Leni Behrendt Staffel 2 – Liebesroman. Leni Behrendt
»Ich mußte sie nach elf Uhr aufwecken, so fest war der Schlaf nach deinem altbewährten Schlaftrunk.«
»Hat sie denn etwas gegessen?«
»Sie wollte nicht, aber sie mußte. Denn gute Pflege ist meiner Ansicht nach die Hauptsache.«
»Da hast du recht: Und soweit ich dich kenne, wird es dir gewiß gelingen, deinen Pflegling aufzupäppeln.«
»Wie ist es nun mit unserer lebhaften Itt? Soll ich sie Elonie fernhalten?«
»Nein, laß das Kind ruhig gewähren. Wenn wir Rücksicht auf sie nehmen, machen wir sie ja auch hier zur Hauptperson, um die sich alles dreht – und das muß unbedingt vermieden werden. Dieses von den Eltern vergötterte Geschöpf muß endlich erkennen lernen, daß es noch andere Götter neben ihm gibt. Du verstehst doch, was ich meine?«
»Ja, Fritz, ich werde mich danach richten.«
»In Ordnung, Liebste. Ich mache jetzt zwei Krankenbesuche und hoffe, mich pünktlich zu Tisch einzufinden.«
Obwohl sie dreiundzwanzig Jahre verheiratet waren, trennten sie sich nie ohne einen herzlichen Kuß, auch nicht auf eine halbe Stunde.
Als er gegangen war, nahm Beate ein Kleid ihrer Tochter zur Hand, aus dem diese die Beine zu weit heraussteckte. Wenn der Saum ausgelassen wurde, konnte die Kleine das Kleid noch gut einen Winter tragen.
So machte die Mutter sich denn langsam an die Arbeit, die feinen Stiche aufzutrennen. Es herrschte um sie her behagliche Ruhe, in welche die große Standuhr gemächlich hineintickte. Im Kamin prasselten die Scheite.
Adolar lag zu ihren Füßen und gab leise Schnarchtöne von sich. Die Katze Rosamunde mit dem schneeweißen Fell, dem schwarzen Stern am Hals und den schwarzen Pfoten, saß auf der breiten Fensterbank unter den blühenden Topfblumen und wusch sich, dabei behaglich schnurrend. Von der Fahrstraße, die in einem Abstand von ungefähr fünfzig Metern am Haus vorüberführte, klang das Getöse der Laster nur gedämpft in das friedliche Gemach, das Elonie eine Weile später betrat.
»Da bist du ja!« empfing die Tante sie freundlich. »Nimm Platz. Einigermaßen ohne Bedienung ausgekommen?«
»O ja, Tante Beate.« Sie streichelte den Hund, der aufgesprungen war und sich nun zutraulich an ihr Knie schmiegte. »Ich habe sogar schon die Koffer ausgepackt und die Sachen eingeräumt.«
»Für deine Verhältnisse immerhin eine Leistung. Erschrick nicht, hinter dir auf dem Sessel sitzt Rosamunde.«
»Wer ist denn das?«
»Schau dich um, dann wirst du es wissen.«
»Oh, eine Katze, wie reizend. Ob sie mich mag?«
»Sicherlich. Sonst hätte sie dich gemieden. Siehst du, jetzt klettert sie gar noch auf deinen Schoß und schnurrt. Einen größeren Sympathiebeweis kannst du wohl nicht verlangen.«
In dem Moment trat Birgit ein – und schon kam Leben in die Bude.
»Tagchen auch, Elonie!« rief sie strahlend. »Und Rosamunde sitzt auf deinem Schoß? Du, darauf kannst du dir aber was einbilden. Sie ist sonst sehr scheu Fremden gegenüber. Aber du bist ja auch keine Fremde, du gehörst zur Sippe.«
Die Mappe lag auf einem Stuhl, Mantel nebst Mütze folgten – und dann senkte das Mägdlein unter dem strafenden Mutterblick beschämt den Kopf.
»Ist ja schon gut, Mutti«, brummte es, trug die Sachen hinaus, und Frau Beate lachte.
»Sie versucht es immer wieder, obwohl sie weiß, daß sie damit nicht durchkommt. – Da bist du ja wieder, du Tunichtgut. Ich schau mal nach, wie weit Huschchen mit dem Essen ist. Unterhalte indes Elonie, aber fall ihr dabei nicht auf die Nerven.«
Eingedenk der Mahnung hielt die kleine Plaudertasche ihr Zünglein zuerst noch im Zaum. Doch so nach und nach ging es ihr durch. Sie fragte der Base die Seele aus dem Leibe, bis der Eintritt des Vaters dem ein Ende machte.
