Die verlorene Handschrift. Gustav Freytag

Die verlorene Handschrift - Gustav Freytag


Скачать книгу
bildend, erhebend, verderbend. So werden die Geister der Vergangenheit, die Gewalten der Natur, auch was man selbst geschaffen und erdacht hat, ein unveräußerlicher, Leben wirkender Bestandtheil der eigenen Seele. Und lächelnd sah der Gelehrte, wie fremde, tausend Jahr alte Erinnerungen ihn selbst hierher unter Landsleute geführt hatten, und wie dem Manne, der hier herrschte, so sehr verschiedene Thätigkeit den Sinn und das Urtheil weit anders gestaltete.

      Zwischen seine Gedanken tönte behaglich aus dem Stall das Brummen der Rinder. Aufblickend sah er eine Reihe geschürzter Mägde, welche die vollen Milcheimer nach dem Gewölbe trugen. Hinter ihnen ging Ilse im einfachen Morgenkleid, das blonde Haar glänzte gegen die Sonne wie gesponnenes Gold, frisch und kräftig schritt sie dahin wie der junge Tag. Der Gelehrte empfand Scheu, an sie zu treten, er sah ihr sinnend nach; auch sie war eine der Gestalten, welche fortan in seinem Innern fortleben sollten, ein Bild seiner Träume, vielleicht seines Wunsches. Wie lange? wie mächtig? – Er ahnte nicht, daß seine römischen Kaiser schon in der nächsten Stunde thätig sein sollten, diese Frage zu beantworten.

      Quer über den Hof kam der Landwirth, er rief ihm den Morgengruß zu und frug, ob der Professor ihn auf einem kurzen Gange ins Feld begleiten wolle. Als die Beiden nebeneinander der Sonne entgegen schritten, beide tüchtige Männer und doch so verschieden an Haupt und Gliedern, in Haltung und Inhalt, da hätte wohl Mancher den Gegensatz mit warmem Antheil betrachtet, und nicht zuletzt Ilse; aber wer nicht die Augen eines Schatzgräbers oder Geisterbanners hatte, der konnte doch nicht bemerken, wie verschiedenartig das unsichtbare Gefolge kleiner Geister war, welches beiden um Schläfe und Schultern flatterte, Schwärmen unzählbarer Vögel oder Bienen vergleichbar. Die Geister des Landwirths waren in heimischer Wirthschaftstracht, blaue Kittel oder flatternde Kopftücher, darunter wenige Gestalten in den unbestimmten Gewändern von Glaube, Liebe, Hoffnung. Hingegen um den Professor schwärmte ein unabsehbares Gewühl fremder Gebilde mit Toga und antiken Helmen, in Purpurgewand und griechischer Chlamys, auch nacktes Volk in Athletentracht, und solche mit Ruthenbündeln und mit zwei Flederwischen an den Hüten. Das kleine Gefolge des Landwirths flog unablässig auf die Ackerbeete und wieder zurück, der Schwarm des Gelehrten achtete nicht sehr darauf und hielt sich gesammelt. Endlich blieb der Landwirth vor einem Flurstück stehen, sah liebevoll darauf und erzählte, daß er dies Stück durch Unterpflügen grüner Lupinen – einer damals neu eingeführten Cultur – gedüngt habe. Der Professor hielt überrascht an. In seinem Gefolge entstand ein Durcheinanderschwärmen, ein kleiner antiker Geist flog an die nächste Erdscholle und zog vom Haupt des Professors ein zartes Gespinnst, das er dort anhing. Unterdeß erzählte der Professor dem Landwirth, wie das Unterackern der grünen Hülsenfrucht einst bei den Römern bräuchlich gewesen, und wie er erfreut sei, daß jetzt nach anderthalb Jahrtausenden dieser alte Fund in unsern Wirtschaften wiederum entdeckt sei. Dabei kam man auf die Veränderungen im Landbau, und der Professor erwähnte, wie auffallend ihm gewesen sei, daß dreihundert Jahre nach Beginn unserer Zeitrechnung die Getreidebörse in den Häfen des schwarzen Meeres und Kleinasiens so große Aehnlichkeit mit der modernen von Hamburg und London gehabt habe, während jetzt dort im Osten auch viele andere Culturpflanzen gebaut würden. Und endlich berichtete er ihm gar von einem Waarentarif, den ein römischer Kaiser aufgestellt hatte, und daß gerade die Preise des Weizens und der Gerste, der beiden Früchte, von denen damals die übrigen Preise und Löhne abgehangen hätten, auf dem erhaltenen Steine zerstört wären. Und er setzte hübsch auseinander, weshalb dieser Verlust so sehr zu bedauern sei. Da ging wieder dem Landwirth das Herz auf, und er versicherte dem Professor, das sei gar nicht übermäßig zu beklagen, denn man könne diese verlorenen Werthe aus den Preisen der übrigen Früchte mit Halm und Hülse sicher bestimmen, weil alle Früchte untereinander im Großen betrachtet ein festes und altes Werthverhältniß haben. Er gab diese Verhältnisse ihres Nahrungswerthes in Zahlen an, und der Professor erkannte mit freudigem Erstaunen, daß sie wohl auf den Tarif seines alten Kaisers Diocletian passen könnten.

