Die Schlucht. Иван Гончаров
Sie – oder gibt es bei dieser erhabeneren Art zu lieben irgend etwas zu verheimlichen? . . .«
»Durchaus nicht! Es gab da nichts Geheimnisvolles und nichts Erhabenes, es war eben wie bei allen . . .«
»Wie bei allen? Ach nein, nein, das glaube ich nicht! Sie haben noch nicht geliebt! Und wenn Sie noch einmal lieben sollten – was wird dann mit Ihnen werden, wie wird es dann aussehen hier in diesem jetzt so langweilig vornehmen Zimmer? Die Blumen da in den Vasen werden dann nicht mehr so symmetrisch geordnet sein, alles wird hier von Liebe reden . . .«
»Genug, genug!« rief sie mit einem matten Lächeln, offenbar erschöpft durch die aufregende Unterhaltung. »Ich kann mir vorstellen, was für Augen die Tanten machen würden,« fuhr sie lächelnd fort, »wenn sie hier so alles durcheinander sähen, die Bücher, die Blumen, und wenn die ganze Straße ungehindert durchs Fenster hineinschauen könnte! . . .«
»Schon wieder die Tanten!« rief er in vorwurfsvollem Tone. »Kein Schritt ohne sie! Und das wird so bleiben, solange sie leben?«
»Allerdings!« erwiderte sie nachdenklich. »Wie sollte es anders sein?«
»Und Sie selbst, sind Sie gar keines freien Aufschwunges mehr fähig, keines eigenen Schrittes, keiner Laune, keiner Tollheit, ja nicht einmal einer kleinen Torheit? . . .«
Sie dachte ein Weilchen nach und lächelte dann plötzlich unter leichtem Erröten.
»Ah, Sie erröten, Cousine! Die Tanten sind also doch nicht immer dabeigewesen, haben doch nicht alles gesehen und gehört! Sagen Sie, was ist’s?« bat er sie.
»Mir ist da wirklich eine Torheit eingefallen, ich werde sie Ihnen gelegentlich erzählen. Ich war damals noch ein junges Mädchen. Sie werden sehen, daß es auch bei mir einmal Tränen und Zittern und banges Erröten gab . . . et tout ce que vous aimez tant! Aber ich stelle die Bedingung, daß Sie dann nicht wieder von Liebe und Leidenschaften, von Seufzern und Klagerufen reden. Und nun wollen wir zu den Tanten gehen!«
Er begab sich in den Salon, während sie an ein Schränkchen trat und ein Fläschchen mit Eau de Cologne herausnahm. Sie goß ein paar Tropfen auf die Hand, zerrieb sie und zog nachdenklich den Duft ein; dann glättete sie vor dem Spiegel ihr Haar und ging gleichfalls in den Salon.
Sie nahm neben den Tanten Platz und folgte aufmerksam dem Spiele, während Raiski hinter ihr stand. Sie war ruhig und frisch. In seiner Seele aber herrschte Unruhe und der heiße Wunsch, zu erfahren, was jetzt in ihr vorging. Gern hätte er in ihren Augen gelesen, um zu sehen, ob seine Worte in ihr weiterwirkten, doch blickte sie nicht ein einziges Mal auf. Und als sie dann nach Beendigung des Spiels ihn ansah und mit ihm sprach, war ihr Gesicht ganz dasselbe, wie gestern und vorgestern und vor einem halben Jahre.
»Was geht eigentlich in ihr vor, welchen Inhalt hat ihr Leben? Wenn nichts ihre Seele beunruhigt, wenn sie weder die Hoffnung kennt, noch die Sorgen, wenn sie wirklich erhaben ist über die Welt und ihre Leidenschaften – wie kommt es dann, daß sie keine Langeweile, keinen Überdruß am Leben empfindet . . . wie ich sie doch empfinde? Das möchte ich ergründen!«
Fünftes Kapitel
»Nun, wie hast du abgeschnitten?« fragte Raiski seinen Freund Ajanow, als sie auf der Straße nebeneinander hergingen.
»Fünfundvierzig Rubel habe ich gewonnen. Und was hast du erreicht?«
Raiski zuckte die Achseln und erzählte ihm den Inhalt seines Gesprächs mit Sophie.
