Die Frau in Weiss. Уилки Коллинз
Ihr Haar ist von einem so matten, blassen Braun – nicht flachsfarben und doch beinahe so hell; nicht goldig und doch fast so glänzend – daß es hier und da mit dem Schatten ihres Hutes zu verschmelzen scheint. Es ist einfach gescheitelt und über die Ohren zurückgezogen, über der Stirn kräuselt es sich in einer natürlichen Wellenlinie. Die Augenbrauen sind etwas dunkler als das Haar und die Augen von jenem schmachtenden Himmelblau, das so oft von Dichtern besungen und so selten im wirklichen Leben gesehen wird. Liebliche Augen in Farbe, lieblich in Form – große, zärtliche, still gedankenvolle Augen – aber am schönsten durch die klare Wahrhaftigkeit des Blickes, die in ihrer innersten Tiefe ruht und durch alle Wechsel des Ausdruckes wie das Licht einer reineren und besseren Welt hindurch leuchtet. Der Reiz – so zart und doch so deutlich ausgedrückt – den sie über das ganze Gesicht gossen, verbirgt und verändert die kleinen sonstigen natürlichen menschlichen Mängel desselben dergestalt, daß es schwer ist, die beziehungsweisen Vorzüge und Fehler der anderen Züge zu beurtheilen. Es ist schwer zu erkennen, daß der untere Theil des Gesichtes nach dem Kinne zu fast zu zart gebildet ist, um zu dem oberen im richtigen Verhältnisse zu stehen; daß die Nase, indem sie dem Adlerbogen entging (der bei Frauen immer etwas Hartes und Grausames hat, wie vollkommen er an und für sich auch sein mag) ein wenig nach der entgegengesetzten Richtung hin abgewichen ist und die ideale Geradheit übertreten hat und daß die lieblichen, gefühlvollen Lippen an einem kleinen nervösen Zucken leiden, das sie, wenn sie lächelt, ein wenig auf einer Seite in die Höhe zieht. Man dürfte solche Fehler möglicherweise in dem Gesichte einer anderen Frau bemerken, aber in dem ihrigen beachtet man sie nicht leicht; sie sind dazu mit Allem, was in ihrem Ausdrucke individuell und charakteristisch ist, zu genau verbunden, und der Ausdruck selbst ist in seiner ganzen Lebendigkeit in allen anderen Zügen zu sehr von der lebendigen Sprache der Augen abhängig.
Zeigt meine arme Zeichnung, die minnigliche, mit aller Muße vollendete Arbeit langer, glücklicher Tage, mir Alles dies? Ach! wie wenig ist davon in der mechanischen Zeichnung zu sehen und wie viel in den Gedanken, mit denen ich sie betrachte! Ein zartes, schönes Mädchen in einem hübschen, hellen Kleide, das mit den Blättern eines Zeichenbuches spielt, indem sie dabei mit treuen, unschuldigen blauen Augen aufblickt: – das ist Alles, was die Zeichnung sagt; vielleicht auch Alles, was selbst die größere Ausdrucksweise der Gedanken und der Feder in ihrer Sprache zu sagen vermögen. Das Weib, das unseren schattenhaften Vorstellungen von Schönheit zum erstenmale Leben, Licht und Gestalt verleiht, füllt eine Leere in unserer geistigen Natur aus, die uns, bis wir sie sahen, unbewußt war. Sympathien, die zu tief liegen für Worte, zu tief fast für Gedanken, werden in solchen Augenblicken von anderen Reizen berührt, als denen, welche die Sinne fühlen oder die Hilfsquellen des Ausdruckes bezeichnen können. Das Geheimniß, das sich in der Schönheit der Frauen birgt, erhebt sich nicht eher über den Ausdruck hinaus, bis es Verwandtschaft mit dem tieferen Geheimnisse in unserer Seele beansprucht. Dann und nur dann erst, hat sie jenes enge Bereich überschritten, auf welche in dieser Welt Feder und Griffel Licht zu werfen vermögen.
Denke an sie, wie an jenes erste Weib, das Deine Pulse fliegen machte, über die bisher noch keine Andere ihres Geschlechtes Macht hatte. Laß die guten, offenen blauen Augen den Deinen begegnen, wie sie den meinen begegneten, mit dem einen unvergleichlichen Blicke, dessen wir uns Beide so wohl erinnern. Laß ihre Stimme in jener Musik sprechen, die Du einst so liebtest und die Deinem Ohre und dem meinen so harmonisch klang. Laß ihre Schritte, wie sie in diesen Blättern kommt und geht, gleich jenem Schritte sein, zu dessen leichtem Rauschen Dein Herz den Takt schlug. Nimm sie hin als den geträumten Pflegling Deiner eigenen Phantasie, und sie wird in einem so klaren Bilde vor dir stehen als das Weib, das in meiner Seele lebt.
Unter den Gefühlen, die sie mir aufdrängen, als ich sie zum ersten male erblickte – Gefühle, die wir Alle kennen, die in den meisten unserer Herzen aufleben, in so vielen sterben und in ihr schönes Dasein in so wenigen wieder erneuern – war eins, das mich beunruhigte und verwirrte; ein Gefühl, das in Bezug auf Miß Fairlie auf seltsame Weise nicht folgerichtig und durchaus nicht gerechtfertigt schien.