      Während die Männer diese anscheinend gleichgültige Unterhaltung führten, flog ein bösartig aussehender Genius, wahrscheinlich Kaiser Diocletianus selber, vom Professor hinüber unter die bäuerliche Genossenschaft des Landwirths, stellte sich in seinem Purpurgewand mitten auf den Kopf des Herrn, stampfte mit den Beinchen an die Hirnschale und veranlaßte dem Landwirth die Empfindung, daß der Professor ein verständiger und gediegener Mann sei, und daß diesem Mann nützlich sein werde, weitere Belehrungen über Werth und Preise der Früchte zu erhalten. Denn es that dem Landwirth doch sehr wohl, daß er dem Gelehrten auf dessen eigenem Gebiet Bescheid sagen konnte.

      Als nach einer Stunde die beiden Wanderer zum Hause zurückkehrten, blieb der Landwirth an der Thür stehen und sagte mit einiger Feierlichkeit zum Professor: »Als ich Sie gestern hier einführte, wußte ich wenig, wen ich vor mir hatte. Es ist mir peinlich, daß ich einen Mann, wie Sie, so unwirsch begrüßt habe. Ihre Bekanntschaft ist mir eine Freude geworden, man findet hier selten Jemanden, mit dem man sich über allerlei so aussprechen kann wie mit Ihnen. Lassen Sie sich’s, da Sie doch eine Erholungsreise machen wollen, auf einige Zeit bei uns einfachen Leuten gefallen. Je länger, desto besser. Es sind freilich jetzt nicht die Wochen, wo der Landwirth seinen Gästen das Haus bequem machen kann, Sie würden vorlieb nehmen müssen. Wollen Sie arbeiten und brauchen Sie Bücher, wir lassen sie hierher kommen. Und sehen Sie nach, ob das bei den Römern nicht etwa Wintergerste war, die ist leichter als unsere. – Schlagen Sie ein und machen Sie mir die Freude.« Er hielt dem Gelehrten treuherzig die Hand hin.

      Ueber das Antlitz des Professors fuhr es wie ein helles Licht. Er ergriff lebhaft die Hand des Gastfreundes: »Wenn Sie meinen Freund und mich noch einige Tage behalten wollen, ich nehme Ihre Einladung von ganzem Herzen an. Ich darf Ihnen sagen, daß mir der Einblick in einen neuen Kreis menschlicher Interessen werthvoll ist, noch weit mehr aber das Wohlwollen, welches uns hier entgegenkommt.«

      »Abgemacht,« rief der Landwirth heiter, »jetzt rufen wir Ihren Freund.«

      Der Doctor öffnete seine Thür. Als der Landwirth mit warmen Worten die Einladung gegen ihn wiederholte, sah er einen Augenblick ernsthaft nach dem Freund hinüber. Da dieser ihm freundlich zunickte, nahm auch er für die Tage an, welche ihm vor dem beschlossenen Besuch bei Verwandten noch frei waren. – So geschah es, daß Kaiser Diocletianus, fünfzehnhundert Jahre nachdem er die Erde unfreiwillig verlassen hatte, seine tyrannische Macht an dem Professor und dem Landwirthe ausübte. Ob noch andere geheime Arbeit antiker Gewalten dabei thätig war, ist nicht erforscht.

      Ilse hörte schweigend den Bericht des Vaters, daß die Herren noch einige Zeit ihre Gäste sein wollten, aber ihr Blick fiel so klar und warm auf die Fremden, daß diese freudig fühlten, sie seien auch hier willkommen.

      Sie waren von dieser Stunde wie alte Bekannte eingeführt in das Leben des Hauses, und beiden, die nie auf dem Lande gelebt, war, als müßte das sein, und als wären sie selbst zurückgekehrt in eine Heimat, in der sie sich schon einmal vor Jahren getummelt hatten. Es war ein geschäftiges Treiben, und doch lag auch jetzt, wo die Arbeit heiß drängte, so heitere Ruhe darüber. Ohne viele Worte, sicher verbunden wirkten die Menschen in Haus und Hof nebeneinander. Das Tageslicht war der oberste Schirmvoigt, der aufgehend zur Arbeit trieb, erlöschend die Spannung der Glieder löste. Wie die Arbeiter nach dem Himmel sahen, um ihre Werkstunden zu ermessen, so richteten Sonne und Wolke auch die Stimmungen des Tages nach ihrem Zuge, bald Behagen, bald Sorge darnieder sendend. Und langsam und leise, wie die Natur die Blüthen aus dem Boden treibt und die Früchte zeitigt, wuchsen auch die Empfindungen der Menschen dort zu Blüthe und Frucht. Im friedlichen Zusammenleben, aus kleinen Eindrücken setzt sich das Verhältniß der Thätigen zueinander zurecht. Wenige warme Worte, ein freundlicher Blick, der kurze Anschlag einer Saite, welche im Innern lange nachtönt, genügen, zwischen Garben und Herden, zwischen Auszug und Heimfahrt vom Felde ein festes Band um verschiedenartige Naturen zu schlingen; ein Band, gewebt aus unscheinbaren Fäden! aber es erhält dennoch leicht eine Stärke, die durch das ganze Erdenleben dauert.

      Auch die Freunde umgab der Frieden, die alltägliche Tüchtigkeit, die kleinen Bilder des Landes. Nur, wenn sie das alte Haus betrachteten und der Hoffnung gedachten, welche sie hierher geführt, kam ihnen etwas von der Unruhe, welche Kinder vor einer Weihnachtsbescherung empfinden. Die still arbeitende Phantasie warf ihren bunten Schein über Alles, was dem Hause angehörte, bis herab auf den Beller Nero, der schon am zweiten Tage durch heftiges Schwenken des Schwanzes den Wunsch ausdrückte,


Скачать книгу