Der sechste Sinn. Palle Adam Vilhelm Rosenkrantz

Der sechste Sinn - Palle Adam Vilhelm Rosenkrantz


Скачать книгу
von rechts her über den Weg, der sich den Hügel hinauf wand, und der Wagen rollte vorwärts über den gefrornen Schneemorast, der unter den Rädern knirschte wie Kandiszucker. Eine leichte Dampfwolke stand über den schwitzenden blankbraunen Pferden, und die Nase von Niels, dem Kutscher, leuchtete wie ein blauroter Leuchtturm aus seinem Bärenfellkragen hervor.

      Es ist nicht ganz sicher, ob diese Schilderung künstlerisch ganz richtig ist, da im Künstlerischen das Perspektivische eine große Rolle spielt und die Türme von Roskildes Domkirche, die sich in der Ferne von dem weißblauen Himmel abheben, sich nicht gut in ein perspektivisches Verhältnis zu Niels Nase bringen lassen.

      Gehen wir über diesen Punkt hinweg und lassen unsre beiden Rechtsgelehrten ohne weitere Naturbeschreibung in Braendholt einfahren.

      Hier ist ein Hiatus geboten.

      Tyr, Tut, Tine und Monny kommen in die Wohnstube auf Braendholt hineingetanzt.

      Hipp, hipp, hurra, rufen die beiden Kleinen und Tine strahlt wie ein Jubiläumszweikronenstück. Hipp, hipp, hurra für Vetter Thomas.

      »Ergebenster Diener, Onkel Bus – küß die Hand, Tante Mus! Hier habt Ihr mich.«

      Thomas Klem macht sich aus der Jugendgruppe los und nähert sich dem Familientisch, wo die beiden alten Busgaards sitzen. Er ist vergnügt, schön und strahlt, schlank, jung und groß. Er ist da, und er hat das Recht da zu sein. Denn man hat nach ihm geschickt.

      Nichtsdestoweniger sagt Onkel Bus: »Was Teufel willst Du hier? Wer hat Dich gerufen?«

      Thomas fängt den Ball im Wurfe: »Du nicht, Onkel Bus, aber öffne Deine Arme, denn meine Kamele dürsten gewaltig!«

      Busgaard brummt. »Ist der Herr dort mit dem langen Haar vielleicht eins von Deinen Kamelen?«

      Thomas verbeugt sich vorstellend: »Im Gegenteil, darf ich vorstellen Kreisrichter Heiden, Ritter des Dannebrog, p. p.«

      Tante Mus schlägt die Hände überm Kopf zusammen: »Unser neuer Kreisrichter, Gott bewahre uns!«

      »Das tut er schon, Tante, wenn Du ihn hübsch darum bittest,« sagt Thomas, aber jetzt poltert der Gutsbesitzer los: »Da soll doch gleich der Teufel . . .«

      Thomas fährt fort: »Er auch, Onkel, wenn Du ihn kräftig beschwörst. Er hat Dir früher geholfen, und Du hast die Adresse.«

      Der Gutsbesitzer ignoriert den Neffen und wendet sich zum Kreisrichter, der mit einem muntern Lächeln dasteht und sein Entree genießt. »Sind Sie unser neuer Kreisrichter?«

      Und Heiden geht auf den Ton seines Begleiters ein: »Mit der Erlaubnis des Herrn Gutsbesitzers und königlicher Bestallung.«

      »Nun, ich habe Sie nie gesehen,« sagt Busgaard und schlägt die Hände zusammen.

      »Das haben Sie nicht –« fährt der Kreisrichter fort: »Sie haben mich nie vorher gesehen und deshalb sollen Sie mich auch betrachten dürfen, wie Sie tun, obgleich ich selber meine, daß ich ganz zivilisiert aussehe. – Ich bin Ihre weltliche Obrigkeit«

      Thomas legt seine Hand auf die Schulter des Kreisrichters. »Sehen Sie ihn an! Mein Onkel Gutsbesitzer Niels Busgaard auf Braendholt! Kratzbürste, Geißel für jeden Gerichtsbezirk, Grossist in Arbeiterunruhen und Gesindeprozessen. Ein Mann, mit dem man nur umgehn kann, wenn man nicht die geringste Rücksicht auf ihn nimmt. Ein Landwirt mit rauhen aber reinen Sitten!«

      »Und dies ist seine Familie.«

      Heiden lächelt. »Eine recht liebenswürdige Familie.«

      Worauf Thomas sich ihm zuwendet und mit Überzeugung sagt: »Ja, das können Sie Onkel bitten, mit einem Fluch zu bekräftigen, er flucht häufig und gern.«

      »Kopenhagner Laffe,« klingt es halbversöhnt von den Lippen des Hausherrn, und damit haben unsre beiden Juristen ihren Einzug auf Braendholt gehalten.

