Der Graf von Bragelonne. Александр Дюма

Der Graf von Bragelonne - Александр Дюма


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würde das Genie nützen, Euer Genie, Guénaud? Wozu nützen endlich die Wissenschaft und die Kunst, wenn der Kranke, der über dies Alles verfügt, sich nicht aus der Gefahr zu retten vermag?«

      Guénaud wollte den Mund öffnen, doch Mazarin fuhr fort:

      »Bedenkt, daß ich der Vertrauensvollste von Euren Kunden bin; bedenkt, daß ich Euch blindlings gehorche, und daß folglich . . . «

      »Ich weiß dies Alles,« sagte Guénaud.

      »Ich werde also genesen?«

      »Monseigneur, weder Willenskraft, noch Genie, noch Wissenschaft vermögen dem Uebel zu widerstehen, das Gott sendet oder auf die Erde schleudert mit der Vollmacht, den Menschen zu zerstören und zu tödten. Ist das Uebel tödtlich, so tödtet es, und nichts vermag dagegen . . . «

      »Mein Uebel … ist . . . tödtlich?« fragte Mazarin.

      »Ja, Monseigneur.«

      Die Eminenz sank einen Augenblick zusammen, wie der Unglückliche, den der Sturz einer Säule niederschmettert . . . Aber Herr von Mazarin besaß eine sehr kräftig gestählte Seele oder vielmehr einen sehr starken Geist.

      »Guénaud,« sagte er, sich erhebend, »Ihr werdet mir wohl erlauben, von Eurem Urtheil zu appelliren. Ich will die gelehrtesten Männer Europas versammeln, ich will sie um Rath fragen, ich will endlich durch die Wirkung irgend eines Mittels leben.«

      »Monseigneur glaubt wohl nicht, ich sei so anmaßend gewesen, ganz allein ein Urtheil über ein so kostbares Dasein, wie das Eurige, zu fällen; ich habe schon alle guten Aerzte Frankreichs und Europas versammelt … es waren ihrer zwölf.«

      »Und sie sagten?«

      »Sie sagten. Eure Eminenz sei von einer unheilbaren Krankheit befallen; ich habe die Consultation unterzeichnet in meiner Brieftasche bei mir. Will Eure Eminenz Kenntniß davon nehmen, so wird sie den Namen von allen den unheilbaren Uebeln sehen, die wir entdeckt haben. Es findet sich vor Allem . . . «

      »Nein! nein!« rief Mazarin, das Papier zurückstoßend. »Nein, Guénaud, ich ergebe mich! ich ergebe mich!«

      Hierauf trat ein tiefes Stillschweigen ein, der Cardinal sammelte seine Geister und Kräfte wieder und sagte dann:

      »Es gibt noch etwas Anderes; es gibt die Empyriker, die Charlatans. In meiner Heimath werfen sich diejenigen, welche die Aerzte verlassen, in die Arme der Quacksalber, von denen sie zehnmal getödtet, aber hundertmal gerettet werden.«

      »Bemerkt Eure Eminenz nicht, daß ich seit einem Monat zehnmal die Arzneimittel verändert habe?«

      »Ja . . . Nun?«

      »Nun, ich habe fünfzigtausend Livres ausgegeben, um allen diesen Burschen ihre Geheimnisse abzukaufen: die Liste ist erschöpft, meine Börse auch. Ihr seid nicht geheilt, und ohne meine Kunst wäret Ihr todt.«

      »Es ist vorbei,« murmelte der Cardinal, »es ist vorbei.«

      Er schaute mit einem düsteren Blick auf seinen Reichthümern umher.

      »Ich werde dies Alles verlassen müssen!« seufzte er. »Ich bin todt, Guénaud, ich bin todt!«

      »Oh! noch nicht, Monseigneur,« sagte der Arzt.

      Mazarin ergriff seine Hand und fragte, indem er zwei große, starre Augen auf das unempfindliche Gesicht des Arztes heftete:

      »In wie viel Zeit?«

      »Monseigneur, man sagt das nie.«

      »Es mag sein, gewöhnlichen Menschen, doch mir . . . mir, bei dem jede Minute einen Schatz werth ist; sage es mir, Guénaud, sage es mir!«

      »Nein, nein, Monseigneur.«

      »Ich will es haben, ich will es haben. Oh! gib mir einen Monat, und für jeden von diesen dreißig Tagen bezahle ich Dir hunderttausend Livres,«

      »Monseigneur.« entgegnete Guénaud mit fester Stimme, »Gott schenkt Euch die Gnadentage und nicht ich. Gott schenkt Euch nur vierzehn Tage!«

      Der Cardinal stieß einen schmerzlichen Seufzer aus, fiel auf sein Kopfkissen zurück und flüsterte:

      »Ich danke Euch, Guénaud.«

      Der Arzt wollte sich entfernen; doch der Sterbende erhob sich noch einmal und sprach mit flammenden Augen:

      »Still geschwiegen, Guénaud, still geschwiegen!«

      »Monseigneur, seit zwei Tagen weiß ich das Geheimniß; Ihr seht, daß ich es wohl bewahrt habe.«

      »Geht, Guénaud, ich werde für Euer Glück Sorge tragen. Geht und heißt Brienne mir einen Commis schicken, den man Herrn Colbert nennt.«

       IV.

