Dr. Daniel Staffel 3 – Arztroman. Marie Francoise
das einfach akzeptieren. Und ich will ehrlich sein – ich wäre froh, wenn sie diese unselige Liebe zu Wolfgang wirklich endlich hinter sich gelassen hätte. Wolfgang ist nicht der richtige Mann für sie… vielleicht ist er für keine Frau der richtige Mann, aber das wird sich noch zeigen. Immerhin ist Erika für ihn genauso wichtig wie sein Beruf und die Klinik, aber ich fürchte, das könnte sich schon in ein paar Jahren wieder geändert haben. Meiner Meinung nach ist Wolfgang zu sehr Arzt um auch noch Ehemann zu sein.«
*
Der Sonntagsdienst in der Klinik war anstrengend gewesen, und so verspürte Stefan, der Sohn von Dr. Daniel, keine große Lust, an diesem Abend noch nach München zu fahren, um sich mit seiner Freundin Rabea Gessner zu treffen. Er hatte den Telefonhörer bereits in der Hand, als sich bei ihm das schlechte Gewissen meldete. In letzter Zeit hatte er schon ein paar Verabredungen abgesagt. Er sollte sich also trotz seiner Müdigkeit auf den Weg zu Rabea machen, andererseits reizte ihn die Aussicht auf einen gemeinsamen Abend nicht besonders. Rabea hatte sich in den letzten beiden Wochen sehr verändert. Sie war plötzlich leicht reizbar und hatte gelegentlich schreckliche Launen. Es war also nicht immer ein Vergnügen, mit ihr zusammenzusein.
Stefan seufzte, dann warf er einen Blick auf die Uhr. Es war kurz vor acht. Bis er nach München kam, war es bestimmt halb neun. Und morgen früh um sechs begann sein Tag dann schon wieder. Er durfte die Heimfahrt nach Steinhausen also nicht zu spät antreten.
»Das lohnt sich ja gar nicht«, murmelte sich Stefan zu, während er den Hörer ein zweites Mal abnahm und schließlich doch Rabeas Nummer wählte.
»Gessner«, meldete sie sich, und Stefan hatte den Eindruck, daß ihre Stimme dabei nicht mehr so fröhlich klang, wie das früher der Fall gewesen war.
»Grüß dich, Liebes, ich bin’s«, gab er sich zu erkennen.
»Spar dir jedes weitere Wort«, entgegnete Rabea mit einem un-überhörbar zornigen Unterton. »Du willst mich wieder mal versetzen, aber im Grunde habe ich mit gar nichts anderem mehr gerechnet.«
»Es tut mir leid, Liebling«, beteuerte Stefan. »Wolfgang spannt mich in der Klinik so sehr ein. Ich bin erst vor fünf Minuten vom Dienst gekommen, und morgen früh…«
»Alles Ausreden!« hielt Rabea ihm vor. »Früher konnte dich das auch nicht davon abhalten, dich mit mir zu treffen. Aber mittlerweile haben sich die Dinge anscheinend geändert.«
»Rabea, du bist ungerecht«, erwiderte Stefan. »Du warst doch immer diejenige, die keine zu feste Bindung eingehen wollte. Wenn es nach mir ginge, wären wir längst verlobt.«
»Ich bin froh, daß wir das nicht sind. Du vergißt doch die meiste Zeit, daß du überhaupt eine Freundin hast, und ich denke nicht, daß das anders wäre, wenn wir verlobt wären.«
»Ich vergesse absolut nicht, daß ich eine Freundin habe«, verteidigte sich Stefan energisch. »Aber deine ständigen Nörgeleien gehen mir tatsächlich auf die Nerven! Was ist denn in letzter Zeit bloß los mit dir?«
»Mit mir ist überhaupt nichts los. Ich habe es lediglich satt, ständig darauf warten zu müssen, daß
du vielleicht mal Zeit für mich hast.«
»Dann siehst du mal, wie es mir am Anfang unserer Bezeihung immer ergangen ist«, entfuhr es Stefan. »Zuerst hast du nur für dein Examen gebüffelt, und nachher war dir deine Assistentenstelle weit wichtiger als ich. Wie oft hast du Verabredungen abgesagt, weil du überraschend Dienst hattest? Habe ich mich deswegen vielleicht so aufgeführt?«
»Ich führe mich nicht auf!« erklärte Rabea wütend. »Ich finde es einfach niederträchtig von dir, daß du als Ausrede den Dienst vorschiebst, dabei willst du mich bloß nicht mehr sehen.«
»Das ist doch Unsinn, Rabea! Meine Güte, in den letzten Wochen hast du dich ja zu einem richtigen Biest entwickelt! Du scheinst es nur darauf abgesehen zu haben, mir das Leben schwer zu machen. Himmel noch mal, was habe ich dir denn eigentlich getan? Bin ich fremdgegangen, oder habe ich dich irgendwie schlecht behandelt…«
»Ja, das hast du!« fiel seine Freundin ihm aufgebracht ins Wort. »Und das Schlimmste daran ist, daß du es anscheinend gar nicht mehr merkst!« Und nach diesem Vorwurf legte sie einfach auf.
