Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis. Max Bernhard Weinstein

Welt- und Lebenanschauungen; hervorgegangen aus Religion, Philosophie und Naturerkenntnis - Max Bernhard Weinstein


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der mit so außerordentlicher Heftigkeit in unseren Tagen geführt worden ist. Und gerade an diesen Streit kann ich anknüpfen. Er entsprang aus behaupteten Ähnlichkeiten zwischen der Literatur der Babylonier und gewissen Teilen der Bibel, so daß die erstere Vorläufer und Muster für die Erzählungen und die Lehren der Bibel sein sollte. Auch ganz abgesehen davon, ob die Ähnlichkeiten wirklich so bedeutend sind, daß man es wagen dürfte, ein Werk wie die Bibel in wichtigsten Teilen der Originalität zu entkleiden, machte sich in diesem Streit eine verblüffende Außerachtlassung aller Errungenschaften der Anthropologie geltend. Längst haben die Anthropologen erkannt, daß die Menschheit eine auffallend gleichartige Masse bildet, daß Gebräuche, Gedanken und Vorstellungen sich oft an den entferntesten Punkten der Erde in gleicher Weise vorfinden. Ein so ekelhafter und so seltsamer Brauch wie das Auffangen und Verwenden der Fäulnisflüssigkeit des Leichnams zeigt sich im Herzen Afrikas und auf weit abliegenden ozeanischen Inseln. Die Entstehung der Menschen aus Bäumen oder Steinen wird fast auf der ganzen Erde erzählt. Reineckes Streiche und Schlauheiten, nur übertragen auf Hasen und Schakale, geben auch den verschiedensten Negerstämmen Stoff zum Lachen. Märchen fast des gleichen Inhalts finden sich bei Völkern, die weder sprachlich noch stammlich zusammenhängen. Ich habe mir mehr als zwanzig Ähnlichkeiten sogar im Einzelnen zusammengestellt. Eine sehr seltsame und sehr wichtige, daß nämlich die Wasser über dem Himmel der Bibel in Ozeanien sich wiederfinden, habe ich schon in meinem Buche „Die Entstehung der Welt und der Erde nach Sage und Wissenschaft“ hervorgehoben. Ich kann hier mit noch einer, nicht minder bedeutenden, vielleicht noch bedeutenderen aufwarten. Nach der Bibel schafft Gott zwischen den Wassern eine Dehnung, wodurch die Scheidung zwischen Himmel und Erde bewirkt wird. Bei den Neuseeländern sind Himmel und Erde ursprünglich auch aufeinander und der Gott Tane-mahuta trennt sie, daß ein Zwischenraum zwischen ihnen entsteht. Geschieht letzteres auch grobsinnlich – der Gott stemmt den Kopf gegen die Erde, Papa, und die Füße gegen den Himmel, Rangi, und drückt so diese Gatten auseinander – die Sache ist doch die gleiche, das Schaffen der Ausdehnung zwischen Himmel und Erde. – Der Neuseeländische Maui wird von seiner Mutter, eingewickelt in einen Wulst ihrer Haare, ins Meer geworfen, von den Wogen ans Land gespült und dort aufgefunden und erzogen. Damit vergleiche man die Kindheitsgeschichte Mose. Der Hauptunterschied besteht nur darin, daß Mose von einer Königstochter aufgenommen wird, Maui von einem männlichen Vorfahr. – Die Polynesier haben Schwanenjungfrauen wie wir und mit fast den gleichen Erzählungen. – Ra kennzeichnet in Ozeanien den Sonnengott, genau wie im alten Ägypten. – Fast noch verwunderlicher ist, was Max Müller mitteilt, daß einem Zwillingsgötterpaar der indischen Mythologie, Yama und Yami, ein anderes, Yame und Yama, mit gleicher Bedeutung in Peru entspricht. Nun denke man, welche wilde Theorien unsere Babylonier darauf gegründet haben, daß im Babylonischen, das doch eine Schwestersprache des Hebräischen ist, ein Wort sich fand, das an Jehova anklang! Und Indien und Peru, Altägypten und Ozeanien! – Josuas Wunder, daß die Sonne auf sein Geheiß stehen bleibt, ist von vielen Ozeaniern nachgeahmt, z. B. bis ein Haus fertig ist oder ein Wanderer seinen Weg zurückgelegt hat. – Totenschiff und Totenführer kennen nicht bloß die Griechen, sondern auch die Polynesier und einige Afrikastämme und Indianer. – Maui raubt das Feuer wie Prometheus. – Solare Gottheiten der Neger erregen Krankheiten durch Wurfgeschosse wie Apollon. – Gleich den Israeliten geht ein Hottentottenheros, Heitsi-Eibibs, durch das Wasser, das sich vor ihm spaltet und wie dort über dem Verfolger zusammenschlägt. – Ich könnte noch viel mehr anführen, Regenbogen, Weltei, Wahrsagekunst, Jonas und anderes betreffend. Aber ich glaube, daß die obige kurze Aufzählung schon genügt darzutun, wie außerordentlich vorsichtig man bei Schlüssen aus Ähnlichkeiten sein muß. Diese Vorsicht muß aber geübt werden, sonst kann man hinsichtlich der Völkerzusammenhänge zu den bösesten Schlüssen kommen. Wir werden später noch vieles andere kennen lernen, was auf gleichem Gebiete liegt, Ost und West, Nord und Süd verbindet und seine Wurzel eben in Zufall oder in der Gleichartigkeit des Menschengeschlechts hat. Im allgemeinen kann man sagen, daß alles Entlehnte sich ziemlich bald durch Mißverständnis, Unstimmigkeit und Gezwungenheit verrät. Echtes, Eingeborenes, geht frei nach rechts und links ausgreifend und entwicklungsfähig einher. Doch sollen die Schwierigkeiten bei der Scheidung nicht verkannt werden.