      Colbert

      Colbert war nicht fern. Er hatte sich den ganzen Abend in einem Corridor aufgehalten, wo er mit Bernouin und Brienne plauderte und mit der gewöhnlichen Geschicklichkeit der Hofleute Commentare zu den Neuigkeiten machte, welche, wie Luftblasen auf dem Wasser, auf der Oberfläche jedes Ereignisses erschienen. Es ist ohne Zweifel Zeit, mit einigen Worten eines der interessantesten Portrait? dieses Jahrhunderts zu entwerfen, und es vielleicht mit so viel Wahrheit zu zeichnen, als dies nur Maler jener Zeit thun konnten. Colbert war ein Mann, auf den der Geschichtschreiber und der Moralist ein gleiches Recht haben.

      Er war dreizehn Jahre älter, als Ludwig XIV., sein künftiger Herr. Von mittlerem Wuchse, eher mager als fett, hatte er ein tiefliegendes Auge, eine gemeine Miene und dicke, schwarze, spärliche Haare, was ihn, wie die Biographen seiner Zeit sagen, frühe die Plattmütze nehmen ließ. Ein Blick voll Strenge, voll Härte sogar, eine Art von Steifheit, welche für die Untergeordneten Stolz, für die Höheren eine Affectation strenger Tugend war; ein trotziges Gesicht bei allen Dingen, selbst wenn er sich allein in seinem Spiegel betrachtete . . . dies war das Aeußere unseres Mannes.

      In moralischer Hinsicht rühmte man die Tiefe seines Talents im Rechnungswesen, seinen erfindungsreichen Geist, um selbst der Unfruchtbarkeit einen Ertrag abzunöthigen.

      Colbert hatte den Einfall gehabt, die Gouverneurs der Gränzfestungen zu zwingen, die Garnisonen ohne Sold, aus dem, was sie von den Contributionen bezogen, zu ernähren. Eine so kostbare Eigenschaft gab dem Herrn Cardinal Mazarin den Gedanken, Joubert, seinen Intendanten, der kurz zuvor gestorben war, durch Herrn Colbert zu ersetzen, der die Portionen so gut zu benagen wußte.

      Colbert schwang sich allmälig bei Hofe empor, trotz der Mittelmäßigkeit seiner Geburt, denn er war der Sohn eines Mannes, der Wein verkaufte, wie sein Vater, welcher sofort mit Tuch und dann mit Seidenstoffen gehandelt hat.

      Anfangs zum Kaufmann bestimmt, war Colbert zuerst Commis in einem Handelsgeschäft in Lyon, das er verließ, um in Paris in die Schreibstube eines Anwalts beim Chatelet, Namens Biterne, einzutreten. So lernte er die Kunst, eine Rechnung zu stellen, und die noch viel kostbarere Kunst, eine Rechnung zu verwirren.

      Die Steifheit von Colbert kam diesem vortrefflich zu Statten, so wahr ist es, daß das Glück, wenn es eine Laune hat, jenen Frauen des Alterthums gleicht, deren Phantasie nichts bei dem Physischen und Moralischen der Dinge und der Menschen zurückschreckt. Colbert, der bei Michel Letellier, Staatssecretaire im Jahr 1646, durch seinen Vetter Colbert, Grundherrn von Saint-Ponange, welcher ihn begünstigte, ein Unterkommen gefunden hatte, erhielt eines Tages vom Minister einen Auftrag an den Cardinal Mazarin.

      Seine Eminenz der Cardinal erfreute sich damals noch einer blühenden Gesundheit, und die schlimmen Jahre der Fronde hatten für ihn noch nicht dreifach und vierfach gezählt. Er war in Sedan, sehr tief in eine Hofintrigue verwickelt, wobei Anna von Oesterreich, seine Sache verlassen zu wollen schien.

      Letellier hielt alle Fäden dieser Intrigue in seinen Händen.

      Er hatte von Anna von Oesterreich einen für ihn sehr kostbaren und für Mazarin sehr gefährlichen Brief erhalten; doch da er schon die doppelte Rolle spielte, die ihn so gut unterstützte, und stets zwei Feinde nährte, um aus dem einen und aus dem andern Nutzen zu ziehen, sei es dadurch, daß er sie noch mehr entzweite, als sie es schon waren, sei es, daß er


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