Neu-Land. Иван Тургенев
er diese Berechnungen im Kopfe anstellte – regten sich in ihm wieder die früheren Tongebilde. Nachdenklich hielt er plötzlich inne . . . und blieb wie erstarrt, die Augen zur Seite gerichtet, auf dem Platze stehen . . . Dann suchten seine Hände, gleichsam tastend die Schieblade des Tisches, zogen dieselbe heraus, holten aus der Tiefe ein stark beschriebenes Heft . . .
Er ließ sich auf einen Stuhl nieder, noch immer ohne die Richtung des Blickes zu ändern, ergriff die Feder und begann, still vor sich hinbrummend, das Haar zuweilen zurückwerfend, Zeile auf Zeile streichend und ändernd, niederzuschreiben . . .
Die Thür nach dem Vorzimmer that sich zur Hälfte auf – und es zeigte sich der Kopf Maschurinas. Neshdanow bemerkte es nicht und fuhr zu arbeiten fort., Maschurina schaute ihn lange mit scharfen Blicken an – dann trat sie kopfschüttelnd zurück . . . Aber Neshdanow richtete sich plötzlich empor, wandte sich um und schleuderte mit dem Ausruf: – Ah! Sie sind es! – das Heft in die Schieblade des Tisches zurück.
Da trat Maschurina festen Schrittes in’s Zimmer.
– Ostrodumow hat mich zu Ihnen geschickt, – sagte sie gedehnt, – um zu erfahren, wann man das Geld bekommen könne? – Wenn Sie es noch heute erhielten, würden wir schon heute Abend reisen.
– Heute geht es nicht, – entgegnete Neshdanow und runzelte die Brauen; – kommen Sie morgen.
– Um welche Zeit?!
– Gegen zwei Uhr Mittags.
– Gut.
Maschurina stand einen Augenblick still – und reichte dann Neshdanow plötzlich die Hand.
– Ich habe Sie wohl gestört; verzeihen Sie. Und dann . . . ich reise fort. Wer weiß, ob wir uns je wiedersehen werden? Ich wollte von Ihnen Abschied nehmen.
Neshdanow drückte ihre rothen, kalten Finger.
– Sie haben diesen Herrn bei mir gesehen? – begann er. – Wir haben uns geeinigt. Ich nehme bei ihm eine Stelle an. Sein Gut liegt im Gouvernement S., dicht neben der Stadt selbst.
– Ein freudiges Lächeln zeigte sich auf dem Antlitz Maschurinas.
– Neben S.! Dann werden wir uns ja doch vielleicht noch sehen. Vielleicht schickt man uns dahin. – Maschurina seufzte: Ach, Alexei Dmitritsch . . .
– Was? – fragte Neshdanow.
Maschurina war tiefernst geworden.
– Nichts! – Leben Sie wohl! Nichts.
Sie drückte Neshdanow noch ein Mal die Hand und verließ das Zimmer.
»In ganz Petersburg ist doch Niemand mir so zugethan wie dieser Sonderling!« dachte Neshdanow. »Aber wozu hat sie mich denn stören müssen . . . Uebrigens, Alles zum Besten!«
Am Morgen des folgenden Tages begab sich Neshdanow in die Stadtwohnung Ssipjagin’s, und dort, in dem prachtvollen Kabinet mit den streng stilvollen Möbeln, die der Würde des liberalen Staatsmannes und Gentlemans vollkommen entsprachen, vor einem riesigen Bureau sitzend, auf welchem in regelrechter Ordnung Papiere lagen, die Niemand brauchte und die auch zu nichts zu gebrauchen waren, und neben ihnen großmächtige elfenbeinerne Papiermesser, die niemals etwas aufgeschnitten – hörte er im Verlauf einer ganzen Stunde dem freiheitsliebenden Hausherrn zu, sog den Weihrauch seiner weisen, wohlgeneigten und herablassenden Reden ein und erhielt endlich hundert Rubel. Zehn Tage später aber brauste derselbe Neshdanow an der Seite desselben weisen, liberalen Staatsmannes und Gentlemans, halb ausgestreckt auf dem sammtenen Divan eines besonderen Coupes erster Klasse, auf den ausgefahrenen Geleisen der Nikolai-Bahn Moskau zu.
