Volks-Sagen. Johann Karl Christoph Nachtigal
Er stürzte mit einem Knüttel bewafnet aus dem Hofe, und schlug damit auf zwei gewaltige Hunde los, unter denen er seinen Packan liegen sahe; und dieser verfolgte nun seine fliehenden Feinde.
Aber, in diesem Augenblick sprengte Jungkherr Veit, mit einigen reisigen Knappen und einer ganzen Meute Hunde, heran, fluchte, als Jakobs Nachbarin, Marie, ihm den Vorfall aus dem Fenster zurief, alle Teufel aus der Hölle auf die Bauern herab, mißhandelte den wehrlosen Jakob aufs grausamste, und ließ ihn halbtodt nach seiner Burg schleppen, die etwa eine Stunde vom Dorfe, dessen hochgebietender Herr er war, im Walde versteckt lag.
Es war die Zeit des Faustrechts, wo der übermächtige Ritter, der, bei der Ohnmacht der Fürsten, keinen Obern über sich erkannte, nur von Rechten, nie von Pflichten sprach, dem unterdrückten Landmann aber keine Rechte zugestand; wo der Bauer fast als Leibeigner und als Waare betrachtet wurde, die der Besitzer nach Willkühr verkaufen oder umsetzen könnte. – Und so fiel es Niemanden ein, Jakobs Rechtfertigung zu hören, oder seine Vertheidigung zu übernehmen. Er schmachtete fünf Monate, von Kälte und Hunger und Ungeziefer gepeinigt, in einem Gefängniß, das man das Hundeloch nannte, ob es gleich für Menschen bestimmt war, und ein Stück verschimmeltes Brod war sein höchstes Glück.
Doch mehr als dies alles kränkte ihn der Uebermuth der Knappen, die, auf Veits Reizung, ihn alle Tage verhöhnten, und am meisten der bittre, herznagende Spott der stolzen Kathrine; so nannte man das einzige Kind des Jungkherrn. Diese, der Liebling und das Ebenbild ihres Vaters, ritt alle Tage mit ihm auf die Jagd, und, wenn sie vor Jakobs Gefängniß vorbei kam, welches in der Thür eine Oefnung hatte, um etwas Luft, und das Brod, das man ihm zuwarf, aufzunehmen, hetzte sie, unter der lauten Hohnlache des Vaters, die Hunde gegen Jakob an, und fragte mit kreischender Stimme: Ob der Hund die Hunde nicht wegprügeln wollte? Ob er, oder sein Sohn, nicht etwa ein Fräulein, wie sie, zur Frau haben wollte, da ihm Marie nicht gut genug gewesen sey? u. s. w. Auch erlaubte sie sich dabei noch manches, das die Ehrbarkeit verschweigt, und das man von einem zwanzigjährigen Fräulein nur bei solcher Zucht erwarten konnte.
Jakob biß die Zähne zusammen, und schwieg. Endlich aber, da sie ihm einst drohte, ihn in das Burgverließ werfen zu lassen, damit er den Hunden das Brod nicht verkümmere, und er noch einige Kräfte fühlte, ob gleich seine nakten Arme, wenn er sie ansah, nur noch die Stoppeln von dem zeigten, was er sonst war, beschloß er durchzubrechen. In einer stürmischen Nacht, am Ende des Winters, fing er an die morschen Wände seines Kerkers zu erschüttern, und nach einigen Versuchen stürzten sie über ihn zusammen. Er kroch auf Händen und Füßen durch die tiefen Graben, die den Burghof rings umschlossen, und die noch mit Eis bedeckt waren, und – fühlte sich nun wieder frei.
Aber, wohin sollte er gehen? Richter, an die der Unterdrückte sich hätte wenden können, gab es damals nicht; Beschützer, die ihn gegen neue Mißhandlungen schirmten, gab es für seines Gleichen nicht. Um der Rache seines Jungkherrn und der stolzen Kathrine zu entgehen, mußte er landflüchtig werden; denn er sah schon im Geiste mit Anbruch des Tages Knappen und Hunde aufbieten, um den Flüchtling zu verfolgen. Und heimzukehren durfte er erst nach vielen Jahren wagen, wenn der Zorn seines gestrengen Herrn ausgetobt hatte, oder der Tod ihn stillte.
Doch, ehe er sein väterliches Land auf immer verließ, wollte er noch, auf einige Stunden, sein Haus, sein treues Weib, und seine beiden erwachsenen Söhne sehen, von denen er in der ganzen langen Zeit auch nicht ein Wort gehört hatte, wollte ihnen seine ausgestandenen Leiden klagen, sich mit ihnen freuen, daß er nun frei sey, wollte sich einmal wieder in einer menschlichen Wohnung erwärmen, sich rein kleiden, und dann mit einer kleinen Baarschaft weiter fliehen.
Bald erreichte er, von dem Monde, der durchs Gewölk blickte, geleitet, sein Dorf, und stand mit pochendem Herzen vor seinem Hofe. Aber, bei allem Klopfen und halblautem Rufen antwortete weder Packan, noch eine menschliche Stimme. Voll Ungeduld überstieg er die Hecken, die seinen Hof einschlossen, ging in das offenstehende Haus, und fand – alles leer, kein Weib, keinen Sohn, keinen Tisch, keinen Stuhl, kein Bette, keine Thür, nichts als die nackten Wände. Jakob schlug sich mit der geballten Faust vor die Stirn, und saß dann in sinnlosem Hinbrüten einige Stunden auf der kalten Erde. Dann jagte ihn ein Fieberfrost auf, und der Gedanke an den kommenden Tag. Er befühlte sich, ob er noch lebe? ob er träume? Er betastete alle Wände, ob es auch sein Haus sey? Und das Grausen schüttelte seine abgezehrten Glieder; es eiste ihm am ganzen Körper. – Länger vermochte er nicht zu bleiben; er stürzte aus der Thür, und wankte durch den Garten in das freie Feld hinaus.
