Lache Bajazzo. Artur Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Landsberger


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– Ich will! – Ich will!«

      Carl zog sie tief in die Loge zurück und versprach ihr, sie außer im Tanz auch für die Bühne ausbilden zu lassen. Und von diesem Augenblick an kannte Agnes nur eine Sehnsucht: zu werden, was Estella von Pforten war.

      Und sie ließ Carl keine Ruhe, bis er mit Werner zu Estella von Pforten ging und sie bat, Agnes mit den Anfangsgründen der Schauspielkunst bekannt zu machen. Die lehnte erst ab; und erst der Vermittelung des reichen Peter, der mit Werner befreundet und Estellas Freund war, gelang es, sie gegen ein märchenhaftes Honorar zur Erteilung des Unterrichts zu bestimmen.

      Und da Carl in diesen Tagen in aller Munde war, wie seit langem kein Dichter mehr – da man sich in der Presse nicht nur mit seinen Werken, sondern auch viel mit seinem Leben beschäftigte, und ganze Spalten über den einsamen Dichter schrieb, der »fern dem Getriebe der Welt in glücklichster Ehe mit seiner gleichaltrigen Gattin wie ein Einsiedler in seinen Bergen lebe«, so gewann sein Verhältnis zu der Tänzerin Agnes, das man bei jedem anderen Dichter als etwas Alltägliches kaum beachtet hätte, eine gewisse Bedeutung. Ja, die Szene in der Theaterloge, die schon am nächsten Tage in aller Munde war, machte Agnes schnell bekannt und verhalf ihr zu einer gewissen Berühmtheit.

      Auf Estella von Pfortens Wunsch saß sie nun allabendlich in ihrer Loge. Auf die richtete jeder Besucher, sobald er das Theater betrat, sein Glas. Zu ihrer Berühmtheit gesellte sich die Sensation. Und wenn man auch nicht gerade ihretwegen ins Theater ging, so interessierte sie doch mehr als Estella von Pforten. Und so oft sich auf den Beifall hin nach den Aktschlüssen der Vorhang schloß und es hell wurde, sahen alle, als wenn sie den ganzen Akt über nur darauf gewartet hätten, in die Loge. Estella, die sich auf der Bühne verbeugte, beachtete kaum noch einer.

      Kein Wunder, daß es unter diesen Umständen Ehrensache für Frau Geheimrat Weber war, diesen literarischen Leckerbissen, wie es der Gatte nannte, ihrem Freitag-Nachmittag-Tee vorzusetzen. Und die Gerüchte über Agnes’ Herkunft, über die man geheimnisvoll allerlei munkelte, ohne bei der Diskretion der beiden Brands je etwas Bestimmtes zu erfahren, erhöhten nur den Reiz. Für Frau Geheimrat Weber, der daran lag, für eine moderne, vorurteilslose Frau in gelten, waren sie Anlaß, ihren Beziehungen zu Agnes, wenigstens nach außen hin, einen freundschaftlichen Charakter zu geben.

      So war die Schule, die Agnes genoß, in jeder Weise die denkbar beste. Lori und die Frau Geheimrat ergänzten sich ausgezeichnet. Für das ganz aufs Aeußere Gestellte, Oberflächliche, Formale, Berechnende, kurz für das rein Gesellschaftliche, konnte es keinen besseren Lehrmeister geben, als es Frau Geheimrat Weber war. Die Fähigkeit, mit echten und vorgetäuschten Gefühlen den Mann zu fesseln und zu beherrschen, sah sie bei Lori. Das Geheimnis, den so schwierigen Ausgleich zwischen beiden zu finden, lehrte Estella. Und das Wichtigste, was sich nicht erlernen ließ, weiblichen Instinkt, brachte sie mit.

*

      Auch während der Fahrt war Carl mit seinen Gedanken ausschließlich bei Agnes. Erst kurz vor München dachte er zum ersten Male an die Heimkehr.

      Was waren das sonst für schöne Stunden, wenn er von einer Reise kam und seine Berge wiedersah. Und am Bahnhof stand immer an der gleichen Stelle seine Frau und wartete auf ihn. Und ihre Festigkeit und ihr Gleichmaß wirkten so stark auf ihn, daß er meist schon auf der Heimfahrt Mißliches, was hinter ihm lag, vergaß, und am nächsten Morgen mit dem Gefühl, als wäre er nie fortgewesen, wieder an die Arbeit ging. Und so kam über ihn, den allein schon das Zusammensein mit fremden Menschen aus dem Gleichgewicht brachte, je näher er seinem Dorfe kam, eine immer größere Ruhe.

      So war es sonst! Wie anders heute!