      5. Einteilung der Welt- und Lebenanschauungen

      Man teilt die Welt- und Lebenanschauungen in zwei Klassen ein, in monistische und pluralistische oder multistische (dualistische, trialistische usf.). Die erstere Klasse soll Anschauungen enthalten, die, von einem Gesichtspunkt ausgehend, das gesamte All, ohne irgend eine Ausnahme darin, als eine Einheit mit zeitlich und räumlich unbegrenzt gleichen Eigenschaften betrachten. So z. B. behauptet der bekannteste Monismus – den ich hier nicht mit dem unzureichenden und irreführenden Beiwort: materialistischer, sondern allgemeiner und treffender: physischer Monismus bezeichnen will —, daß das gesamte All, belebt und unbelebt, stets und überall nur von den Erscheinungen, die wir in der unbelebten Natur kennen, erfüllt und beherrscht worden ist, wird und werden wird. Ihm gegenüber betrachtet der Dualismus die Welt von zwei unabhängigen Gesichtspunkten, z. B. indem er das All durchaus in Leben und Nichtleben, in Körper und Geist, in Gott und Welt usf. teilt. Noch weiter würde die Teilung gehen im Trialismus, Tetralismus usf. Dabei käme es eigentlich darauf an, daß die Trennungen im Pluralismus absolute sind. Derartige Anschauungen besitzen wir nicht recht; es läßt sich nicht vermeiden, daß eines in das andere eingreift. Indessen gibt es, wie wir noch sehen werden, einen wirklichen Monismus auch noch nicht. Überhaupt bringt es der Gegenstand mit sich, daß keine der Anschauungen auch nur theoretisch, geschweige praktisch, durchaus konsequent ist, wenigstens wenn man sie sachlich und nicht bloß nach den Behauptungen untersucht. Mitunter erscheinen die Anschauungen der Wilden, namentlich in ihrer praktischen Anwendung, bei weitem konsequenter als die der Kulturmenschen. Und das hat seinen guten Grund, den wir noch kennen lernen werden.

      Der obigen Einteilung werden wir nur bei den einzelnen Anschauungen Rechnung tragen können. Allgemein werden wir drei Hauptklassen unterscheiden: psychisch-religiöse, religionsphilosophische, philosophisch-physische, und werden darunter finden: irdisch-menschliche, irdisch-göttliche, religiöse, psychische (auch geistige), philosophische (metaphysische), physische (naturwissenschaftliche); phantomistische, theosophische, mystische Anschauungen. Die drei letzten sind durch das Semikolon absichtlich von den anderen getrennt; sie bedeuten eine eigenartige Gattung von Anschauungen diesen gegenüber, in der Phantasie und Grübelei eine besonders große Rolle spielen. Aus den ineinandergreifenden Benennungen in den Hauptklassen sieht der Leser schon, daß auch hier scharfe Scheidungen nicht vorhanden sind. Und wie sollten auch solche Scheidungen bestehen! Jede Anschauung wird regiert durch Erfahrung, Wunsch, Religion und Nachdenken. Die Erfahrung gibt die Welt wie sie ist, oder wenigstens erscheint, das ist das Physische. Der Wunsch richtet sich auf den Gang der Welt in bezug auf uns und auf andere, als positiver und negativer Egoismus, bedeutet also das Irdisch-menschliche. Die Religion ist bei den meisten verdeckter Egoismus, und zwar natürlicher Egoismus, der, berechtigt, auf Erhaltung seiner selbst und anderer geht, aber auch häßlicher, der die Gottheit oder die Weltordnung zur Demütigung, Dienstbarmachung oder gar Vernichtung des Anderen sich zum Vorteil oder nur zur Schadenfreude herbeiruft. Bei anderen, wie bemerkt, und wiederum recht vielen, ist sie lediglich gedankenloses Anhängen an bestimmte Satzungen. Verhältnismäßig die Minderzahl faßt die Religion innerlich mit tiefem Fühlen und fester Überzeugung auf. Endlich das Nachdenken, das philosophische, sucht die unmittelbare Erfahrung der äußeren und inneren Welt zu verknüpfen; Widerstrebendes zu vereinigen, das Mannigfaltige zu vereinheitlichen und aus allem diesen das Gewirr der Welt und des Lebens unter wenige Gesichtspunkte zu bringen, die auch Schlüsse auf Unbekanntes und Zukünftiges gestatten. Dazu können wir getrost auch das Phantasieren und Grübeln rechnen, die beide nur ein Übergreifen des Denkens auf übersinnliche oder unsinnliche Objekte darstellen. Das eine oder das andere von diesen vier Steuern auf dem Meere der Anschauungen mag hier und dort nicht zur Anwendung gelangen, es mag sogar herausgehoben und als unnötig beiseite gelegt werden. Das tut nichts und berührt die Bedeutung dieser Steuer für die Gesamtbetrachtung nicht.

      Und so kennzeichnen die gewählten Namen für die einzelnen Anschauungen nur das Vorwiegende in der jeweiligen Anschauung. Denn beispielsweise fehlt das Physische in keiner der Anschauungen, aber es gibt Anschauungen, in denen es ganz besonders zur Geltung gebracht ist. Gleicherweise verhält es sich mit dem Religiösen, wo nur die rein materialistischen Anschauungen


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