Leni Behrendt Staffel 2 – Liebesroman. Leni Behrendt
mich gern los sein möchte.«
Ja, da war die kluge Beate mal erst am Ende mit ihrer Weisheit. Ratlos sah sie auf die junge Frau, die das Gesicht ins Kissen gedrückt hatte und so jammervoll weinte, daß der weichherzigen Beate auch die Tränen kamen. Angestrengt dachte sie nach, wie dem verirrten jungen Menschenkind wohl zu helfen sei. Endlich fiel ihr etwas ein, zu dem sie sich spontan entschloß.
»Sei still, Elo«, beschwichtigte sie mit tränendunkler Stimme. »Sei ganz still, ich nehme dich mit nach Hause. Dort wirst du Menschen finden, denen du vertrauen kannst. Die dich verstehen und liebhaben, du verirrtes Seelchen, du. – Paß mal auf: Da bin zuerst einmal ich. Dann Onkel Fritz, ein ebenso guter Mensch wie Arzt. Dann gibt es noch die Itt mit den lachenden Blauaugen und den langen blonden Zöpfen. Zehnjährig, manchmal unartig, aber größtenteils lieb. Unser großer Bengel ist ein lustiger Studiosus, der sich öfter mal zu Hause einfindet, um sich an Mutters Fleischtöpfen gütlich zu tun. Dann ist da Huschchen, ein liebes Altjüngferlein, das alles päppelt und es auch bei dir tun wird, bis du aus allen Nähten platzt. Else, das Hausmädchen, ist gut, fleißig und treu. Dann haben wir noch einen Hund, eine Katze, allerlei Geflügel und das alte Doktorhaus. Es ist längst nicht so pompös wie dieser Palast, aber es ist ein Haus, in dem die Liebe immer wohnt.«
Schon längst war das Weinen verstummt. Der Blick zweier großer, flackernder Augen hing gespannt an den Lippen der Erzählenden. Und als die Stimme schwieg, sprach die andere in fliegender Hast:
»Ist das auch alles wahr, Tante Beate? Gibt es denn wirklich so was wunderbar Schönes?«
»Das Doktorhaus liefert den Beweis.«
»Der Student und die Itt, sind das deine Kinder?«
»Ja. Knut ist ungefähr so alt wie du, und Birgit ist ein Nachkömmling.«
»Und Onkel Fritz?«
»Ist der gute Onkel Doktor. Der wird in dem Städtchen verehrt von jung und alt.«
»Oh, Tante Beate, nimm mich mit! Bitte, nimm mich mit. Fahren wir gleich?«
»Na, nun mal langsam. Ich muß doch erst bei deinem Mann die Erlaubnis einholen.«
»Ach ja.« Elonie ließ sich entmutigt in die Kissen zurücksinken. »Er wird bestimmt dagegen sein.«
»Abwarten. Ich gehe jetzt zu ihm. Indes kannst du dich anziehen.«
»So sicher bist du, Tante Beate?«
»Jawohl, so sicher.«
Wenig später betrat sie das Zimmer, wo der Herr des Hauses ihr skeptisch entgegensah.
»Diederich, ich habe Elonie versprochen, sie mit mir nach Hause zu nehmen.«
»Das habe ich geahnt«, entgegnete er zu ihrer Überraschung gelassen. »Und Elonie will tatsächlich mit dir gehen?«
»Ja. Hast du etwas dagegen?«
»Nein. Ich halte es jedoch für meine Pflicht, dich darauf aufmerksam zu machen, daß du mit Elonie einen Störenfried in euer harmonisches Familienleben bringen würdest.«
»Inwiefern?«
»Weil sie unnachgiebig und eigensinnig ist. Sie wird alle beherrschen wollen, und wenn sie auf Widerstand stößt, wird sie die gleichen Methoden anwenden wie hier: trotzen, sich einschliessen und in den Hungerstreik treten.«
»Trotzdem möchte ich es mit ihr versuchen.«
»Na schön. Aber ich habe dich gewarnt. Und wie soll ich mich weiter verhalten?«
»Das wird dir Onkel Fritz sagen, der, wie du ja weißt, ein ganz guter Psychiater ist. Und wenn er einen Sanatoriumsaufenthalt für erforderlich hält, wird er dafür sorgen, daß Elonie einer zuteil wird.«
»Also sei es. Es bleibt mir ja auch nichts anderes übrig, als eure großmütige Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ich muß zu meiner Schande gestehen, daß ich mit meiner Frau nicht fertig werde. Wann wollt ihr fahren?«
»Möglichst bald.«
»Bist du mit dem Auto gekommen?«
»Nein, mit der Bahn. Das Auto muß Onkel Friltz jederzeit zur Verfügung stehen. Aber Elonie hat ja wohl ihren eigenen Wagen?«
»Den hat sie. Doch es wäre nicht ratsam, sie in ihrer miserablen Verfassung ans Steuer zu lassen, zumal sie seit Monaten nicht mehr gefahren ist. Der Chauffeur kann euch mit meinem Wagen hinbringen.«
»Brauchst du ihn denn nicht?«
»Das schon. Da muß ich mich heute eben behelfen, und morgen, wenn ich abreisen muß, sind ja Wagen und Fahrer wieder zur Stelle.«
In dem Moment trat die Zofe ein, die Beate genauso mißfiel wie Hausdame und Diener.
