Die Schlucht. Иван Гончаров

Die Schlucht - Иван Гончаров


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Meere. Die Priesterin dieses Kults, die »Mutter der Wollust«, will nicht, wie der echte, leidenschaftliche Spieler, einen großen Schlag machen und dann für immer den Spieltisch verlassen, um in einem stillen Winkel ein neues Leben zu beginnen.

      Würde solch eine solid veranlagte Natur sich in diesen Kreis verirren, dann würde sie entweder ihren Charakter oder ihren Reiz bald verlieren: sie müßte entweder bald ihren besseren Absichten entsagen, oder sie sähe sich rasch von ihren Verehrern verlassen, wenn sie den freien Sitten und Anschauungen dieser Welt nicht huldigen wollte.

      Ihr Leben wird ein ewiges Spiel mit der Leidenschaft, und das Ziel dieses Lebens ist der unbegrenzte Sinnengenuß, der zur Gewohnheit wird und Ermüdung und Übersättigung herbeiführt. Das einzige Schreckbild aber, vor dem diese Schönen zittern, ist, daß sie altern und überflüssig werden.

      Nichts fürchtet die Priesterin dieses Kults mehr als das. Im Spiel der Leidenschaft nimmt sie alle nur erdenklichen Gestalten, Charaktere und Formen an, wie ihre Rolle sie gerade verlangt – doch immer sind sie nur geliehen, wie die Kostüme für eine Maskerade. Sie ist schüchtern und bescheiden, oder stolz und unzugänglich, oder zärtlich und anschmiegsam, wie der Augenblick es erfordert.

      Legt sie die Maske ab, dann ist sie oft bösartig, gefühllos, ja selbst grausam. Vor nichts schreckt sie zurück, und nicht einen Augenblick wägt sie Bedenken, aus Rachsucht oder rein zu ihrer Unterhaltung das Familienglück, die Ruhe eines Menschen zu zerstören, von seinem finanziellen Ruin nicht zu reden; denn die Männer zu ruinieren, ist ja eben ihr – Beruf.

      Unbegrenzter Luxus muß sie umgeben. Keiner ihrer Wünsche darf unerfüllt bleiben.

      Ihre Wohnung ist wie ein Tempel – ein Tempel freilich, der einer Ausstellung von Möbeln und teuren Nippsachen gleicht. Nicht der Geschmack der Besitzerin, sondern der des Möbelhändlers und Tapezierers kommt darin zur Geltung. Es fehlt der Stempel des verfeinerten, künstlerisch geläuterten Empfindens, das in dieser Welt nicht zur Geltung zu kommen vermöchte. Das kostbare Service, die teure Equipage, Pferde, Lakaien, Kammerzofen, die wie Balletteusen gekleidet gehen, sind hier der Maßstab für Vornehmheit und Geschmack.

      Ein teures Gemälde, eine kostbare Statue, die sich zufällig einmal hierher verirren, werden nicht nach dem Kunstwert, sondern nach dem Preise, der für sie bezahlt worden ist, beurteilt. Keinen Gastgeber, keine Hausfrau, keine Kinder, keine alten, treuen Diener gibt es in dem Quartier solch einer Göttin der Lust.

      Sie lebt wie auf einer Wegstation, immer auf dem Sprunge, jeden Augenblick zur Abfahrt bereit. Sie hat keine Freunde, weder unter den Männern noch unter den Frauen, sondern nur Bekannte, diese freilich in großer Menge.

      Das Leben einer Schönen dieser Welt, dieses »Lumpenkönigreichs«, wie Raiski es nannte, gleicht einem bunten Kaleidoskop: Besuche in ihrem Kreise, Theatervorstellungen, Spazierfahrten, wahnsinnig teure Dejeuners, Diners, die bis zum frühen Morgen, und nächtliche Orgien, die bis zum Mittag des nächsten Tages andauern, reihen sich aneinander, und die einzige Sorge ist, daß kein Stillstand in dem ewigen Wechsel eintrete.

      Ein Tag, der nicht voll besetzt ist, ein Abend, an dem es keinen Trubel, keine Ausfahrt, kein Theater, keine lustige Schmauserei gibt, gilt als etwas Entsetzliches. Solch ein Tag kann zum Nachdenken bringen, kann allerhand peinliche Fragen anregen, kann die bessere Empfindung, das Gewissen, das Gespenst der Zukunft wecken . . .

      Voll Angst wehrt sie das ungewohnte Gefühl von sich ab, mit Gewalt verscheucht sie die auftauchenden Fragen. Nur selten, und nur bei wenigen, treten solche Momente ein. Ihr Denken schlummert zumeist, ihr Herz ist kalt und gefühllos, ihr Wissen auf ein Mindestmaß beschränkt.

      Brillanten – das einzige Echte an ihr – und sonstigen Schmuck möglichst über den Bedarf von ihren Verehrern kaufen zu lassen und dadurch die Juweliere reich zu machen – das ist das einzige Ziel ihres Ehrgeizes.

