Karin Bucha Staffel 1 – Liebesroman. Karin Bucha
Ähnlichkeit zwischen Helmuth Wendler und der zarten blonden Frau, die Leontine geöffnet hatte, war unverkennbar.
»Sie sind Dr. Wendlers Mutter?« fragte sie auch sogleich in ihrer rücksichtslosen Art.
Groß, unverwandt blickte Leontine in das jugendlich wirkende Antlitz Lisas. Sie dachte an ihr Spiegelbild, das ihr ein vergrämtes frühzeitig gealtertes Gesicht zurückgeworfen hatte, und der Haß in ihr bekam neue Nahrung.
Sie warf den Kopf in den Nacken.
»Bitte, führen Sie mich zu Dr. Wendler.«
»Sie werden bereits erwartet.«
Mit ruhiger Sicherheit ging Lisa der hochgewachsenen, in dichte Schleier gehüllten Frau voran und öffnete die Tür zum Zimmer ihres Sohnes.
Nicht eine Miene ihres Gesichtes verriet, wie es in ihr aussah, daß ihre Ruhe nur gekünstelt war und daß sie meinte, die Frau in Schwarz müßte den beängstigenden Schlag ihres Herzens hören.
Helmuth forderte seine Besucherin zum Platznehmen auf.
»Gnädige Frau, ich stehe Ihnen zur Verfügung«, sagte er ehrerbietig.
Leontine atmete tief und erregt. Dr. Wendler sah es am Zittern des Schleiers, den die Frau immer noch über dem Gesicht trug.
Sekunden vergingen, ohne daß er oder Leontine den Anfang zu einem Gespräch fanden.
Die Stille lastete im Zimmer, sie lastete auch schwer auf Helmuth. Er räusperte sich.
»Darf ich wissen, was Sie zu mir führt, gnädige Frau?«
»Ich benötige Ihre Hilfe«, begann sie kühl und von oben herab. Helmuth war nicht mehr überrascht von dem wechselvollen Wesen der Frau. Er spürte nur die Unausgeglichenheit ihres Charakters und wurde davon abgestoßen. Doch er brauchte nur an ihren Mann zu denken, um gleich wieder das Gefühl der Abneigung in sich zum Schweigen zu bringen.
»Bitte, reden Sie«, forderte er sie sachlich auf.
Leontine lehnte sich weit in den Sessel zurück.
»Entschuldigen Sie, ich bin in letzter Zeit sehr nervös und überreizt«, erklärte sie. »Zuviel ist über mich hereingebrochen. Mein Mann hat ein Testament, ein seltsames Testament hinterlassen – und dieses Testament will ich anfechten. Sie sollen mir dabei helfen.«
Bestürzung zeigte sich in Helmuths tiefgebräuntem Gesicht.
»Haben Sie einen Grund?« erkundigte er sich, den geschäftsmäßigen, sachlichen Ton beibehaltend.
»Ja!« Hart klang dieses Ja. »Mein Mann hat meinen erstgeborenen Sohn zum Haupterben bestimmt und in seinem Todesfalle dessen Nachkommen, in erster Linie die Frau. Mein Sohn ist verheiratet gewesen, er hat auch ein Kind, ein Mädchen, hinterlassen. Beide, die Frau und das Kind, wären demnach erbberechtigt.«
Interessiert beugte Helmuth sich vor.
»Sie wollen erreichen, daß die Erbschaft nicht an die Frau und das Kind, sondern an Sie fällt?«
»Mein zweiter Sohn hat sich in selbstloser Weise um das Werk bemüht und wurde durch das Testament ziemlich kaltgestellt. Er ist aber von allerlei Hemmungen befallen…«
»Aha, Ihr Sohn ist mit Ihrem Vorhaben nicht einverstanden?« warf Helmuth fragend ein.
»Gott – einverstanden«, meinte sie verächtlich. »Er schlägt sich mit seinem Gewissen herum – indessen verstreicht die Zeit, und die Frau und das Kind treten an seine Stelle. Das muß unter allen Umständen verhindert werden.«
Eine Welle von Haß schlug dem jungen Anwalt entgegen. Gedankenvoll sah er vor sich hin.
