Lache Bajazzo. Artur Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Landsberger


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hinter dem primitiven Ausdruck ihres Gefühls verbarg.

      Plötzlich ertönte ein Klingelzeichen; im selben Augenblick brachen Klavierspieler und Publikum mitten im Refrain ab. Es wurde ganz still im Saal. Der Vorhang ging auf, und aus einer schmutzigen Kulisse, die unglaubwürdig genug eine Gebirgslandschaft vorzutäuschen suchte, trat der alte Mann im Frack und verkündete:

      »Ich bitte das verehrliche Publikum um Aufmerksamkeit für die Hauptnummer des Programms und zwar ›Das Schäferspiel‹, Ballett in einem Akt mit Gesang und Tanz, ausgeführt von Fräulein ›Sybilla‹ genannt ›die Lilie vom Manzanares‹.«

      Das Publikum trampelte und rief:

      »Sybilla!«

      Eine nicht mehr junge, gräßlich gepuderte und bemalte, faltenreiche, spindeldürre Soubrette mit langem, blondem, offenem Haar trat auf, lächelte geziert wie ein junges Mädchen, hob mit je zwei Fingerspitzen ihren an sich schon kniekurzen Rock, spreizte und verbeugte sich.

      Das Publikum trampelte und klatschte.

      Der alte Mann, der noch immer auf der Bühne stand, verkündete weiter:

      »Fräulein Elfrida, genannt ›die Perle des Ganges‹, Star des Orpheums in Kiel, seit zwölf Jahren zum ersten Male wieder in Berlin.«

      Abermals trampelten die Leute und riefen:

      »Elfrida!«

      Und Elfrida, die Perle des Ganges, schwebte, zwei Zentner schwer, auf den Fußspitzen auf die Bühne; ein übler Geruch von Schweiß und Moschus und schlechtem Puder stieg Carl, der unmittelbar vor der Bühne saß, in die Nase.

      Endloser Jubel brach los.

      Elfrida war als Baby gekleidet, trug Wadenstrümpfe, ein ganz kurzes Hängekleid, das vorn weit ausgeschnitten war und die klobigen Brüste ungehindert hervorquellen ließ. Elfrida teilte mit ihren fleischigen Armen, die sich nicht einmal nach den Knöcheln hin verjüngten, vielmehr dort eine Reihe tiefer Falten schlugen, nach allen Seiten hin Kußhände aus.

      Das Publikum raste.

      Der alte Mann im Frack trat ab, der Klavierspieler schlug wieder auf die Tasten. Elfrida, die Perle des Ganges, hob mit einem mächtigen Satz das rechte Bein. Carl zitterte vor dem Augenblick, wo sie es wieder niedersetzen würde. Sybilla, die Lilie vom Manzanares, machte eine lächerlich affektierte Armbewegung, wies auf Elfrida, verzog den Mund erst, öffnete ihn dann und sagte:

      Seht dort Elfrida, die Perle des Ganges,

      Königin des Tanzes und des Gesanges.

      Wenn sie zum Tanze das Bein erhebt,

      Das Herz jedes Mannes zittert und bebt.

      Im selben Augenblick schnellte auch Sybilla eines ihrer Stockbeine wie ein Signal in die Höhe, und Elfrida, die zu Carls Entsetzen noch immer auf einem Beine stand, wies mit der fleischigen beringten Hand auf sie und sang:

      Seht Sybilla, die Lilie vom Manzanares,

      Seht den Schmelz der Gestalt, die Fülle des Haares,

      Wer ihr naht, der liebt, drum nehmt euch in acht,

      Ihre Liebe hat vielen schon Unglück gebracht.

      Dann reichten sich die Perle des Ganges und die Lilie vom Manzanares die Hände, das Schäferspiel begann. Zuerst kam ein sentimentaler Gesang, dann Zoten, eindeutig und plump, am Schluß ein Verstellen der Beine, ein unrhythmisches Heben, Senken und Verzerren des Körpers, was Tanz bedeuten sollte, und Elfrida und Sybilla traten unter dem jubelnden Gejohle der begeisterten Menge ab.

      »Scheußlich!« sagte Werner, und Carl erwiderte:

      »Widerwärtig, aber psychologisch interessant.«

      »Nicht wahr,« sagte Ida und stieß Carl an, »da kribbelt’s einen orntlich in die Knie. Wenn Se wollen, mit die Perle vom Ganges kann ick Ihnen bekannt machen; mit die war ick zusammen in Konfirmationsstunde.«

      Der alte Mann stand schon wieder auf der Bühne und sagte etwas, was Carl infolge des Lärms nicht hören konnte. Er sah nur, daß aller Augen wieder auf die Bühne gerichtet waren und daß im selben Augenblick auch schon ein auffallend hübsches und junges Mädchen aus der Kulisse trat.

