Das Mädchen Der Verbotenen Regenbögen. Rosette
Stehen, die durch die Mühe die Bücher einzuordnen, gedehnt waren. Auf diese geringe Entfernung konnte ich seinen zarten Duft einatmen. Eine geheimnisvolle und verführerische Mischung aus Blumen und Gewürzen.
„Und was macht eine zierliche Sekretärin mit roten Haaren und italienischen Vorfahren in einem abgelegenen schottischen Dorf?“
„Mein Vater emigrierte, um seine Frau und Tochter zu ernähren. Ich wurde in Belgien geboren.“ Ich versuchte verzweifelt nach einer Möglichkeit, das Thema zu wechseln, aber das war nicht einfach. Seine Nähe verwirrte meine Gedanken, verknotete sie in einem Knäuel, das nur schwer zu entwirren war.
„Von Belgien nach London und dann nach Schottland. Und das mit nur zweiundzwanzig Jahren. Du musst zugeben, dass das zumindest außergewöhnlich ist.“
„Lust, die Welt kennenzulernen“, sagte ich zurückhaltend.
Ich schaute zu ihm. Die Runzeln auf seiner Stirn verschwanden wie Schnee in der Sonne und machten einer gesunden Neugier Platz. Es gab keine Möglichkeit ihn abzulenken. Draußen tobte ein heftiger Sturm und ein ähnlicher Kampf fand in meinem Inneren statt. Mit ihm zu sprechen war normal, spontan, befreiend, aber ich konnte nicht, ich durfte nicht hemmungslos reden, sonst würde ich es bereuen.
„Lust, die Welt kennenzulernen und um dann in dieser abgelegenen Ecke der Welt zu landen?“ Sein Ton war deutlich mit Skepsis durchsetzt. „Du musst mir keine Lügen auftischen, Melisande Bruno. Ich richte dich nicht, auch wenn es so scheinen mag.“
Etwas in meinem Innern zerbrach in Stücke und gab Erinnerungen frei, die ich für immer begraben glaubte. Nur einmal hatte ich jemandem vertraut und das hatte ein schlechtes Ende. Nur das Schicksal hatte eine Tragödie verhindert. Meine Tragödie.
„Ich lüge nicht. Auch hier kann man etwas über die Welt lernen“, sagte ich lächelnd. „Ich bin noch nie in den Highlands gewesen. Und außerdem bin ich noch jung, und kann immer noch reisen, anschauen und neue Orte entdecken.“
„Und so schlägst du also vor, abzureisen“. Seine Stimme war hatte nun einen heiseren Ton.
Ich drehte mich zu ihm. Ein Schatten hatte sich auf sein Gesicht gelegt. Er hatte etwas Verzweifeltes, Wütendes, Gieriges an sich in diesem Moment.
Mir fehlten die Worte und starrte ihn einfach an.
Er machte eine schnelle Drehung mit dem Rollstuhl und bewegte sich in Richtung Schreibtisch. „Keine Sorge. Wenn du weiterhin so faul bist, schicke ich dich höchstpersönlich weg und dann kannst du deine Weltreise fortsetzen.“
Seine harten Worte trafen mich fast wie ein Eimer Eiswasser, der auf mich geworfen wurde. Er hielt vor dem Fenster, beide Hände krallten sich an den Rollstuhl, die Schulter war stocksteif.
„Sie hatten Recht. Der Sturm ist bereits vorbei. Es gibt also keine Möglichkeit, McIntosh heute zu meiden. Es scheint, dass ich immer alles falsch machte.“
„Oh, schau, ein Regenbogen“. Er rief mich, ohne sich umzudrehen. „Kommen Sie her und sehen Sie selbst, Miss Bruno. Ist es nicht ein faszinierendes Schauspiel? Ich bezweifle, dass Sie schon einmal einen gesehen haben.“
„Doch, ich habe schon mal einen gesehen“, konterte ich und blieb bewegungslos. Ein Regenbogen war das grausame Symbol dessen, was mir zeitlebens verweigert wurde. Die Wahrnehmung von Farben, ihr wunderbares Zusammenspiel, ihr archaisches Geheimnis.
Meine Stimme war so zerbrechlich wie eine Eisschicht, meine Schultern noch steifer als seine.
Er hatte erneut eine Mauer zwischen uns errichtet, hoch und unüberwindbar. Eine uneinnehmbare Festung.
Oder vielleicht war ich diejenige, die es dieses Mal zuerst getan hat.