»Haben Sie Unterlagen, die Ihnen das Recht geben, das Testament anzufechten?«
»Ich glaube«, erwiderte sie kalt. »Das Testament enthält eine Bedingung. Die Frau muß würdig sein, das Erbe anzutreten. Es hat sich aber erwiesen, daß sie ein leichtfertiges Geschöpf ist. Ich werde mit allen Mitteln kämpfen, um diese Frau als Erbin auszuschalten.«
»Und dabei soll ich Ihnen helfen?« fragte er ruhig.
Plötzlich war er nicht mehr der gutmütige Junge, sondern Rechtsanwalt.
»Sind Sie sich auch bewußt, daß ein solcher Prozeß viel Staub aufwirbelt?«
»Den fürchte ich nicht«, kam es hart als Antwort.
»Wie wäre es, wenn Sie sich in Güte mit dieser Frau auseinandersetzten?« schlug er vermittelnd vor.
»Niemals!«
Da schwieg Dr. Helmuth Wendler. Er wußte, die Frau ging aufs Ganze.
»Und Ihr Sohn ist damit nicht einverstanden? Sie müssen dabei bedenken, daß ja auch in seinem Namen geklagt wird«, gab er zu überlegen.
Verlegen spielte Leontine mit ihrer Handtasche.
»Ich stehe ganz allein in diesem Kampf – ich rechne aber fest mit Ihrer tatkräftigen Unterstützung.«
Da schossen Dankbarkeit und Mitleid mit der Frau in ihm empor, und sie nahmen alles, was an Abwehr in ihm war, mit hinweg.
»Gut!« Er richtete sich entschlossen auf. »Ich übernehme den Auftrag.«
Befriedigung glitt über ihre Züge. Dann hatte sie ihn also ganz richtig eingeschätzt. Sie hatte nicht daran gezweifelt, daß er aus einem Gefühl der Dankbarkeit heraus ihr williges Werkzeug werden würde, aus einer Dankbarkeit heraus, die sie gar nicht verdiente.
»Hier gebe ich Ihnen die Adresse eines Mannes, mit dem Sie sich in Verbindung setzen können. Er wird Ihnen erschöpfende Auskunft über das Vorleben der Frau meines verstorbenen Sohnes geben.«
Aus ihrer Handtasche brachte sie ein schmales Notizbuch zum Vorschein, dem sie eine Seite entriß und vor Helmuth niederlegte. Er las:
»Detlef Sprenger, Ingenieur.«
Und dann folgten die Anschriften seiner Wohnung und seines Büros.
»Mein Sohn und dieser Sprenger waren Freunde«, schloß sie.
»Und wann kann ich die Unterlagen haben? Ich meine das Testament, damit ich mir eine Abschrift anfertigen kann?«
Leontine Eckhardt stand auf.
»Ich schicke Ihnen heute noch alles zu, denn morgen verreise ich. Sie erhalten aber gleichzeitig meine Adresse, damit Sie mich auf dem laufenden halten können.«
Helmuth verneigte sich leicht.
»Ich werde mein möglichstes tun. Wenn das Recht auf Ihrer Seite steht, werden wir den Prozeß auch gewinnen.«
»Ich muß ihn gewinnen, hören Sie, Dr. Wendler, ich muß! Mir ist jedes Mittel recht!«
Wie vor den Kopf geschlagen von der Leidenschaft und dem Haß der Frau stand er wortlos, ohne sich zu rühren.
Erst als die Tür hinter ihr ins Schloß fiel, erwachte er wie aus einem bösen Traum.
*
Später als gewöhnlich erhob sich Nikolaus Eckhardt am Morgen und verließ sein Zimmer, um sich zum Frühstück zu begeben.
Auf dem Flur begegnete ihm Johannes, der, mit zwei Koffern beladen, aus dem Ankleidezimmer seiner Mutter kam.
Überrascht blieb er stehen.
»Nanu!«
»Die gnädige Frau verreist«, erklärte Johannes.
Wortlos sah Nikolaus den alten Getreuen an. Er konnte nicht feststellen, daß dieser darüber traurig war.
»Es ist gut«, winkte Nikolaus ab.
Mit ernstem Gesicht setzte er seinen Weg fort. Im Eßzimmer fand er den Tisch nur für sich gedeckt. Kurz entschlossen drehte er wieder um und suchte seine Mutter auf.
Fix und fertig angezogen stand Leontine inmitten des