Jetzt rief der ihm wohlbekannte Wächter im Dorfe: Eins! Und der erste Strahl der Hofnung kam in sein Herz. Unter den bellenden Hunden hörte er die Stimme seines Packan. Jakob pfiff; und nach einigen Augenblicken sprang sein treuer Hund, laut aufschreiend vor Freuden, an seinem Herrn heran. Jakob küßte seinen alten, abgehungerten Freund, und wandelte, schon festern Schritts, weiter; denn, er fühlte sich nun nicht mehr allein, und von Allen verlassen.
Ehe die Sonne aufging, befand er sich schon, mit seinem treuen Begleiter, in einer versteckten Höle, am Fuß der Rothenburg[1], die er sich schon längst, in seinem Gefängniß, zum Schlupfwinkel ausgesucht hatte, und die er von seinen Kinderjahren her kannte. Es wurde Tag. Er setzte sich in die höhersteigende Sonne, und erwärmte sich, nach sieben Monaten, zum erstenmale; zum erstenmale sah’ er wieder Bäume und Felder im Sonnenlicht.
Aber, nun ängstete ihn der Hunger, und auch sein Hund sah’ ihn bedeutend an. Da erblickt’ er, in ziemlicher Entfernung von der Höle, einen Bettler mit gefülltem Ranzen daherschleichen auf der Landstraße. Und Jakob, der noch nie in seinem Leben ein Stück Brod erbeten, desto öfter aber ausgetheilt hatte, eilte mit Packan den Weg hinab. Er fand den Bettler am Wege liegen mit abgewandtem Gesicht, grüßte ihn, und bat um ein Stück Brod für seinen Hund, und – für sich. Der Bettler wandte mit halbem Gesicht sich um, und Jakob erkannte, in dem geglaubten Greise, laut aufschreiend, Frieden, seinen ältesten fünf und zwanzigjährigen Sohn.
Er fütterte seinen hungrigen Packan, aß hurtig und schweigend einige Bissen Brod, trank aus der dargebotenen Flasche, und dann zog er, ohne zu reden, seinen Sohn mit sich zur Höle, und ließ sich erzählen, wie es stand. Hier nun erst hörte er sein Unglück ganz.
Einige Stunden nach Jakobs Verhaftung hatten Veits Frohnvoigte die Mutter und die Söhne vom Hofe getrieben, und ihnen kaum so viel gelassen, daß sie ihre Blöße bedecken konnten. Die Aecker, die zu dem Hofe gehörten, hatte sein dummstolzer Nachbar bekommen, der einst Stallbube bei Veit war, und der sich des Jungkherrn Kebsweib, Marie, hatte vertrauen lassen. Diese Marie hatte Veit eigentlich für Frieden, Jakobs Sohn, bestimmt, der aber schon mit einem Mädchen verlobt war, das, ohne reiche Aussteuer, die Krone des Dorfs war, an Tugend, Häuslichkeit und Schönheit. Eben diese Marie, jetzt bittre Feindin Jakobs, von dem sie sich verschmäht glaubte, nahm das Hausgeräthe und das Vieh zu sich, für die Pflege der zerbißnen Hunde des gnädigen Herrn, so sagte sie. Den folgenden Tag war die stolze Kathrine in das Dorf gekommen, und hatte sich die teuflische Freude gemacht, Jakobs Frau und Friedens Braut den Mißhandlungen der frechen Knappen und der rachsüchtigen Marie Preis zu geben. Die Mutter hatte sogleich der Schlag gerührt, und sie war nach einigen Tagen gestorben. Ihr war zwei Monate nachher Friedens Verlobte, aus Gram, ins Grab gefolgt. Kurt, der jüngere Sohn war einer Rotte streifender Lanzknechte gefolgt, und Friede bettelte.
Jakob stürzte, als die bittre Erzählung sich endigte, nieder zur Erde, knirschte mit den Zähnen, und schwieg. Nach einiger Zeit riß er wild sich auf, und – schwieg; aber im Herzen fluchte er Veit und allen seinen Genossen! Tiefsinnig ging er einige Tage vor sich hin. Lange kämpfte in ihm der Gedanke, sich selbst das Leben zu nehmen, mit dem Gedanken an Rache. Doch der Verzweifelnde war zu jenem Entschluß noch nicht erschöpft genug. Er schwur in seinem Herzen schreckliche Rache!
Jetzt meldete ihm Friede, der von einer Wanderung zurückkam, daß ihr Aufenthalt in der Höle nicht mehr sicher sey, und daß Veits Buben den nächsten Tag die Rothenburg und den Kyffhäuser-Berg durchsuchen würden. Jakob eilte daher, mit anbrechender Nacht, in das dunkelere Harzgebirg bei Stollberg, und von da, nach einigen Tagen, nach dem damals undurchdringlichen Walde bei Lora. Hier spähte er, bei seinem Umherirren, endlich einen sichern Aufenthalt aus, der ihn Jahre lang vor Nachstellungen aller Art schützte.
Zwischen der Bergveste Lora und den Dörfern