Lache Bajazzo. Artur Landsberger

Lache Bajazzo - Artur Landsberger


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so in meine neue Rolle vertieft, daß ich wirklich erst ein wenig ans offene Fenster mußte, um mich zurechtzufinden.« Dabei holte sie mehrmals tief Atem und führte mit Anmut das Spitzentuch an den Mund.

      »Meine Teuerste,« rief der Geheimrat entsetzt, »in dieser Aufmachung am offenen Fenster! Womöglich in erhitztem Zustand! Wir haben keine drei Grad. Bedenken Sie, daß Tausende an Ihrer Gesundheit ein Interesse haben.«

      »Ich bin daran gewöhnt,« sagte sie und bat den Geheimrat, sich zu setzen.

      »Vor allem muß ich Ihnen nochmals das Bedauern meiner Frau aussprechen. Sie wissen ja, wie sehr meine Frau Sie schätzt, nicht nur als Künstlerin, auch als Menschen. Ich versichere Sie, sie hatte sich ganz besonders auf den heutigen Abend gefreut. Sie begreifen, wenn man, wie wir, von Gesellschaft zu Gesellschaft gehetzt wird, zu denen man doch immer mehr oder weniger gezwungen geht, wie wohltuend es da für sie ist, mal einen Abend mit Menschen aus Ihrer geistigen Sphäre zu verleben.«

      »Ich muß sagen, daß mir die Hauptfreude des Abends durch das Fernbleiben Ihrer Gattin genommen ist – vor allem der traurige Anlaß. Ich hoffe nur, daß es nichts Ernstes ist.«

      »I Gott bewahre, das heißt,« verbesserte er schnell, »ich meine, Sie verstehen ja, die übertriebene Angst einer Mutter.«

      »Gewiß! ich bin zwar noch nicht . . .«

      »Ich weiß – aber trotzdem – ich meine von der Bühne her, da kennen wohl auch Sie die übertriebene Angst einer Mutter.«

      »Nun,« meinte Estella, »es ist nur gut, daß es Dresden ist.«

      »Gewiß – aber wieso eigentlich?«

      »Nun, ich meine, die Nähe! Es konnte doch ebenso London oder Paris sein.«

      »Ach so! Gewiß! Da haben Sie recht. Aber schließlich konnte ja meine Tochter auch in Berlin verheiratet sein.«

      »Gewiß! Das wäre noch näher!«

      »Ich kenne solche Fälle – sogar bei uns in der Familie.«

      »Sie sind sehr verzweigt?«

      »Wieso?«

      »Ich dachte.«

      »Ach so! Ich verstehe; ja! ja! natürlich! Wir waren zwölf Geschwister; bei meiner Frau waren es zehn. Die alle haben geheiratet, da waren es vierundzwanzig; es kamen Kinder, wie das in den Ehen so ist; in ein paar Jahren waren es über neunzig. Wenn ich die Ehre habe, Sie zu Tisch zu führen, Gnädigste, dann wird es mir ein Vergnügen sein, da ich sehe, es interessiert Sie . . .«

      »Ganz außerordentlich.«

      »Es ist auch wirklich interessant.«

      »Finden Sie?«

      In diesem Augenblick betraten Werner und Peter den Salon.

      Gott sei Dank! dachte Estella, so lange hätten sie doch nicht zu warten brauchen.

      »Die Unzertrennlichen!« sagte der Geheimrat.

      »Ja! das ist wirklich eine Freundschaft!« meinte Estella.

      Man begrüßte sich.

      »Ich höre von Ihren großen Plänen zum ewigen Frieden, Doktor!« sagte der Geheimrat zu Werner.

      Der wies auf Peter.

      »Dank dem Interesse, das der Baron Peter Linden meinen Ideen entgegenbringt, besteht wenigstens einige Aussicht, sie der Verwirklichung näher zu bringen.«

      »Nun, wo solche Kräfte walten,« sagte der Geheimrat und wandte sich an Peter.

