Die Schlucht. Иван Гончаров

Die Schlucht - Иван Гончаров


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unvermählt geblieben. Sie lebten still für sich in dem alten Hause, in dem sie das Licht der Welt erblickt hatten, gemeinsam mit der Familie des verheirateten Bruders, und verwandten all ihre Sorgfalt und Aufmerksamkeit auf die Erziehung Sophies, der einzigen Tochter Pachotins. Die Verheiratung der letzteren hatte in ihrem Leben eine Störung hervorgerufen, aber Sophie war bald Witwe geworden, auch ihre Mutter war bereits tot, und so hatte sie sich von neuem unter die fast klösterliche Obhut und Autorität ihrer Tanten begeben.

      Die beiden alten Damen waren von hohem Wuchse, ganz ergraut und machten in ihrem Äußeren den Eindruck peinlichster Sauberkeit; sie trugen im Hause schwere dunkle Seidenkleider, große Hauben und viele Ringe an den Händen.

      Nadjeschda Wassiljewna litt an neuralgischem Gesichtsschmerz, sie trug unter der Haube ein Samtkäppchen und um die Schultern einen hermelingefütterten Samtkragen, während Anna Wassiljewna Locken aus Rohseide und einen großen Schal trug. Beide gingen nie ohne Ridikül, und Nadjeschda Wassiljewna bediente sich außerdem einer goldenen Schnupftabakdose; eine Anzahl Taschentücher waren stets um sie herum. Außerdem besaß sie einen Mops, ein altes, ewig verschlafenes, heiseres Tier, das vor lauter Altersschwäche keinen der Hausgenossen außer seiner Herrin erkannte.

      Das Haus der Pachotins war ein altes, langgestrecktes, zwei Stockwerke hohes Gebäude, mit dem Wappen der Familie an der Frontseite, mit dicken, massiven Mauern, tiefen, kleinen Fenstern und hohen Pfeilern. Eine endlose Reihe von Zimmern, die alle mit Damast ausgeschlagen waren, zog sich im Hause hin; schwere, reich geschnitzte dunkle Schränke, mit kostbarem Porzellan und Silber angefüllt, standen gleich Sarkophagen an den Wänden, mit schweren Diwans und Stühlen im Rokokostil abwechselnd, alles reich, aber nüchtern, ohne Komfort. Der Schweizer sah aus wie der Meergott Neptun; die Diener waren alt und schweigsam, die Dienerinnen trugen dunkle Kleider und Hauben. Die Kutsche war hoch und mit seidenen Fransen besetzt; die Pferde waren alt, doch von guter Rasse, mir langen Hälsen und Rücken, mit Lippen, die vom Alter weiß geworden waren, und Köpfen, die während der Fahrt bedächtig auf und nieder gingen. Sophies Zimmer hatte ein etwas lichteres Aussehen, namentlich wenn die Bewohnerin selbst anwesend war: es gab darin Blumen und Noten und eine ganze Menge moderner Nippsachen. Noch ein wenig mehr Ungezwungenheit, Unordnung, Licht und Geräusch, und es wäre ein ganz behagliches kleines Nestchen gewesen, wie geschaffen zum Schwärmen und Träumen, zu neckischem Spiel und selbst zum Lieben.

      Aber die Blumen steckten in altertümlichen, schweren Vasen, die wie Graburnen aussahen, und ein massiver alter Silberaufsatz erhöhte noch den antiken Anstrich des Raumes. Den Damen war jede Unordnung in den Tod verhaßt: waren die Blumen in der Vase etwas auseinander geraten, dann kam Anna Wassiljewna, klingelte das Stubenmädchen in der Haube herbei und befahl, die Blumen symmetrisch zu ordnen.

      Lag einmal eins der reichgebundenen Bücher auf dem Diwan oder auf einem der Stühle herum, dann stellte Nadjeschda Wassiljewna es sogleich ins Fach; fiel ein gar zu heller Sonnenstrahl ins Zimmer, und spielte er da lustig in dem Kristallglas, dem Spiegel oder dem Silberzeug, dann fand Anna Wassiljewna, daß die Augen sie davon schmerzten, und wies nur mit dem Finger nach der Portiere hin, worauf der Diener rasch zusprang und der schwere, steife Seidenvorhang glatt niederrollte, um dem losen Lichtstrahl den Weg zu versperren.

      Dafür herrschte im unteren Stockwerk, bei Nikolaj Wassiljewitsch, die größte Unordnung. Die alten Traditionen waren hier mit modernem Komfort ganz durcheinander gemischt. Neben den schweren Barockmöbeln stand eine leichte Causeuse von Gambs, der gotische Kamin war durch einen Ofenschirm mit lustigen französischen Genrebildern verdeckt, auf dem Tische fand der Morgen häufig noch Überreste vom Nachtmahl vor, auf dem Diwan lag zuweilen ein Frauenhandschuh oder eine elegante Stiefelette umher, und im Toilettezimmer war ein ganzes Magazin von kosmetischen Mitteln etabliert. So still und ruhig es oben war, so laut erklang unten häufig das Sprechen und Lachen, immer ging es dort lebhaft und liederlich zu. Der Kammerdiener Pachotins war ein Franzose mit einschmeichelnder Redeweise und frechem Blick.