Mit dem lebhaften Eindrucke, den der Liebreiz ihres schönen Gesichtes und Kopfes, der sanfte Ausdruck ihrer Züge und die einnehmende Einfachheit ihrer Manieren hervorbrachten, vermischte sich ein anderer, der mich auf nebelhafte Weise einen Mangel fühlen ließ. Einen Augenblick schien es, als ob ihr etwas fehle, im nächsten als ob der Mangel in mir sei und mich verhinderte, sie zu verstehen, wie ich sie hätte verstehen sollen; und das Widersprechende an der Sache war, daß dieser Eindruck immer am stärksten schien, wenn sie mich ansah, oder mit anderen Worten, wenn ich mir des Reizes und der Harmonie ihres Gesichtes am deutlichsten bewußt und doch dabei durch die Ahnung einer Unvollständigkeit verwirrt ward, der ich durchaus nicht näher auf die Spur kommen konnte. Es fehlte etwas, das zu ergründen ich damals zu ohnmächtig war.
Die Wirkung der sonderbaren Laune meiner Einbildungskraft (wofür ich es damals hielt) war nicht danach, daß ich mich während dieses ersten Zusammentreffens mit Miß Fairlie hätte behaglich fühlen können. Die wenigen freundlichen Worte des Willkommens, welche sie sprach, fanden mich kaum gefaßt genug, um sie auf die übliche Weise zu erwidern. Da Miß Halcombe mein Zögern bemerkte und dasselbe ganz natürlicherweise einer augenblicklichen Blödigkeit zuschrieb, so nahm sie das Gespräch wieder so unbefangen und bereitwillig wie gewöhnlich auf.
»Sehen Sie, Mr. Hartright,« sagte sie, auf das Zeichenbuch und die kleine feine Hand, die noch immer mit demselben spielte, deutend. »Jetzt werden Sie doch bekennen, daß Sie endlich das Muster einer Schülerin gefunden haben? Sowie sie hört, daß Sie im Hause angelangt sind, ergreift sie ihr unschätzbares Zeichenbuch, sieht der allgemeinen Natur gerade in’s Gesicht und sehnt sich, den Anfang zu machen.«
Miß Fairlie lachte mit einer herzlichen Fröhlichkeit, die sich so hell über ihr liebliches Gesicht ausgoß, als ob sie ein Theil des Sonnenscheines über unseren Häuptern gewesen wäre.
»Ich darf mir kein Lob anmaßen, wo mir keines gebührt,« sagte sie, mit ihren klaren, treuen Augen abwechselnd Miß Halcombe und mich anblickend. »So gern ich auch zeichne, so bin ich doch so sehr von meiner Untüchtigkeit überzeugt, daß ich mich mehr fürchte als sehne, anzufangen. Jetzt, da Sie da sind, Mr. Hartright, ertappe ich mich darauf, daß ich meine alten Zeichnungen durchsehe, wie ich wohl als Kind meine Aufgaben durchlas in der Angst, daß ich sie nicht herzusagen im Stande sein werde.«
Sie legte dies Bekenntniß auf allerliebste, ungezierte Weise ab und zog das Zeichenbuch mit einem drolligen, kindischen Ernste nach ihrer Seite des Tisches herüber. Miß Halcombe zerschnitt sofort auf ihre entschlossene, offenherzige Weise den Knoten dieser kleinen Verlegenheit.
»Ob gut, ob schlecht oder mittelmäßig,« sagte sie, »die Zeichnungen der Schüler müssen durch die Feuerprobe eines Urtheiles des Meisters gehen – und damit Punctum. Ich schlage vor, Laura, daß wir sie auf unsere Spazierfahrt mitnehmen und Mr. Hartright sie unter dem störenden Einflusse fortwährender Unterbrechungen ansehen lassen. Falls wir ihn nur während der ganzen Fahrt zwischen der Natur, wie sie ist – wenn er auf die Aussicht schaut – und der Natur, wie sie nicht ist – wenn er wieder in Dein Zeichenbuch hineinblickt – verwirren können, so werden wir ihn zu der letzten verzweifelten Zuflucht treiben, uns Schmeicheleien zu sagen und ihm durch seine Künstlerfinger schlüpfen, ohne dabei im Geringsten die Federn unserer Eitelkeit zu zerknittern.«
»Ich hoffe nur, daß Mr. Hartright mir keine Schmeicheleien sagen wird,« sagte Miß Fairlie, als wir Alle das Lusthäuschen verließen.
»Darf ich fragen, warum Sie diese Hoffnung hegen?« fragte ich.
»Weil ich Alles glaube, was Sie mir sagen werden,« erwiderte sie einfach.
In diesen wenigen Worten gab sie mir unbewußterweise selbst den Schlüssel zu ihrem ganzen Charakter, all jenem großmüthigen Vertrauen gegen Andere, wie es bei ihr aus dem Gefühle ihrer eigenen Wahrhaftigkeit hervorging. Damals fühlte ich es nur heraus. Jetzt weiß ich es aus Erfahrung.
Wir warteten bloß so lange, als die gute Mrs. Vesey Zeit brauchte, von ihrem Platze am Frühstückstische aufzustehen, und setzten uns dann Alle in den offenen Wagen, um die versprochene Spazierfahrt zu unternehmen. Die alte Dame und Miß Halcombe nahmen den Fond ein, während Miß Fairlie und ich auf dem Rücksitze saßen und das Zeichenbuch zwischen uns hielten, das endlich