      »I, wat,« wehrte der ab, »auf die Ideen von Werner gebe ich gar nichts; im Gegenteil! Erstens gehen se gegen die Geschäftsinteressen meines Vaters, also auch gegen meine; vor allem aber sind das so ideale Chosen, aus denen ja doch nie was wird.«

      »Und trotzdem . . .?«

      »Ich bitte Sie, was kann ich denn mit meinem Geld besser anfangen? Noch ’ne Jacht? Noch ’n Landsitz? Drauf sitzen tun doch nur meine Freunde, und ich hab’ de Scherereien. Da is doch wenigstens ’ne Idee, wenn se auch verrückt is; aber was im Leben is denn nich verrückt?«

      »Das sagen Sie in Ihrem Alter?« rief der Geheimrat

      »Ach wat, ich kenn’ den Klöngel und halt’ mich draußen. Aber ich seh ’n mir mit an und amüsier’ mich. Und dann: ich sag immer zu Werner: mach’ du deinen Friedensklöngel nur so laut wie möglich. Wenn viel vom Frieden geredet wird, dann wird auch viel vom Kriege geredet; das ist doch klar. Na, und mit dem Positiven erzielt man immer stärkere Wirkungen als mit dem Negativen.«

      »Das stimmt,« sagte der Geheimrat.

      »Folglich, je lauter Werner seine Friedensideen betreibt, um so stärker wird die Reaktion – ich kenn’ das doch – und um so mehr Geschützlieferungen bekommen unsere Fabriken, das ist doch klar!«

      »Wenn man dich reden hört,« sagte Werner, »könnte man beinahe an seinen Idealen verzweifeln.«

      »Aber Sie werden doch dem Baron nicht sein Geschäft verderben.«

      »Wo die anderen bloß bleiben!« sagte Estella.

      »Sie erwarten noch Gäste?« fragte der Geheimrat.

      »Ja! Nur ein Paar. Herrn Holten und Fräulein Agnes.«

      »So! So! Ist der noch immer in Berlin?«

      »Sie läßt ihn nicht fort,« sagte Peter.

      »Ich bitt’ dich, als ob ein Mann wie Holten sich von einer solchen —« Ein Blick Peters, und sie brach ab.

      »Sie schätzen sie nicht?« fragte der Geheimrat.

      »Aber ja!« erwiderte Estella. »Wie kommen Sie darauf? Wir sind die besten Freundinnen; wir sehen uns täglich.«

      »Ich finde, sie gewinnt von Tag zu Tag,« sagte Werner. »Noch ein wenig mehr Kultur, und sie ist« – er verneigte sich zu Estella – »die Anwesenden natürlich ausgeschlossen, in Bezug auf Weib nach meinem Begriff: die Vollendung.«

      »Du bist ein Schwärmer! Ein Uebertreiber! Ein Idealist!« sagte Peter.

      »Ich meine auch,« äußerte Estella. »Ich will mich durchaus nicht mit ihr vergleichen, schon weil sie die Jugend für sich hat. Ihr merkt das natürlich nicht so, aber wenn man sie alle Tage um sich hat, dann empfindet man doch die Provenienz recht störend.«

      »Du meinst die Herkunft?« fragte Peter, und Estella errötete, weil sie glaubte, ein falsches Fremdwort gebraucht zu haben.

      Der Geheimrat tat erstaunt.

      »Das wußt’ ich gar nicht! Von wo kommt sie denn?«

      »Wie? Sie wissen nicht . . .?« fragte Estella erregt.

      Der Geheimrat schüttelte den Kopf.

      »Nein! Aber das interessiert mich sehr.«

      »Also, das soll ja furchtbar sein!« sagte Estella.

      »Nicht möglich!« erwiderte der Geheimrat. »Darf man nicht ein wenig mehr . . .?«

      Estella tat, als wenn sie Bedenken hätte:

      »Wissen Sie, Herr Geheimrat, ich möchte nicht gern – nicht wahr, Sie verstehen – Agnes ist meine Freundin . . . Aber ich begreife gar nicht, daß Sie davon nichts wissen.«

      »Gott ja! Man redet viel! Aber nie was Bestimmtes. Immer nur so in der Form wie Sie . . .«

      »Na, das dürfte ja auch genügen,« meinte Estella.

      »Und Holten?«

      »Wie meinen Sie?«

      »Ich meine, weiß er?«

      »I Gott bewahre!« platzte Estella heraus. »Wie können Sie glauben. Holten ist ein so feiner Mensch, – wenn der eine Ahnung hätte!«

      »Wovon?« fragte Werner nicht eben freundlich. »O pardon!« sagte Estella, »ich vergaß, du bist mit ihm befreundet.«

      »Sie hat ja nichts gegen ihr gesagt!« vermittelte Peter.

      »Durchaus nicht!«


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