      War ihm während der ersten Stunden der Fahrt leicht gewesen wie nie zuvor, so spürte er jetzt ein Unbehagen, gegen das er vergebens anzukämpfen suchte. Mit jedem Kilometerstein, an dem der Zug vorüberraste, fühlte er sich schwerer und bedrückter. Als er Tutzing vor sich liegen sah, schloß er die Augen und fühlte den Wunsch, sie erst wieder zu öffnen, wenn der Zug längst über das Dorf hinaus wäre.

      Was waren das nur für Gefühle, die er da plötzlich für seine Frau empfand? War der Wunsch nicht stark und deutlich in ihm: wenn sie doch heute nicht da stände! – Er erschrak über sich selbst. Wie konnte ein Gefühl, das sich zwanzig Jahre lang stark und unverändert geäußert hatte, so plötzlich aussetzen?

      Als Erster war er sonst stets aus dem Zuge, und während sich die anderen Reisenden noch durch die Sperre drängten, stand er schon auf der Landstraße, drückte seine Frau an sich, holte tief Atem und sagte:

      »Gott sei Dank! Da bin ich wieder!« Dann begrüßte er mit kräftigem Händedruck Alois, den Knecht, klopfte den strammen Fuchs, der mit den Füßen scharrte, auf den Hals und gab ihm Zucker, den er aus dem Speisewagen mitbrachte. Dann erst bestieg er den Wagen.

      So war es sonst. Heute aber war ihm die Kehle wie zugeschnürt.

      Der Zug hielt. Er nahm seine Tasche und trat auf den Gang. Auf dem Bahnsteig stand seine Frau; froher noch als sonst, und winkte ihm zu.

      Er war nicht der Erste heute, der durch die Sperre ging, und seine Augen hatten nicht den Glanz wie sonst, als er auf sie zuging, ihr die Hand reichte und sagte:

      »Grüß Gott, Cläre!«

      Also schlechte Kritiken! dachte Cläre und ging, ohne ein Wort zu sprechen, neben ihm aus dem Bahnhofsgebäude.

      Als sie jetzt aber auf der Landstraße standen, und er sie nicht wie sonst unter den Arm nahm, den Knecht, der sich schon die Hand an seinem Rock abwischte, nur durch Nicken des Kopfes begrüßte und von dem scharrenden Fuchs überhaupt keine Notiz nahm, da nahm sie seine Hand und fragte teilnahmsvoll:

      »Was ist dir?«

      Er sah sie lange an: »Das ist so schwer zu sagen, Cläre.«

      »Willst du nicht Alois begrüßen?« fragte sie.

      »Ach so! – richtig!« und er reichte ihm die Hand.

      »Grüß Gott, Alois! Na?«

      »Dank schön, Herr Doktor! Alleweil gut! – Und der Hans schaut auch net übel aus.«

      Dabei wies er mit der Peitsche auf den Fuchs, um zu zeigen, daß noch einer war, der begrüßt sein wollte.

      Carl griff gewohnheitsgemäß in die Tasche, und Cläre lachte und sagte:

      »Na also!«

      Aber Carl schüttelte gleich darauf den Kopf und sagte:

      »Das habe ich doch wahrhaftig vergessen.«

      Alois hob die Peitsche, und der enttäuschte Hans zog an.

      Nach einer Weile fragte Cläre:

      »Bist du zufrieden?«

      Carl wandte sich zu ihr und fragte:

      »Womit?«

      »Seltsame Frage! Mit deinem Erfolg; womit wohl sonst? Nach den Münchener Zeitungen und den Briefen, die man uns schreibt, muß man dich ja beispiellos gefeiert haben.«

      »Ja, ja!« sagte Carl hastig. »Das stimmt – gefeiert hat man mich. Und meine anderen Dramen kommen nun auch. Bis gestern hatte Brand bereits zweiunddreißig Annahmen.«

      »Und die Kritiken?«

      »Sämtlich über Erwarten gut.«

      »Und trotzdem . . .?« sie sah ihn an und schüttelte den Kopf.

      Carl quälte sich.

      »Natürlich! Wissen mußt du’s,« sagte er.

      »Die ganzen zwanzig Jahre über hatten wir kein Geheimnis voreinander,« erwiderte Cläre, »und doch würde ich mich damit abfinden, wenn du mir nur sagst, daß es keine Sorge ist, und daß du glücklich bist.«

      »Würdest du das wirklich?« fragte Carl.

      »Ja!«

      »Es könnte eine große Freude sein, wenn ich wüßte, daß es dich nicht kränkt.«

      »Kann mich kränken, was dich erfreut?« fragte sie.

      »Gewiß nicht! Ich habe selbst noch nicht darüber nachgedacht. Erst jetzt, wo es an mich herantritt, ich meine, wo ich mit dir darüber


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