»Auch eine Art, die Zeit totzuschlagen. Macht dir das wirklich Spaß?«
»Spaß machen – was für ein albernes Wort! Nur die Kinder und die Franzosen fragen danach, ob ihnen etwas Spaß macht: o’amuser . . .«
»Wie soll man das bezeichnen, was du treibst? Und welchen Zweck hat es?«
»Ich sagte dir schon, welchen Zweck es hat,« versetzte Raiski gereizt. »Ihre Schönheit begeistert mich und zieht mich an – die Langeweile schwindet – es gewährt mir einen Genuß – verstehst du? Eben kommt mir der Gedanke, sie zu porträtieren: das wird einen Monat dauern, ich werde Gelegenheit haben, sie genau zu studieren . . .«
»Verlieb’ dich nur nicht in sie,« bemerkte Ajanow. »Heiraten willst du sie nicht, wie du sagst – und nur so mit den Leidenschaften spielen, das hat auch seine Gefahr. Du kannst dich dabei leicht verbrennen . . .«
»Wem sagst du das?« unterbrach ihn Raiski. »Als ob ich das nicht wüßte! Ich träume doch Tag und Nacht nur davon, mich einmal gehörig zu verbrennen. Sollte ich wirklich einmal so heftig Feuer fangen, daß der Brand nicht zu löschen ist – dann würde ich schließlich auch heiraten . . . Doch nein . . . die Leidenschaften erlöschen bei mir wieder – oder, wenn sie nicht erlöschen, enden sie doch nie mit einer Heirat. Dieser friedliche Hafen existiert für mich nicht: ich muß entweder Feuer und Flamme sein, oder – schlafen und mich langweilen.«
»Was hast du denn deiner Cousine heut wieder alles erzählt? Sie verglich dich mit Tschazki: mir kamst du halb wie ein Don Juan und halb wie ein Don Quixote vor. Seltsam genug benimmst du dich, das muß man sagen! Ich würde mich nicht wundern, wenn du eines schönen Tages die Kutte anziehst und plötzlich zu predigen anfängst . . .«
»Auch ich würde mich darüber nicht wundern,« sagte Raiski. »Aber ich brauche nicht die Kutte anzuziehen, wenn ich predigen will – und das will ich aufrichtig und ehrlich, überall, wo ich der Lüge, der Heuchelei und der Niedertracht begegne, mit einem Wort, wo ich die Schönheit vermisse, wenn ich auch selbst mancherlei Häßliches tue . . . Mein Temperament reagiert auf alles – sowie nur die Nerven angeregt werden, gleich meldet es sich! . . . Weißt du was, Ajanow: ich trage mich seit langem mit einem ernsten Plane: ich will einen Roman schreiben. Ich will diesem Plane meine ganze nächste Zeit widmen.«
Ajanow lachte auf.
»Einen ernsten Plan nennst du das!« sagte er. »Wie kann man einen Roman nur als etwas Ernsthaftes ansehen! Aber tu’s nur – schreib, du hast ja sonst nichts weiter zu tun, also schreib Romane! . . .«
»Lach’ nicht darüber, die Sache verdient keinen Spott! Ein Roman ist nicht wie ein Trauerspiel oder wie eine Komödie. In einem Roman findet alles Platz, er ist wie ein Ozean, er hat keine Ufer, man sieht sie wenigstens nicht; man ist nicht beengt und kann alles darin unterbringen. Weißt du, wer mich auf den Gedanken gebracht hat, ihn zu schreiben? Unsere gemeinsame Bekannte Anna Petrowna – du erinnerst dich ihrer? . . .«
»Die Schauspielerin?«
»Ja, die Sache ist sehr spaßig. Sie ist eine nette, kluge Person und weiß sich im Leben sehr gut zurechtzufinden, wie die meisten Frauen, solange sie in ihrer Sphäre bleiben und nicht aus dem Strome ans Ufer wollen . . .«
»Nun, also was ist mit ihr?«
»Na, die erzählte mir also, wie sie einmal um ein Stück verlegen war, als ihr Benefizabend herankam. Es gibt bei uns so wenig Dramatiker, alle neuen Arbeiten waren fest vergeben, und eine Übersetzung wollte sie nicht nehmen. Da hatte sie den Einfall, selbst ein Stück zu schreiben . . .«
»Selbst ist die Frau, wird sie wohl gedacht haben,« witzelte Ajanow.
»Wohl möglich. In ihrer liebenswürdigen Naivität weihte sie mich in ihren Plan ein und setzte mir ihn auseinander. In ›Wissen bringt Schmerz‹ zum Beispiel, sagte sie, sind die handelnden Personen ganz gewöhnliche Menschen und sprechen über die einfachsten Dinge, und auch das Thema ist durchaus einfach: Tschazki hat sich verliebt, doch verweigert man ihm die Hand der Auserwählten, die einem anderen zugedacht ist, und wie er davon erfährt, wird er wütend und reist ab. Der Vater ist seinerseits über beide wütend und sie wiederum über Moltschalin – das ist alles! . . . Bei Moliére, sagt sie, ist der Geizhals eben geizig, und Tartuffe ein gemeiner Heuchler. Es lohnt wirklich nicht, meinte sie, sich eine knifflichere, interessantere Intrige zurechtzulegen. Eine Komödie zu schreiben schien ihr, mit einem Wort, eine ebenso unernste Sache, wie dir das Romanschreiben. An eine Tragödie wagte sie sich nicht heran; hier schien sie doch ihre Unzulänglichkeit einzusehen. Mit der Komödie machte sie jedoch Ernst und schrieb innerhalb einer Woche zehn Bogen voll. Ich bat sie, mir zu zeigen, was sie geschrieben hätte – nein, um keinen Preis! ›Nun, sind