»Was wollen Sie, Kathi?« fragte ihr Herr kurz.
»Die gnädige Frau läßt fragen, was für Sachen sie einpacken soll.«
»Darum werde ich mich kümmern«, erklärte Tante Beate unfreundlich. »Sie brauchen dabei nicht zu helfen.«
»Du bist ja kurz angebunden«, meinte Diederich unbehaglich, nachdem das Mädchen gekränkt abgewippt war.
»Das bin ich immer, wenn ich eine so freche Visage sehe. Ich gehe jetzt, um Elonie beim Packen der notwendigen Sachen zu helfen.«
Als sie nach geraumer Zeit zurückkehrte, sagte sie aufatmend:
»Das wäre nun auch geschafft. Jetzt möchte ich noch meinen Fritz sprechen, um ihn auf unseren Gast vorzubereiten. Darf ich den Apparat benutzen?«
»Ja, selbstverständlich. Ich stelle die Verbindung her.«
Wenig später bekam sie den Gatten in die Leitung und sagte lachend:
»Fritzchen, du brummst ja wie ein mißgestimmter Bär. Paß mal auf: Ich bringe einen Gast mit, Elonie Brendor. Erschrick nicht, wenn du sie siehst, sie hat sich sehr verändert. Was ihr fehlt, sollst du feststellen. Jawohl, Diederich ist einverstanden, da kannst du ganz beruhigt sein. Huschchen soll das größere Fremdenzimmer gut lüften und dann die Heizung anstellen. Jawohl, wir brechen bald auf. In Diederichs Auto nebst Chauffeur. Also, dann bis bald, Alterchen.«
Sie legte auf und sagte zufrieden:
»So, nun wäre auch das erledigt!«
»War Onkel Fritz nicht erstaunt?«
»Eigentlich nicht. Er wollte nur wissen, ob du mit allem einverstanden bist. Weiß der Chauffeur Bescheid?«
»Das Auto steht schon bereit.«
»Dann kann die Reise losgehen. Also, Diederich, mach dir keine Sorgen. Elonie ist bei uns gut aufgehoben. Laß uns immer wissen, wo du dich aufhältst, damit wir
dich benachrichtigen können, wenn es notwendig sein sollte.«
Sie ging in die Halle, ließ sich von dem Neffen in den Mantel helfen und sah unruhig zur Treppe hin.
»Wo bleibt denn nun Elonie?«
»Die gnädige Frau sitzt bereits im Wagen«, meldete der Diener. Und obgleich seine Miene unbeweglich war, glaubte Tante Beate dennoch ein hämisches Grinsen zu bemerken. Brüsk drehte sie sich um und ging zum Auto, dessen Schlag der Chauffeur für sie offenhielt. Sie reichte dem Neffen, der ihr gefolgt war, die Hand, über die er sich artig neigte.
»Ich danke dir, Tante Beate.«
»Schon gut, Diederich. Melde dich bald.«
Sie stieg ein, und der Chauffeur brachte den schweren Wagen in Gang.
*
Nach einer halben Stunde hatte man die Stadt erreicht, die ungefähr fünfzigtausend Einwohner zählte. Das Doktorhaus lag ein wenig außerhalb. Nicht sehr günstig für einen Arzt. Doch war dieser der Ansicht, daß diejenigen, die Wert auf seine Behandlung legten, ihn schon finden würden, was denn auch der Fall war. Zu ihm kamen mehr Patienten als zu den anderen Ärzten, die ihre