      »Bravo!« rief der Kerl, der neben Werner saß und klatschte in die Hände. Auch viele andere klatschten jetzt und riefen dem jungen Dinge, das ungezwungen, keck und heiter an die Rampe trat, aufmunternde Worte zu. Aber mit dem Jubel wie die Perle des Ganges und deren Partnerin wurde sie nicht begrüßt.

      »Jeben Se acht,« sagte das Mädchen am Tisch, »das is de schwarze Agnes, een dolles Ding. Vor sechs Wochen war se noch in Fürsorge, und heute fadient se siebenundzwanzig Märker de Woche, außer was se sich nebenbei macht.«

      Carl ließ kein Auge von ihr; er hörte auch nicht, was das Mädchen am Tische sagte; er sah sie nur immer an und erkannte, daß es die Lieblichkeit und Anmut in Menschengestalt war. Auch auf das, was sie sang, hörte er nicht. Aber er folgte ihren Bewegungen und sah, wie sich der junge Körper unabsichtlich in den Hüften wiegte, sah ihre gazellenhafte Schlankheit und Gewandtheit, sah die zarten Knöchel an den feinen Händen und den schmalen Füßen, sah unter dem weißen Hals die straffe Brust, die knospengleich verriet, wie wenig sie vom Leben wußte, und sah ein Gesicht, in dem zwei schwarze Augen träumten, als wenn in ihnen eine große Sehnsucht nach dem Leben schliefe.

      »Die fällt ja völlig aus dem Rahmen,« sagte Werner und wandte sich an Carl, der, die Augen weit aufgerissen, da saß und auf die Bühne starrte.

      »Was tut se?« sagte das Mädchen am Tisch. »Ick saje Ihnen, beleidjen Se die schwarze Agnes nich, sonst kriegen Se’s mit den da zu tun!« und sie wies auf den Kerl, der neben Werner saß.

      Die schwarze Agnes sang erst ein Lied, das gewiß genau so rührselig oder zotig war, wie die Lieder der beiden anderen. Aber sonderbar! Hatten ihn die gepfefferten und aufdringlich gebrachten Späße der anderen bedrückt und ihm körperlich wehgetan, so wich angesichts dieser Erscheinung, ohne daß er darauf achtete, was sie sang, alles, was ihn beschwerte und niederdrückte. Es war das wie, von dem diese reinigende und befreiende Wirkung ausging.

      Und daß ihr Vortrag sich inhaltlich nicht wesentlich von dem der anderen unterschied, bewies der Beifall, der nach jedem Vers lärmend einsetzte.

      »Die möchte ich tanzen sehen!« sagte Carl ohne ernste Absicht vor sich hin.

      »Das Vajnüjen kenn Se haben,« sagte der Kerl, der neben Werner saß.

      »Wie?« wandte sich Carl zu ihm um. »Sie meinen, sie wird noch tanzen?«

      »Wenn ick will – und Sie zahlen – warum nich?«

      »Wirklich? Das ließe sich machen?« fragte Carl ganz erregt und wandte sich an Werner: »Weißt du, dafür bliebe ich noch einen Tag länger in Berlin.«

      »Nanu!« sagte Werner erstaunt und sah jetzt erst, daß Carl völlig unter dem Eindruck dieses Mädchens stand.

      »Dazu brauchen Se Ihre Reise janich zu vaschieben,« sagte der Kerl. »Bis morjen früh is noch de halbe Nacht.«

      »Liegt dir sehr viel daran?« fragte Werner.

      »Unendlich viel! Mehr als du überhaupt ahnen kannst.«

      »Carl, Carl!« drohte Werner scherzhaft, »du bist kein Jüngling mehr.«

      »Ich war es nie!« erwiderte Carl. »Aber ich glaube, ich könnte es trotz meiner Jahre noch mal werden.«

      »Also,« wandte sich Werner an den Kerl, »wollen Sie das in die Hand nehmen?«

      Das Mädchen am Tisch gab ihm einen Wink und sagte:

      »Mach doch, Otto!«

      Und Otto hielt Werner unter dem Tisch die flache Hand hin.

      Werner griff in die Tasche, holte ein Fünfmarkstück heraus, sagte: »Da!« und legte es Otto in die Hand. Der besah es, verzog den Mund und schüttelte den Kopf. Das Mädchen hob sich ein wenig in die Höhe, beugte sich über den Tisch und sah auf Ottos Hand, in der das Geldstück lag.

      Sie


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