Lache Bajazzo. Artur Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Landsberger


Скачать книгу
an. »Gehört das alles dir? – Oder was bist du hier?«

      »Ich wohne hier zusammen mit meinem Vater,« sagte Werner. »Gefällt’s dir hier? Sonst gehen wir da hinein; da ist es wohnlicher.«

      Er öffnete die Tür und ging voraus. Agnes folgte an Carls Hand mit aufgerissenen Augen – wie ein Kind, dem man von einem Wunderlande erzählt. Sie wagte kaum die Füße aufzusetzen und hielt Carls Hand so fest, daß der unwillkürlich den Druck erwiderte.

      Werner, der ihr Erstaunen sah und es als Freude deutete, öffnete Portieren und Türen, die in die Nebenzimmer führten, und erleuchtete alle Räume.

      Carl nahm ihr das Tuch ab.

      Wie eine Bettelprinzessin stand sie in all dem Reichtum. Sie rührte sich nicht vom Fleck. Ihre Augen gingen die Decken und Wände entlang, hingen an Bildern, Statuen und Möbeln, sahen zu den schimmernden Kronen auf, hefteten sich auf die Gobelins und Perser, sahen staunend all die Pracht, leuchteten hell auf und füllten sich dann mit Tränen.

      »Was ist dir?« fragte Carl besorgt.

      Agnes biß die Lippen aufeinander. Ein harter, herber Zug trat um den Mund, sie ballte die Faust, krampfte die Finger, stampfte mit den Füßen auf, zitterte am ganzen Körper und sagte mit einer Stimme, die wie die eines unartigen Kindes klang:

      »Ich will . . . ich will!«

      »Was willst du?« fragte Carl.

      Sie sah ihn mit Augen, die noch voll Tränen standen und doch schon wieder lachten, an, warf sich auf eine Chaiselongue, auf der ein schwerer seidener Perser lag, dehnte und strecke sich, rief Carl zu:

      »Komm!« Carl trat zu ihr heran. »Hier – so!« zog ihn zu sich herab, so daß er kniend vor ihr saß, und spielte wieder in seinem vollen Haar.

      »Ganz grau bist du, Onkelchen – altes Onkelchen! – Aber ich hab dich lieb.« Dann betrachtete sie sich, fuhr mit der Hand über ihr Kleid und sagte:

      »Pfui! die alten Fetzen! – Willst du, daß ich sie runterreiße?«

      »Morgen, Vögelchen, morgen!« sagte Carl. »Wir müssen erst neue kaufen.«

      »I was!« rief Agnes übermütig. »Heute!« Und zu Carls Erstaunen zerrte sie mit ihren Füßen den Rock herunter, öffnete die Taille, hob sich kaum hoch, schlüpfte heraus, warf die Sachen in weitem Bogen ins Zimmer, tastete den Körper, dessen ganze Schönheit erst jetzt voll zur Geltung kam, mit ihren weißen Händen ab, sagte zu Carl:

      »Zieh mir die Schuhe aus!« dehnte und streckte sich voller Behagen, hob an beiden Seiten den seidenen Perser, der bis über den Boden reichte, hoch, und wickelte sich darin ein; nur den Kopf und die weißen Arme ließ sie draußen.

      Werner, der des eigenartigen Besuches und der späten Stunde wegen den Diener nicht wecken wollte, war selbst hinausgegangen, um Champagner zu holen, mit dem er eben wieder ins Zimmer trat.

      Als Agnes es sah, fuhr sie wie der Blitz auf, strahlte über das ganze Gesicht, warf die Arme hoch und rief:

      »Champagner! – her! her! Ich verdurste!«

      Sie jauchzte vor Freude laut auf, als der Pfropfen knallte, und stürzte das erste Glas, das Werner ihr reichte, ehe er Carl und sich noch eingegossen hatte, in einem Zuge herunter.

      »Mehr! mehr!« rief sie und streckte Werner das leere Glas hin, das er füllte, und das sie im selben Tempo heruntergoß. Dann jauchzte sie laut auf und rief:

      »Kinder! ist die Welt schön!«

      »Kennst du sie denn?« fragte Carl, der sich ein Kissen herangerückt hatte und neben der Chaiselongue zu ihren Füßen saß.

      Agnes lachte; sie verstand ihn nicht.

      »Da ich doch lebe, muß ich sie doch kennen,« sagte sie.