      Die Familie bemächtigt sich des Vetters Thomas, der in Prozession auf sein Zimmer geführt wird. Der Assessor ist ein höchst patenter und reinlicher Mann, der gleich Toilette machen will. Er ist auch besonders populär in der Familie, und daß er solange nicht auf Braendholt gewesen ist, hat die früher erwähnten Gründe. Der Kreisrichter blieb allein mit dem Hausherrn zurück; es war deutlich, daß die Begegnung mit dem Neffen Busgaard nicht sonderlich erbaut hatte, aber er meinte doch, er müßte sich vor dem neuen Kreisrichter, der zum ersten Mal in seiner Stube stand, zusammennehmen. Und dann mußte er ja auch die Gelegenheit benutzen sich mit der Obrigkeitsperson bekannt zu machen. An den Diebstahl dachte Onkel Bus ganz und gar nicht; wahrhaftig er war zerstreut, und es fiel ihm in diesem Augenblick durchaus nicht ein, was der Kreisrichter auf dem Hofe wollte. Er hatte nur instinktmäßig das Gefühl, daß etwas Unangenehmes seiner wartete.

      »Wollen Herr Kreisrichter Platz nehmen?« sagte er geschäftsmäßig freundlich und ließ sich in den großen Mittagsruhestuhl am Familientisch fallen. Heiden setzte sich seinem Wirt gegenüber und faltete die Hände über die Knie. Es knackte in seinen schmalen, weißen Fingern; er wandte sein schönes Gesicht fragend dem Gutsbesitzer zu.

      Es entstand eine Pause.

      »Ein charmanter junger Mann, Ihr Neffe,« sagte Heiden. Er war freundlich gestimmt und wollte gern das Seinige zum Sonnenschein beitragen.

      »Ein Kopenhagener Laffe,« brummte Busgaard.

      Der Kreisrichter protestierte. »Klem ist einer der angesehensten Assessoren des Kriminalgerichtes. Er ist Dr. jur. ein kenntnisreicher und tüchtiger Mann, auf den jedes Richterkollegium mit Recht stolz sein kann, und auf den das Kriminalgericht auch stolz ist.«

      »Sie haben auch nicht viel, auf das sie stolz sein können, die Herren!« sagte Busgaard mit dem höchsten Grad von Feindseligkeit gegen den Richterstand. Ehrlich gesprochen: »Das größte Übel, was wir von dem Diebsgesindel haben, ist, daß wir die hochnäsigen Juristen ertragen müssen, die eine Entschuldigung für ihr Dasein darin finden, daß sie auf die Verbrecher aufpassen sollen, mit denen sie sich nur in dem einen messen können, nämlich daß sie uns friedliche Bürger genieren. Ich kümmere mich sonst nicht viel um das Gewäsch, was in den Zeitungen steht, aber so viel habe ich doch herausgelesen, daß die wichtigtuenden Herrn da drinnen genötigt sind, unschuldige Leute zu quälen und zu arretieren, weil sie die, die es wirklich gewesen sind, nie erwischen.«

      »Es steht so viel in den Zeitungen,« schob der Kreisrichter mit seinem stillen Sokrateslächeln ein.

      »Zugegeben,« erwiderte Busgaard, »aber soviel weiß ich doch, wenn es Lügen wären, was die Blätter über die Richter schreiben, so würden sie die Zeitungsschreiber ins Loch sperren, und wenn sie es nicht tun, so geschieht es, weil sie wissen, daß jene recht haben. Nein, mein Lieber, das Diebsgesindel ist ein elendes Pack, das sei zugegeben, aber die Richter sind bei Gott viel schlimmer. Das steht bei den meisten Blättern fest, und selbst wenn es nicht so wäre, so ist es doch meine Meinung und damit Basta.«

      Heiden lachte. »Sie meinen es nicht so schlimm.«

      »Ich meine immer, was ich sage,« sagte Busgaard barsch.

      Der Kreisrichter nickte. »So, meinen Sie das. Es kann auch seine Annehmlichkeiten haben mit einem Mann zu verhandeln, der meint, was er sagt. Solche sind nicht häufig.«

      »Also – – –«

      »Sie kommen in amtlicher Eigenschaft, soviel ich weiß?« Busgaard war jetzt etwas versöhnlicher gestimmt.

      Er haßte Widerspruch, gab man ihm jedoch recht, so wurde er gleich umgänglicher. »Das tue ich,« erwiderte Heiden. »Ich vereine das Nützliche mit dem Angenehmen, indem ich bei Ausübung meines Berufes die Bekanntschaft eines ausgezeichneten Mannes mache. Ich bin eine poetische und harmonische Natur.«

      »So, so, sind Sie von dieser Art?« Busgaard fühlte sich bereits ganz überlegen. »Da taugen Sie wohl nicht viel zum Kreisrichter?«

      Heiden genoß seinen Wirt. »Das kann ich nicht sagen,« sagte er freundlich. »Ich habe das Amt erst vor kurzem angetreten. Und ein Maulheld bin ich nicht.«

      Busgaard fuhr auf. »Soll das eine Anspielung sein,« sagte er augenblicklich en garde, »so muß ich doch . . .«

      »Sie


Скачать книгу