Volks-Sagen. Johann Karl Christoph Nachtigal
Abgründe, zwischen denen nur der kühne und nicht schwindelnde Wanderer über die Felsenwand hinzugehen wagt. Am andern Ende des Bergrückens sieht er dann einen steilen verwachsenen Abhang, und, wenn er diesen mühsam herabgeklommen ist, dicht vor sich zwei majestätische Felsenwände, die einen Zwischenraum von einigen Fußen zum Durchgang öfnen, von oben herab aber zu einem festen Ganzen vereinigt scheinen. Zwischen ihnen zieht sich allmählig herab eine Schluft, die in der Tiefe, hinter dichtem Gesträuch, den Eingang zu einer kleinen Höle verbirgt, durch die man seitwärts zu einer größern sehr geräumigen Höle aufsteigt. - Unbekannt war diese Schluft und diese Höle damals den Bewohnern des loraischen Gau’s; und noch jetzt berührt sie selten ein menschlicher Fußtritt, obgleich das Gebirge jetzt weniger wild und verwachsen, und der Zugang mehr gebahnt ist, als in der Vorzeit.
Hier beschloß Jakob zu wohnen. Hieher brachte Friede die erbettelten Lebensmittel, und Werkzeuge und Kleidungsstücke mancherlei Art. Und Jakob richtete unterdeß seinen Packan ab, bahnte sich allmählig einen Fußsteig, den felsigten Abhang herab, und - sann auf Rache. Fluch dem Jungkherrn Veit war sein erster Gedanke am Morgen; Fluch allen Burgbeherrschern, die ihre Bauern unter das Vieh erniedrigten! sein letzter Gedanke am Abend.
Zwar sträubte sich anfangs sein innres Gefühl, da er sonst immer half und förderte, wo er helfen und besser machen konnte. Aber bald betäubte er diese innre Stimme durch die stete Erinnerung an die Mißhandlungen, die er und sein Weib und seine Kinder erfahren hatte, und, durch berauschendes Getränk. Nur mit solcher Ladung war ihm sein Sohn willkommen; und, um Vorrath für die Zukunft sammeln zu können, trieb er ihn alle Tage an, ihm Brandwein zu bringen. Und Friede bettelte von Haus zu Haus um einige Tropfen dieses damals noch seltnern Getränks, zur Labung eines abgelebten Vaters, der nun bald in einer Höle des Waldes, die er aber nicht näher bezeichnete, verscheiden würde. Da Friede mit dieser Bitte so oft wiederkehrte, so nannten die benachbarten Landleute den unbekannten Hölenbewohner davon! Nimmernüchtern.
Als Jakob auf mehrere Monate Vorrath zu haben glaubte, so schickte er seinen Sohn fort, mit dem Befehl, nicht ohne seinen Bruder Kurt zurückzukehren, von dem er mehr Muth und Einstimmen in seine Entwürfe erwartete, und blieb mit Packan allein. Er war längst entschlossen, Räuber zu werden, aus Rache; auch konnte sein stolzes Herz sich nie zum Betteln beugen.
Um diesem festen Entschluß getreu bleiben zu können, gewöhnte er sich, nur von dem Fleische geraubter Thiere zu leben. Und, in Erwartung der Zeit, wo er seine größern Entwürfe ausführen konnte, stahl er von den Heerden der Edelleute und Klöster, die er für die Pest des Landes hielt, Schaafe und Ziegen, auch wohl Rinder, wobei ihm sein Packan trefliche Dienste leistete, der zuweilen ihm ganze kleine Heerden in seine Höle, oder an den Felsenrücken trieb, der sie versteckte.
Um sich die Arbeit zu erleichtern, und die Gefahr vor jetzt von sich zu entfernen, unternahm er seine Streifzüge nur in der Dämmerung, oder in der Nacht, in einen ganz schwarzen Kittel gehüllt. Für die Gelegenheiten aber, wo er Schrecken erregen wollte, bereitete er sich ein Obergewand aus einer schwarzen Kuhhaut, deren Hörner ihm zum Kopfschmuck dienten. In dem Munde hielt er dann eine Zunderbüchse mit morschem Holz angefüllt, aus der er, nach Befinden der Umstände, dicken Rauch oder auch Feuer blasen konnte. Wenn er nun so in der Nacht einherwandelte, von seinem großen pechschwarzen Hunde begleitet, der nicht bellte, aber grimmig umherblickte nach Beute; so war es begreiflich, daß ihn die Hirten für den leibhaften Herrn der Hölle hielten, und bei seiner Annäherung flohen; so daß er oft nicht einmal zu seiner brennenden Zunderbüchse die Zuflucht zu nehmen brauchte.
Da er keinen Menschen thätig beleidigte, so fingen mehrere Landleute, welche öfters die Erscheinung gesehen hatten, an, ihn für einen gutmüthigen Teufel zu halten, und wagten es auch wohl, gelegentlich ein paar Worte mit ihm zu sprechen.