      »Ich meine die ganze Welt da draußen – weißt du, die Berge und die Seen und all die fremden Völker, zu denen man Tage und Wochen reist, um zu ihnen zu gelangen.«

      »Ja, aber dazu gehört doch Geld, viel Geld – das können doch nur die Reichen.«

      »Möchtest du das?«

      Ihre Augen glänzten.

      »Ja!« sagte sie lebhaft. »Wenn ich reich wäre!!«

      »Was tätest du dann?«

      Agnes sah ihn an und lachte, dann setzte sie das volle Glas an und trank es aus.

      »Das täte ich! Alle Tage! Und dann hätte ich eine Wohnung wie diese.« Sie sah sich um. »Vielleicht auch anders, weißt du, nicht so schwer, das macht traurig; mehr schlanke Möbel und Schränke aus Glas und viel viel Vasen und Gläser.«

      Werner öffnete die zweite Flasche.

      »Gib mir die Propfen! sonst glaubt’s mir die dicke Ida morgen nicht.« Sie besah den Korken. »Du, is das ’ne feine Marke?« Sie buchstabierte: Mo – ett et Schandou.«

      »Gewiß,« sagte Werner. »Soll ich dir ein paar Flaschen davon schicken?«

      »Ja!« rief sie freudig – zog dann aber, noch ehe sie den Mund wieder geschlossen hatte, die Stirn in Falten, schien nachdenklich und sagte schnell:

      »Nein, nein, laß; ich will nicht!«

      »Aber ich tue es gern.«

      »Wozu?« sagte sie fast ärgerlich. »Ich will nicht – es hat ja doch keinen Sinn. Ihr wißt ja nicht . . . Wenn das so wäre, ja!« – und dabei wies sie wieder auf den Glanz der Wohnung. »Aber da oben,« und dabei streckte sie verzweifelt die Arme aus und rief: »Ach wenn das doch nicht wäre!« Sie richtete sich jetzt ganz auf und stand, nichts am Körper als Hemd und Strümpfe, auf der Chaiselongue: »Aber ich will nicht, will nicht – helft mir doch! du! du!« rief sie und warf sich an Carls Hals. »Du mußt mir helfen!«

      Werner war von der Traurigkeit, die in jeder Bewegung lag und sich wie ein Schatten, den man mehr fühlte als sah, auf den ganzen Körper übertrug, erschüttert. Er mußte an Chopin denken, wie ihn die Derp tanzte. Hier, bei Agnes, empfand er die Wirkung, schon weil sie unbewußt war und nicht durch den Verstand ging, verhundertfacht.

      »Willst du nicht tanzen?« fragte er ganz unvermittelt.

      Sie ließ Carl los und sah ihn an.

      »Willst du’s?« fragte sie, und Carl sagte:

      »Bitte!«

      »Wirst du mir helfen?«

      Carl nickte.

      »Spiel!« rief sie Werner zu.

      »Was soll ich spielen?«

      »Was du willst.«

      »Aber ich muß doch wissen, was du tanzen willst.«

      »Das weiß ich selbst nicht.«

      »Wie?« fragte Werner.

      »Das hängt davon ab, was du spielst.«

      »Soll es traurig sein oder heiter?«

      »Heiter! Denn ihr wollt mir ja helfen!«

      Und Werner ging an den Flügel und spielte . . .

      Agnes zog von einem der Tische eine Decke herunter und warf sie sich über. Wie einen langen Schal band sie sie fest um ihren Leib und ließ sie lose über die Beine fallen, so daß sie bis zu den Knien bedeckt waren. Brust und Schultern blieben entblößt. Dann zuckte im Takte der Musik der ganze Körper ein paarmal heftig zusammen – und Agnes tanzte, daß Luft und Fröhlichkeit sich auf Tische, Stühle und Bilder übertrugen und alle Zimmer lebendig wurden.

      Und Carl stand mit leuchtenden Augen am Flügel, den Kopf ein wenig nach vorn gestreckt, den Mund, um den ein Lächeln spielte, leicht geöffnet, die Arme halb erhoben, die Finger in Bewegung, und merkte nicht, wie ein Gefühl in ihm erwachte, emporwuchs, über ihn Macht ergriff, ihn schließlich ganz erfüllte.

      Werner, der ohne Noten spielte, und mit seinen Augen an Agnes hing, folgte ihrem Tempo, raste über die Tasten und hielt erst inne, als sie plötzlich laut aufschrie, die Arme hochwarf und vor Carl zusammenstürzte.

      Drittes


Скачать книгу