      Und ein anderer wichtiger Punkt ist das Reisen: in Paris die Gräfin zu spielen, irgendwo in Italien einen Palast zu bewohnen, die eigene Schönheit und das Gold im Beutel glänzen zu lassen, unterwegs die eine und andere Eroberung zu machen, Männer von Rang und Reichtum natürlich – — ja, das ist ihnen ein herrliches Ziel!

      Das Ideal des Mannes ist ihnen vor allem der homme genereux liberal, der mit Eleganz das Geld zum Fenster hinauswirft; dann kommt der comte, der prince usw. Von Geist, Ehre, Sittlichkeit hat diese Welt ihre ganz besonderen Vorstellungen. Sparsamkeit, Zurückhaltung, Ordnungsliebe gelten hier als sittliche Gebrechen eines Mannes. Wer mit diesen Eigenschaften behaftet ist, wird als Auswurf der Menschheit angesehen.

      Während Raiski als junger Offizier und dann später als junger Beamter sich in der Welt der Petersburger »goldenen Jugend« bewegte, kam er oft genug in die Lage, dieser Welt der Schönen seinen reichlichen Tribut zu zollen, und als er aus diesen Kreisen schied, geschah es mit einem Gefühl tiefer Trauer und mit reichen Erfahrungen, ohne die er recht wohl hätte auskommen können.

      Er hatte den Wunsch der Großtante erfüllt und war Offizier geworden – aber die Bilder, die er dort unten an der Wolga in sich aufgenommen hatte, der schattige Park mit dem Hain und der Schlucht dahinter, die wildbegeisterten Augen Waßjukows und die Klänge seiner Geige verfolgten ihn nach wie vor.

      Er träumte von einer weiten Kunstarena, von der Akademie oder dem Konservatorium, und er sah im Geiste sich selbst als eifrigen Mitstreiter in dieser Arena der Künste.

      Er stellte sich ein stilles Atelier mit gedämpftem Licht vor, mit Marmorwerken, angefangenen Gemälden und Modellpuppen – und er selbst, im Samtkittel, mit wallendem Künstlerhaar, saß mitten darin in liebevoller Betrachtung des Kunstwerks, das er eben auf der Staffelei hatte: es ist der Kopf eines Freundes, dessen Bildnis er malt.

      Noch fehlt die Seele darin, noch ist kein Leben, kein Feuer in den Augen. Aber nun setzt er die beiden magischen Punkte hinein und führt ein paar kühne Striche, und plötzlich lebt dieser Kopf, er spricht und blickt so offen: Geist ist darin, und Gefühl, und Schönheit . . .

      Besucher kommen, blicken schüchtern ins Atelier und flüstern leise . . .

      Und dann kommt endlich die Ausstellung. Er steht in einem Winkel und schaut nach seinem Gemälde hin, aber er sieht es nicht, denn die Menschen drängen sich davor und nennen seinen Namen. Irgend jemand bemerkt ihn und zeigt ihn der Menge, und alle Gesichter wenden sich nun von dem Bilde ab und ihm zu. Er wird ganz verwirrt – und erwacht aus dem schönen Traume . . .

      Er reichte seinen Abschied beim Regiment ein, bat um Überführung in den Zivildienst und kam an den Tisch, dessen Vorsteher zu jener Zeit Iwan Iwanowitsch Ajanow war. Doch der Leser weiß bereits, daß er auch im Zivildienst keinen größeren Erfolg hatte als beim Militär. Auch hier schied er aus und ging – auf die Kunstakademie.

      Schüchtern betrat er ihre Räume und sah sich ringsum: alles saß schweigend da und zeichnete nach Gipsköpfen. Auch er begann zu zeichnen, doch schon nach zwei Stunden ging er und zeichnete zu Hause weiter, gleichfalls nach Gipsköpfen.

      Aber hier geht die Sache nur mit Hindernissen vor sich – bald zündet er sich eine Zigarre an, bald streckt er die Beine auf dem Diwan aus, beginnt zu lesen, oder versinkt in Nachdenken und lauscht auf die Motive, die ihm im Kopfe klingen. Er setzt sich ans Klavier und vergißt alles rings um sich, auch das Zeichnen.

      Drei Wochen später geht er wieder in die Akademie: wieder sitzen dort alle schweigend in den Sälen und zeichnen nach Gipsköpfen.

      Er lernt den einen und anderen der Studiengenossen kennen, ladet ihn zu sich ein und zeigt ihm seine Arbeit.

      »Sie besitzen Talent – wo haben Sie Unterricht genommen?« fragte man ihn. »Nur . . . dieser Arm da ist zu lang . . . und der Rücken ist schief. . . die Zeichnung stimmt nicht!«

      Sie luden ihn zu ihren kleinen Gesellschaften ein, und er war da ganz im künstlerischen Fahrwasser: sie sprachen von Kolorit, von Büsten, von Armen und Beinen, von der »Wahrheit« in der Kunst, von der Akademie – und in weiter Perspektive erschienen dann Düsseldorf, Paris und Rom. Sie berechneten in seiner Gegenwart, wieviel Zeit sie zu ihrer Ausbildung brauchen würden: von sieben, acht Jahren war die Rede, eine entsetzliche Spanne Zeit! Und dabei waren sie alle schon erwachsene Männer!

      Sechs Monate lang blieb


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