Karin Bucha Staffel 1 – Liebesroman. Karin Bucha
starrte Leontine Eckhardt auf diese Zeilen.
Lisa Wendler? Nie war der Name in ihrem Beisein von seinen Lippen gefallen.
Hatte diese Frau einmal eine Rolle in seinem Leben gespielt?
Sie rückte den Sessel zur Seite und schaute hinüber zu dem Bild Eugen Eckhardts. Sah er nicht aus drohenden Augen zu ihr herab?
Furcht kroch sie an, und ein eisiger Schauer rieselte über ihren Rücken.
Hastig, wahllos stopfte sie alle Briefschaften zurück in die Fächer. Nur das Buch behielt sie und verließ damit eiligst den großen Raum, den nach dem Tode Eugen Eckhardts noch niemand wieder betreten hatte.
Sie zog sich in ihr Schlafzimmer zurück und schloß die Tür hinter sich ab.
Vor dem Frisierspiegel sank sie auf den Hocker.
Und nun vertiefte sie sich wieder in den Inhalt des Buches. Seite um Seite las sie.
Die Zeit verging.
Die zierliche Pariser Uhr schlug mit silbernem Klang die dritte Stunde. Da ließ Leontine das Buch sinken.
Ihr Blick fiel in den Spiegel. Sie erschrak vor ihrem eigenen Aussehen. Farblos waren die Wangen, und in den Augen loderte ein wütendes Feuer.
Mit einem Ruck schleuderte sie das Buch von sich.
»Das ist ja infam!« preßte sie zwischen den Zähnen hervor. »Das ist Betrug, glatter Betrug!«
Nach und nach hatte sie den Inhalt des Buches verstanden. Eugen Eckhardt war dieser Lisa Wendler irgendwie verpflichtet gewesen und hatte die ganze Ausbildung ihres Sohnes Helmuth übernommen. Aber am bittersten war doch, daß er den Fremden sogar am Erbe beteiligt hatte, wovon im Testament kein Wort stand.
Und sie? Die eigene Frau hatte er völlig abhängig vom Sohn gemacht!
Alle betrogen sie… alle!
Leontines Kopf sank tief herab. Ein trockenes Schluchzen brach von ihren Lippen.
War ihr Leben so verfehlt gewesen, daß sie heute in dieser Weise von allem abseits stehen mußte?
Sie weinte bitterlich. Und doch war es kein reuiges Weinen. Zorn brannte in ihr. Mit einem verachtungsvollen Blick streifte sie das Buch, das halbgeöffnet vor dem Kleiderschrank am Boden lag.
Für andere hatte er großzügig, wirklich väterlich gesorgt.
Väterlich…?
Mein Gott! Wenn nun diese Lisa Wendler – und Eugen…?
Ein Zittern lief über ihre hagere Gestalt. Sie erhob sich schwerfällig.
Rastlos, mit harten Schritten wanderte sie über den dicken Teppich, die Augen finster zu Boden gerichtet, und grübelte.
Nach und nach wurde es klar in ihr.
Dr. Hartmut mußte ihr Auskunft geben.
Sie nahm das Buch wieder vom Boden auf und barg es in ihrer Handtasche, dann ging sie zur Tür, schob den Riegel zurück und klingelte nach Johannes.
»Bestellen Sie mir den Wagen. Ich fahre aus!«
*
Diensteifrig riß der Chauffeur die Tür des Wagens vor Leontine Eckhardt auf.
Sie schien durch den Mann hindurchzusehen. Ohne rechts und links zu blicken, stieg sie ein, setzte sich in die Ecke des Wagens und starrte vor sich hin.
»Fahren Sie zum Friedhof«, gebot sie mit rauher Stimme.
Der Wagen rollte davon und schlängelte sich geschickt durch den Verkehr.
Leontine hatte keinen Blick übrig für das, was draußen vorging.
Gedanken hetzten wild hinter ihrer Stirn. Ihr Atem ging fliegend, und die Hände waren in ständiger Bewegung.
Betrogen!
Alle hatten sie betrogen!