Fünftes Capitel
In dem Gastzimmer eines steinernen Hauses mit Colonnaden und griechischem Giebel, in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts von dem Vater Ssipjagin’s, einem bekannten Agronomen erbaut, saß eines Tages Valentine Michailowna, die Frau Ssipjagin’s, eine blendende Erscheinung, und wartete von Stunde zu Stunde auf die durch ein Telegramm angekündigte Ankunft ihres Mannes. – Die Ausstattung des Zimmers war durchweg von moderner Eleganz: Alles war in demselben so anmuthig und anziehend – Alles, von den bunten, doch geschmackvollen Cretonne-Tapeten und Draperien bis zu den mannigfaltigen aus Etagèren und Tischen zerstreuten Kleinigkeiten aus Porzellan, Bronze und Krystall. Von den heiteren, durch die hohen, weit geöffneten Fenster frei hereinströmenden Strahlen eines Maitages beleuchtet, trat Alles weich und harmonisch hervor und schien doch ineinanderzufließen. Vom Duft des Maiblümchens durchtränkt, – überall erblickte man Sträuße dieser herrlichen Frühlingsblume, – schien die Luft des Zimmers von Zeit zu Zeit kaum merklich zu erzittern, wenn aus dem sich üppig ausbreitenden Garten, in welchem ein milder Wind sein sanftes Wesen trieb, ein frischer Luststrom in’s Zimmer hineindrang.
Ein herrliches Bild! Und was dieses Bild vollendete, was demselben Inhalt und Leben gab, war die Frau vorn Hause selbst, Valentine Michailowna Ssipjagin! Sie war eine hoch gewachsene Gestalt im Alter von ungefähr dreißig Jahren, mit dunkel-blonden Haar, frischem, an die Linien der Sixtinischen Madonna erinnerndem Antlitz, und merkwürdigen, tiefen, sammetweichen Augen. – Die Lippen waren vielleicht ein wenig zu breit und blaß, die Schultern ein wenig zu hoch, die Hände ein wenig zu groß. . . Dennoch aber hätte Jeder, der gesehen, wie sie sich frei und leicht im Zimmer bewegte, wenn sich die feine, wenn auch vielleicht allzu eng geschnürte Gestalt bald zu den Blumen herabneigte und den Duft derselben mit lächelnder Miene einzog, – bald irgend eine kleine chinesische Vase von einer Stelle zur andern rückte – dann wieder sich vor den Spiegel stellend, die wunderbaren Augen kaum merkbar zusammenkneifend, das Haar zurechtzustreichen begann – ein Jeder, sagen wir, hätte gewiß ausgerufen – still vor sich hin oder sogar laut – daß ihm niemals ein so bezauberndes Wesen begegnet sei!
Ein hübscher, krausköpfiger, etwa neunjähriger Knabe in schottischer Kleidung, mit nackten Knieen und glänzend frisirtem Haar, kam eilig in’s Zimmer gelaufen, blieb jedoch, als er Valentine Michailowna erblickte, plötzlich stehen.
– Was willst Du, Kolja? – fragte sie. – Die Stimme war ebenso weich und sammetartig wie die Augen.
– Sieh’ Mamma, – begann der Knabe verlegen, – die Tante hat mich hergeschickt . . . ich soll ihr Maiblümchen bringen . . . für ihr Zimmer . . . sie hat keine. . . .
Valentine Michailowna berührte mit der Hand das Kinn ihres Söhnchens und hob das Lockenköpfchen empor.
– Sage der Tante, daß sie nach den Maiblümchen zum Gärtner schicken soll; – das hier – sind meine Maiblümchen. . . Ich will nicht, daß sie fortgenommen werden. Sage ihr, daß ich es nicht liebe, wenn die Ordnung, die ich eingeführt, gestört wird. Wirst Du meine Worte zu wiederholen verstehen?
– Ich werde verstehen . . . – flüsterte der Knabe.
– Nun – sag’ mal! «
– Ich werde ihr sagen . . . werde sagen . . . daß Du es nicht haben willst.
Valentine Michailowna begann zu lachen – auch ihr Lachen war weich.
– Ich sehe, daß man Dir noch keine Aufträge ertheilen kann. Nun gut, sage ihr, was Du willst.
Der Knabe küßte rasch die mit Ringen geschmückte Hand der Mutter und lief eilig davon.
Valentine Michailowna begleitete ihn mit den Augen, trat dann mit einem Seufzer an eine vergoldete Volière heran, in welcher ein kleiner grüner Papagei, sich an dem Drahtgeflecht mit Schnabel und Krallen vorsichtig anklammernd, auf- und niederkletterte, und steckte die Spitze des Fingers neckend durch den Käfig; darauf ließ sie sich auf den niedrigen Divan nieder und begann, die letzte Nummer der »Revue des Deux Mondes« von dem runden geschnitzten Tische nehmend, in derselben zu blättern.
Ein ehrerbietiges Hüsteln veranlaßte sie aufzublicken. Auf der Schwelle der Thür stand ein wohlgestalteter Diener in Livrée und weißer Halsbinde.
– Was willst Du, Agathon? – fragte Valentine Michailowna mit derselben weichen Stimme.
– Ssemen Petrowitsch Kallomeyzew läßt fragen —
– Sag’,