So traf Jakob einst, bei einbrechender Nacht, im Walde einen Hirten, der zehn fette Hammel vor sich hertrieb. Mit Donner-Stimme rief er ihm zu: Wohin? Zitternd antwortete dieser: Zum Abt nach Elende. Jakob blies nun Feuer aus seinem Munde und rief: „Ich bin der Teufel! der Abt, dein Herr, und die Schaafe sind mein!“ Der Hirte bekreuzte sich bebend. Da sagte Jakob: „Dir kann ich nichts anhaben; gehe, wohin du willst; doch sage vorher dem Abt: sein Bruder, der Satan, habe die Hammel in Empfang genommen.“ Der Hirte, dem das Entsetzten das Haar aufsträubte, wagte es doch, heraus zu stottern: Ach, gnädiger Herr Teufel! gebt mir doch einen Zeddel (Empfangsschein); sonst glaubt es mein Jungkherr und der Abt nicht. „Sage dem Abt, antwortete Jakob, diese Nacht um zwölf Uhr würde ich vor seinem Fenster erscheinen, und ihm zur Vergeltung einen schönen Festbraten mitbringen.“ – Der Hirte überließ die fetten Hammel Packan, der sie sicher bis an die Felsenwand trieb, wo sie Jakob band und herabtrug, und verkündete, zitternd am ganzen Leibe, allen Klosterbewohnern und dem Abt sein Abentheuer und den gedrohten Besuch. Die Mönche wurden aus den Betten geholt, und der Abt versammelte den ganzen Convent auf seinem Zimmer; und mit einem großen Weihwasserkessel und mit Hexenrauch gerüstet, erwarteten alle, zitternd und lautbetend, die furchtbare Mitternachtsstunde. Sie erschien, und mit ihr Jakob im großen Costume, d. h. ganz mit der schwarzen behörnten Kuhhaut überdeckt, und feuerspeiend, neben ihm sein schwarzer Hund. Nach einigen Minuten verschwand er wieder, welches die Klausner der Kraft des Weihwassers zugeschrieben, welches der Exorcist nicht sparte. Den mitgebrachten Rinderbraten aber überließen sie den Hunden und den Raben.
Bei solcher Lebensart fühlte Jakob in einigen Monaten seine Kräfte nicht allein ersetzt, sondern auch um das Doppelte erhöht; und nun schritt er zu wichtigern Unternehmungen, die seiner Absicht näher lagen. Zunächst dachte er darauf, sich beritten zu machen. Hier nun schwebte ihm immer der Jagdklepper der stolzen Kathrine vor Augen, auf dem er sie im Geist noch immer vor seinem Hundeloch vorbei stolziren sah. Es war eine sechsjährige Stute, schwarz wie die Nacht, und schnell wie ein Vogel, schon gewöhnt, bergauf bergab zu laufen; und, was ihm das wichtigste war, es mußte Kathrinen und Veit wehe thun, den entflohenen Jakob darauf einher galloppiren zu sehen.
In der Mitte des Sommers verkleidete er sich als ein altes Mütterchen, und schlich so einige Tage in der Gegend von Veits Burg herum, und sah, hinter Gebüsch versteckt, seine Feindin auf ihrem schwarzen Klepper, mit ihrem Vater, Stundenlang durch die Fruchtfelder der Bauern die Kreuz und die Quer durchreiten, um hier und da einen Hasen aufzujagen. Bei der dritten einbrechenden Nacht ersah er endlich seine Gelegenheit.
Kathrine übergab das mit Schweiß überdeckte Roß zwei Stallbuben, welche vor der Burg auf einer umschloßnen Wiese die Füllen hüteten, um das Pferd allmählig abzukühlen. Die Buben banden das Pferd an einen Baum in dem nahen Gehölz, und machten sich Feuer an, da der Abendwind etwas kalt ging, und setzten sich hin, um zu dobbeln. Jetzt schlich das verkleidete Mütterchen herzu, grüßte freundlich die Buben, und bat, sich am Feuer wärmen zu dürfen. Die spielenden Buben lachten herzlich über die sonderbare Gestalt, und fragten neckend, was sie für die Erlaubniß geben wollte? Und Jakob zeigte ihnen eine Flasche, die er aus der Tasche zog. Lüstern griffen die Buben nach dem blinkenden Getränk, tranken herum, und nochmals herum, ohne einen Schlaftrunk zu ahnden, und gaben lachend die leere Flasche dem keifenden Mütterchen zurück. Es dauerte nicht lange, so fingen die Buben an zu gähnen, die Karten entfielen ihren Händen, und sie streckten sich am Feuer aus. Als Jakob sie fest eingeschlafen sah, warf er das verhüllende Obergewand ab, band den noch aufgeschirrten Klepper los, schwang sich darauf, und eilte, außer sich vor Freuden, dem Loraischen Walde zu. – Die Buben fanden Veit und Kathrine am Morgen noch fest schlafen auf der Wiese; aber die Stute war fort.
Unterdeß diese raseten und tobten, hatte Jakob das Pferd über die schon vorher dazu vorbereitete Felsenwand gebracht, und den steilen Abhang des Berges halb herunter geführt, halb herunter getragen, und es stand schon an der vollen Krippe in der Tiefe seiner größern Höle. Die folgenden langen Tage wandte er fast ganz dazu an, das Pferd, das anfangs vor solchen Abgründen erbebte, nach seinen Absichten zu bilden. Und nach zwei Monden lief es, bei Nacht und bei Tage, den steilen Abhang des Berges, ohne Reuter, hinauf und hinab, blieb auf ein leises Pfeifen stehen, legte sich auf ein Zeichen mit der Hand nieder, sprang auf einen Zungenschlag seines Herrn auf, und lernte zuletzt selbst über die Felsenwand zu galloppiren.
Jetzt nahte, nach seiner Rechnung, der Jahrstag, an dem er von seinem Jungkherrn vom Hofe geschleppt und in das Gefängniß geworfen war. An diesem wollte er ihm die geraubte Stute und den entflohnen