Sechstes Kapitel
„Möchtest du mit mir Abendessen, Melisande Bruno?“
Ich starrte ihn mit großen Augen an, weil ich davon überzeugt war, nicht richtig gehört zu haben. Er hatte mich stundenlang ignoriert, und die wenigen Male, die er sich dazu herabgelassen hatte, mit mir zu reden, war er unsympathisch und kalt.
Anfangs wollte ich ablehnen, weil ich über sein kindisches und sprunghaftes Verhalten verärgert war, aber dann hatte doch die Neugier gesiegt. Oder vielleicht war es die Hoffnung sein schräges, freundliches und einladendes Lächeln wiedersehen zu dürfen. Ganz egal, aus welchen Gründen auch immer, meine Antwort war: Ja.
Mrs. Mc Millian war von der Nachricht so geschockt, dass sie während der ganzen Zeit, in der sie uns das Abendessen servierte, keinen Ton von sich gab, was bei uns Beiden ein stilles Schmunzeln verursachte.
Mc Laine hatte sich entspannt und nicht mehr diesen strengen Ausdruck im Gesicht, den ich so zu fürchten gelernt hatte.
Unser gemeinsames Schweigen brachen wir erst als die Haushälterin aus dem Raum ging und uns alleine ließ.
„Wir haben es tatsächlich geschafft, dass es der guten Millicent die Stimme verschlagen hat... Ich glaube, damit sind wir rekordverdächtig“, bemerkte er mit einem Lachen, das bis ins Innerste meines Herzen drang.
„Definitiv“ stimmte ich zu. „Es ist ein wirklich ein titanisches Unterfangen. Ich dachte nicht, dass ich das je erleben würde.“
„Da hast du Recht.“ Er zwinkerte mir zu und griff nach einem Fleischspieß.
Das improvisierte Abendessen war informell, aber sehr lecker, und seine Gesellschaft das Einzige, das ich mir hätte wünschen können. Ich versprach mir, nicht das Geringste zu tun, um diese idyllische Atmosphäre zu ruinieren, aber dann fiel mir ein, dass das nicht nur von mir abhing. Mein Gegenüber hatte bereits mehrfach bewiesen, wie einfach es ist ihn, auch ohne ersichtlichen Grund, zu verärgern.
In diesem Moment lächelte er, und ich verspürte einen Stich bei dem Gedanken, nicht die genaue Farbe seiner Augen und seiner Haare zu kennen.
„Und, Melisande Bruno, gefällt Dir Midnight Rose?“
Mir gefällst du, vor allem, wenn du so unbeschwert und in Frieden mit dir und der Welt bist.
Laut sagte ich: „Wem würde es nicht gefallen? Es ist ein Stückchen Paradies, weit weg von Hektik, Stress, Alltagsroutine.“
Er hörte auf zu essen, als ob er sich mit meiner Stimme als Nahrung begnügte. Und auch ich begann etwas langsamer zu kauen, um ja nicht den Zauber, der zerbrechlicher als Glas und schwereloser als ein Blatt im Herbstwind war, zu zerstören.
„Für jemanden, der aus London kommt, muss es wohl so sein“, räumte er ein. „Bist du viel gereist?“
Ich führte das Weinglas zum Mund, bevor ich antwortete. „Weniger als mir lieb ist. Aber ich habe eines erkannt: die Welt entdeckt man in den kleinen Ecken, Falten und Furchen, nicht in den großen Städten.“
„Deine Weisheit steht deiner Schönheit in nichts nach“, sagte er ernst. „Und was entdeckst du in diesem sonderbaren schottischen Dorf?“
„Das Dorf habe ich noch nicht gesehen“, erinnerte ich ihn ohne Groll. „Aber Midnight Rose ist ein interessanter Ort. Es kommt mir vor, als ob man hier die Welt anhalten kann, und die Zukunft nicht vermisst.“
Er hörte meinen Worten kopfschüttelnd zu. „Du hast das Wesen dieses Hauses in so wenig Zeit erfasst... Ich habe es bis heute noch nicht geschafft... .“
Ich antwortete nicht, die Furcht die soeben wiedereroberte Intimität zu zerstören, lähmte meine Zunge.
Er schaute mich aufmerksam an, so wie er es oft tat, so als ob ich ein Forschungsobjekt auf dem Glasträger und er das Mikroskop wäre. Die nächste Frage war wohl überlegt, aber explosiv und Vorbote einer drohenden Katastrophe.
„Hast du Familie, Melisande Bruno? Leben deine Angehörigen noch?“
Es schien nicht eine Frage zu sein, die einfach nur so gestellt wurde. Sie beherbergte ein brennendes und echtes Interesse.
Ich überspielte mein Zögern,