Vor dem Eingang zum Friedhof hielt der Wagen. Während der Chauffeur, eine Zigarette rauchend, am Schlag lehnte, ging Leontine in gebeugter Haltung die verschlungenen Wege entlang. Sie spürte den tiefen Frieden nicht, der sie umgab. Wie in einem Vulkan brodelte und gärte es in ihr.
Sie glaubte, an der Empörung ersticken zu müssen.
Wie bekam sie Verbindung mit Helmuth Wendler, dem jungen Rechtsanwalt, der es doch nur durch die Güte ihres Mannes geworden war?
Aus tiefen Gedanken fuhr Dr. Wendler empor.
Bestürzt blickte er auf die Frau, die, in tiefes Schwarz gekleidet, vor ihm aufgetaucht war.
Auch Leontine Eckhardt blieb betroffen stehen.
Ein Fremder am Grab ihres Mannes?
Dr. Wendler verneigte sich. Sicher war es die Witwe seines Wohltäters, der er so unverhofft gegenüberstand.
Sein Herz war von Dankbarkeit erfüllt. Am liebsten hätte er die Hand der Frau ergriffen und sie an seine Lippen geführt.
Das wortlose Anstarren der Frau wurde ihm unangenehm. Vielleicht erwartete sie irgendeine Erklärung von ihm für seinen Aufenthalt am Grab ihres Mannes?
Einem Impuls folgend sagte er:
»Verzeihen Sie mein Eindringen in Ihre Trauer. Nur eine kurze Andacht habe ich hier gehalten. Ich schulde dem Verstorbenen großen Dank.«
Ein Laut, wie ein Stöhnen, drang an sein Ohr und ließ ihn augenblicklich verstummen.
»Sie, Sie schulden meinem Mann Dank? Wer sind Sie?«
Befremdet von dem harten Ton, in dem die Frau zu ihm sprach und der seine jubelnde Freude dämpfte, verneigte er sich leicht.
»Gestatten Sie – Helmuth Wendler, Rechtsanwalt.«
Er sah, wie die Frau schwankte. Schnell sprang er hinzu und geleitete sie zu einer Bank.
Dort sank Leontine nieder, unfähig zu sprechen.
Stumm saß Dr. Wendler neben ihr, hielt die Lehne umspannt und schaute auf das tiefgesenkte Haupt der Frau hinab.
»Gnädige Frau – darf ich auch Ihnen meinen tiefempfundenen Dank aussprechen?« flüsterte er, als wolle er den tiefen Frieden nicht stören.
Die Frau gebot ihm mit einer angedeuteten Bewegung Schweigen. Dann ging ein Ruck durch ihren Körper. Steif aufgerichtet sah sie zu ihm empor. Er fühlte ihre Augen so haßerfüllt auf sich ruhen, daß ihm das Blut zum Herzen schoß.
Mein Gott! Haßte die Frau ihn? Weshalb?
Unmöglich, er mußte sich getäuscht haben.
Rechtsanwalt! Rechtsanwalt! Das Wort kreiste in Leontines Hirn, bohrte sich wie mit spitzen Krallen ein.
Wenn sie nun schwieg? Wenn sie nun die Rolle der wohltätigen Frau weiterspielte und damit ein williges Werkzeug für ihre Pläne bekam?
So saßen sie nebeneinander. Leontine mußte ein Auflachen unterdrücken. Wer hätte vor einer halben Stunde noch gedacht, daß sie mit Helmuth Wendler auf der Bank vor dem Grab ihres Mannes sitzen würde?
»Sie waren viel mit meinem Mann zusammen?« fragte Leontine Eckhardt und sah dabei über das Grab hinweg.
»Ich habe Ihren Gatten nie gesehen«, erwiderte er leise, fast feierlich.
»Nie gesehen?« wiederholte sie ungläubig und kräuselte die Lippen.
Sekundenlang sah sie von der Seite her in sein offenes, sonnengebräuntes Gesicht, dann wandte sie wieder den Blick ab, der sich in der Ferne verlor.
Nein, er log nicht. Sie suchte auch vergeblich nach einer Ähnlichkeit.
»Aber Ihre Mutter hat mit meinem Mann in Verbindung gestanden«, bohrte sie weiter.
Bestürzt gestand Helmuth:
»Meine