      Drittes Kapitel

      Raiski und Ajanow mußten eine ganze Reihe von Zimmern passieren, bevor sie endlich in die eigentliche Wohnung, das heißt in die von den beiden Alten und Sophie Nikolajewna bewohnten Räume gelangten.

      Als sie in das Gastzimmer kamen, ließ der Mops ein heiseres Knurren vernehmen, brachte es jedoch nicht zu einem eigentlichen Bellen und legte sich, nachdem er sich einmal im Kreise herumgedreht hatte, wieder hin.

      Anna Wassiljewna nickte ihnen zu, und Nadjeschda Wassiljewna erwiderte ihre Verbeugung mit einem freundlichen Blick, schneuzte sich dann mit Genugtuung und nahm sogleich eine Prise – sie wußte, daß sie nun bestimmt ihre Partie haben würde.

      »Ma cousine!« sagte Raiski, während er der Nichte die Hand reichte.

      Sophie Nikolajewna verneigte sich lächelnd und reichte ihm die Hand.

      »Klingle doch, Sophie, man soll servieren,« sagte die ältere Tante, als die Gäste am Tische Platz genommen hatten. Sophie erhob sich von ihrem Platze, aber Raiski kam ihr rasch zuvor und zog die Klingelschnur.

      »Sag’ Nikolaij Wassiljewitsch, daß wir uns zu Tisch setzen,« wandte sich die alte Dame mit kühler Würde an den Diener. »Und nun soll endlich aufgetragen werden! Du hast dich heut verspätet, Boris: es ist bereits ein Viertel nach fünf!« sagte sie in vorwurfsvollem Tone zu Raiski.

      Er stand zu den beiden Alten im verwandtschaftlichen Verhältnis eines Neffen zweiten Grades und war somit ein weitläufiger Vetter von Sophie. Seine Familie, die gleichfalls von alter Herkunft war und dereinst sich großer Wohlhabenheit erfreut hatte, war zu dem Hause der Pachotins mehrfach durch Heiraten in Beziehung getreten. Seine persönliche Bekanntschaft mit diesen Verwandten war jedoch nicht älter als ein Jahr.

      Die Schuld daran trug er ganz allein. Die alten Damen hatten, als sie seinen Namen hörten, sich sogleich danach erkundigt, ob er etwa von jenen Raiskis abstamme, die dann und dann dort und dort gelebt hätten. Er wußte davon, daß sie Erkundigungen eingezogen hatten, zog es jedoch vor, ihr Interesse für ihn unbeachtet zu lassen, da es ihm wenig verlockend schien, die Bekanntschaft dieser langweiligen und steifen, wenn auch reichen Herrschaften zu machen.

      Er selbst war weder langweilig und steif noch auch reich. Seinem Stammbaum legte er durchaus keinen Wert bei, und über das Alter seines Geschlechts nachzudenken, lag ihm gänzlich fern.

      Er war bereits in seiner Kindheit verwaist und unter der Obhut eines gleichgültigen, unverheirateten Vormunds aufgewachsen, der ihn zunächst einer Verwandten, einer Großtante Raiskis, zur Erziehung übergeben hatte. Sie war eine Frau von vortrefflichem Herzen, die aber über ihren Winkel nicht hinaussah und ganz in den häuslichen und wirtschaftlichen Sorgen aufging. In stiller Abgeschiedenheit, von Gärten und Wäldern umgeben, hatte Raiski die ersten Jugendjahre unter ihrer Aufsicht zugebracht, und als er größer ward, brachte ihn der Vormund auf ein Gymnasium, wo alle Erinnerungen an den ehemaligen Reichtum der Familie und die verwandtschaftliche Beziehung zu den übrigen vornehmen Geschlechtern des Landes rasch aus dem Gedächtnis des Knaben schwanden.

      Die weitere Entwicklung Raiskis, seine Beschäftigung wie seine ganze Geistesrichtung waren vollends dazu angetan, ihn der alten Zeit mit ihren Überlieferungen zu entfremden.

      Er hatte es also, wie gesagt, keineswegs eilig gehabt, seinen Petersburger Verwandten, die von seiner Existenz unterrichtet waren, näherzutreten.

      An einem Winterabend jedoch hatte Raiski Sophie auf einem Balle gesehen und zweimal mit ihr gesprochen, und fortan war er eifrig bemüht, die nähere Bekanntschaft ihrer Familie zu machen. Am leichtesten war dies durch die Vermittlung ihres Vaters zu bewerkstelligen, und diesen Weg schlug er denn auch tatsächlich ein.

      Er war mit einer hübschen Schauspielerin bekannt und wußte sich auf einer ihrer Abendgesellschaften geschickt an den Alten heranzumachen. Er schenkte ihm ein Porträt dieser Schauspielerin, das er selbst gemalt hatte, kam bei dieser Gelegenheit auf seine Familie und die verwandtschaftlichen Beziehungen zu sprechen und hatte bald die Genugtuung, den beiden Alten und der Tochter vorgestellt zu werden.

      Er wußte die beiden Schwestern ganz zu bezaubern, indem er bald der schüchterne junge Mann war, der bescheiden auf die überlegene Weisheit des Alters lauschte, bald den lebhaften, munteren Gesellschafter spielte. Es dauerte nicht lange, so duzten sie


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