»Du scheinst wieder einmal nett in Form zu sein.« Er besah sich schmunzelnd sein Töchterchen, das von der angeregten Unterhaltung rote Bäckchen und blanke Augen bekommen hatte.
»Ist sie dir lästig gefallen, Elonie?«
»Ach nein, Onkel Fritz.«
»Na du, sehr überzeugend klang das nicht. Wenn sie dir zuviel wird, schieb sie ruhig ab. Denn ihr Plappermäulchen ist nicht jedermanns Sache.«
»Da bist du ja, Fritz«, sagte die Hausfrau, als sie hinzutrat. »Wunderbar, da können wir gleich essen.«
Das Mahl bestand aus drei Gängen und war vorzüglich zubereitet. Zuerst hatte Elonie das Gefühl, nicht einen Bissen hinunterzukriegen. Doch allmählich aß sie sich gewissermaßen ein, und zuletzt schmeckte es ihr sogar.
Es berührte sie wohltuend, daß keiner ihr etwas aufnötigte, sondern sie gewähren ließ. Selbst Birgit machte keine Bemerkung, wie sie ja überhaupt nicht in die Unterhaltung der Erwachsenen dreinreden durfte, was der kleinen Plaudertasche sichtlich schwerfiel. Erst beim Nachtisch erhielt sie vom Vater Redeerlaubnis, die sie dann weidlich ausnutzte.
Nach dem Essen ging man in ein kleines trauliches Gemach, wo man den Mokka zu trinken pflegte, von dem Birgit natürlich ausgeschlossen war. Aber auch Elonie wurde er von dem Arzt verboten, was sie zum Widerspruch reizte.
»Den Mokka darfst du mir nicht verbieten, Onkel Fritz. Er ist das einzige, was mich hochhält.«
»Und den du daher kannenweise getrunken hast«, warf er trocken ein. »Es ist kein Wunder, daß deine Nerven so zerrüttet sind. Sieh zu, daß sie in Ordnung kommen, dann wird ein Täßchen Mokka nach Tisch dir gewiß nicht schaden. Eine Zigarette doch sei dir bewilligt.«
»Danke«, lehnte sie schroff ab. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte die Tür hinter sich zugeschlagen, wie sie es von Hause aus gewohnt war, sofern man ihrem starren Willen Widerstand entgegenzusetzen wagte. Hier wagte sie das denn doch nicht – und war somit gezwungen, sich zum erstenmal in ihrem verwöhnten Leben Selbstbeherrschung aufzuerlegen. Das Ehepaar wußte wohl, was in ihr vorging, selbst das zehnjährige Kind ahnte etwas davon. Doch bevor es noch eine unangebrachte Bemerkung machen konnte, stand der Vater auf.
»Da nichts Besonderes vorliegt, darf ich mir erlauben, mich für ein Stündchen aufs Ohr zu legen. Wie ist es, Elonie, willst du nicht auch ein Mittagsschläfchen halten?«
»Nein, Onkel Fritz, ich könnte ja doch nicht schlafen, und ruhen kann ich auch im Sessel.«
»Wie du willst. Also gehabt euch wohl. Nach einer Stunde erscheine ich wieder auf der Bildfläche.«
Vergnügt vor sich hin pfeifend ging er davon, und Elonie sagte hastig:
»Wenn du auch ein Mittagsschläfchen halten willst, Tante Beate, dann laß dich durch mich nicht aufhalten.«
»Das würde ich auch gewiß nicht tun«, kam es freundlich zurück. »Aber ich schlafe mittags nie, da ich ja nachts ungestört schlafen kann, während Onkel Fritz so manches liebe Mal hinaus muß. Da schläft er denn, sofern es möglich ist, über Mittag ein Weilchen. Aber, wie gesagt, sofern es möglich ist. Wenn er dringende Krankenbesuche zu machen hat, muß er auf den Mittagsschlaf verzichten.«
»Sag mal, Tante Beate«, Elonie zupfte an ihrem Taschentuch herum, »wird dir eigentlich nie die Zeit lang?«
»Nein, mein Herzchen. Für mich ist manchmal noch der Tag zu kurz.«
»Ja, ach so, hat Onkel Fritz seine Praxis in der Stadt?«
»Nein, hier im Haus. In einem kleinen Anbau mit separatem Eingang. Er kann sein Sprechzimmer von der Diele aus erreichen.«
»Tante Beate, darf ich weiterfragen?«
»Man immer zu. Was willst du wissen?«
»Wie es kommt, daß du so ganz anders bist und aussiehst als meine verstorbene Schwiegermutter. Sie lebte zwar nicht mehr, als ich heiratete, aber ich kannte sie von früheren Geselligkeiten.