      Hiermit ist zugleich der entscheidende prognostische Anhaltspunkt gegeben. Wir kennen Geschwülste, welche den allergrössten Einklang ihrer Elemente darbieten mit den bekanntesten physiologischen Geweben. Eine Epidermis-Geschwulst kann, wie ich schon hervorgehoben habe, in ihren Elementen vollständig übereinstimmen mit gewöhnlicher Oberhaut, aber sie ist trotzdem nicht immer eine gutartige Geschwulst von bloss localer Bedeutung, welche abgeleitet werden dürfte von einer einfach hyperplastischen Vermehrung präexistirender Gewebe, denn sie entsteht zuweilen mitten in Theilen, welche fern davon sind, Epidermis oder Epithel zu besitzen, z. B. beim Kankroid im Innern von Lymphdrüsen, in dicken Bindegewebslagen, welche von allen Oberflächen entfernt liegen, ja sogar im Knochen. In diesen Fällen ist gewiss die Bildung von Epidermis so heterolog, als sich überhaupt etwas heterolog denken lässt. Auch hat die praktische Erfahrung gelehrt, dass es durchaus unrichtig war, aus der blossen Uebereinstimmung der pathologischen Epidermis mit physiologischer auf den gutartigen Verlauf des Falles zu schliessen. Vielmehr zeigt uns die Beobachtung der Kranken, dass jeder Fall verdächtig ist und uns zur Vorsicht mahnen muss, wo wir eine heterologe Neubildung antreffen.

      Gerade das ist, wie ich mit besonderer Betonung bemerken muss, nahezu der schwerste und am meisten begründete Vorwurf gewesen, welcher den mikrographischen Schilderungen der jüngst verflossenen Zeit gemacht wurde, dass sie, in dem Sinne Lobstein's von dem allerdings verzeihlichen Gesichtspunkte der histologischen Uebereinstimmung mancher normalen und abnormen Bildungen ausgehend, jedes pathologische Neugebilde für unschädlich ausgaben, welches eine Reproduction von präexistirenden und bekannten Körpergeweben darstellte. Wenn meine Ansicht richtig ist, dass überhaupt innerhalb der pathologischen Entwickelung keine absolut neuen Formen gefunden werden, dass es überall nur Bildungen gibt, die in der einen oder anderen Weise als Reproductionen physiologischer Gewebe betrachtet werden müssen, so fällt jener Gesichtspunkt in sich selbst zusammen. Für die Richtigkeit meiner Ansicht kann ich aber die Thatsache beibringen, dass ich bis jetzt in den Streitigkeiten über die Gut- oder Bösartigkeit bestimmter Geschwulstformen bis auf einen Fall immer noch Recht behalten habe, und dass ich in diesem Falle, wo ich der Erfahrung mehr Recht einräumte, als meiner Theorie, gerade durch eine neue Erfahrung von der Zuverlässigkeit dieser Theorie überzeugt wurde. Es handelte sich dabei um die Malignität einer Art des Dermoids. —

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      Fig. 30. Grosse Spindelzellen (fibroplastische Körper) in ihrer natürlichen Anordnung aus einem Sarcoma fusocellulare der Rückenmarkshäute. Vergröss. 350. (Geschwülste II. S. 197. Fig. 136).

      Dass es einer so langen Zeit bedurft hat, diese so einfachen Gesichtspunkte zu gewinnen, erklärt sich zum grossen Theile aus der ungenauen Kenntniss der selteneren histologischen Formen, zum kleineren aus der allerdings ungewöhnlichen Entwickelung mancher pathologischen Elemente. Die Krebszelle entspricht, wie ich gezeigt habe16, ihrer ganzen Erscheinung nach den Zellen der Epithelialformation. Aber in der Mehrzahl der Krebse haben die Zellen eine Grösse, Gestalt, Kernentwickelung, wie sie an dem gewöhnlichen Epithel selten vorkommt. Dagegen zeigt das früher (S. 30, Fig. 16.) erwähnte Epithel der Harnwege die grösste Uebereinstimmung damit, und man würde gewiss viel früher auf die richtige Deutung gekommen sein, wenn man dieses eigenthümliche Epithel früher richtig gewürdigt hätte. In den sogenannten Epidermiskrebsen


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<p>15</p>

Handbuch der spec. Pathol. u. Therapie. 1854. I. 327–28.

<p>16</p>

Archiv 1847. Bd. I. S. 105.