Stefan blieb noch eine Weile mit dem Hörer in der Hand stehen, dann ließ er ihn kopfschüttelnd auf die Gabel sinken. Er begriff das alles einfach nicht. Wie hatte sich Rabea in kurzer Zeit nur so verändern können. Noch vor ein paar Wochen hatte sie Verständnis aufgebracht, wenn er eine Verabredung abgesagt hatte, weil er vom Dienst zu müde war oder der Chefarzt ihm aus irgendeinem Grund eine Strafschicht aufgebrummt hatte. Und umgekehrt hatte auch er immer Verständnis gezeigt, wenn Rabea etwas dazwischengekommen war. Schließlich wollten sie doch beide Ärzte werden und mußten für ihren Beruf eben gelegentlich gemeinsame Stunden opfern. Und gerade Rabea war wirklich diejenige gewesen, der Beruf und Karriere über alles gegangen war. Oftmals hatte sich Stefan sogar gefragt, ob sie ihn überhaupt liebte.
Er seufzte noch einmal. »Na ja, sie wird sich schon wieder beruhigen. Vielleicht hat sie einfach nur Streß in der Klinik.«
Und dabei nahm er sich fest vor, die nächste Verabredung wirklich einzuhalten.
*
Mit sehr gemischten Gefühlen suchte Marita Fendt am Montagmorgen die Praxis der Allgemeinmedizinerin Dr. Manon Carisi auf. Sie kam ungern ohne Termin zu einem Arzt; das sah so nach Betteln aus. Außerdem hatte sie bis jetzt keine Schmerzen mehr gehabt. Sie hatte das Gefühl, völlig umsonst hierzusein.
Aber ehe sich Marita weitere Gedanken machen konnte, wurde sie von der Sprechstundenhilfe schon ins Ordinationszimmer gerufen. Die ausgesprochen attraktive und zudem sehr warmherzige Ärztin stand bei Maritas Eintreten auf und kam ihr mit einem freundlichen Lächeln entgegen.
»Guten Morgen, Frau Fendt«, grüßte sie und reichte der jungen Frau die Hand, dann bot sie ihr mit einer einladenden Geste Platz an, bevor auch sie sich wieder setzte. »Nun, was führt Sie zu mir?«
Verlegen drehte Marita ihren Ehering. Sie wagte es fast nicht, die Ärztin anzusehen, weil sie sich plötzlich furchtbar wehleidig vorkam. Wegen ein paar Minuten Schmerzen veranstaltete sie hier einen derartigen Zirkus.
»Es ist… nun ja, ich hatte gestern schlimme Schmerzen«, begann sie zögernd, dann deutete sie auf ihre linke Unterbauchseite. »Hier etwa. Es dauerte ein paar Minuten, dann war es wieder vorbei.« Sie zuckte die Schultern. »Mein Mann hat gemeint, ich müßte mich unbedingt untersuchen lassen, allerdings…« Immer heftiger drehte sie an ihrem Ring. »Die Schmerzen sind nicht mehr wiedergekommen, und ich fühle mich momentan, als wäre ich völlig umsonst hier.«
»Schmerzen sind immer ein Alarmzeichen«, entgegnete Frau Dr. Carisi ernst. »Sie müssen sich also bestimmt nicht schämen, weil Sie deshalb zu mir in die Praxis gekommen sind – ganz im Gegenteil, Frau Fendt. Das war vollkommen richtig.« Sie schwieg einen Moment. »Was war das für ein Schmerz?«
Marita zuckte die Schultern. »Das kann ich gar nicht so richtig beschreiben. Es hat einfach höllisch weh getan…« Sie suchte nach einem passenden Vergleich. »So, als würde jemand meine Eingeweide zusammenpressen und herumdrehen.«
»Das klingt ja fürchterlich«, meinte die Ärztin.
»Mein Mann hat gedacht, es könnte vielleicht der Blinddarm sein, aber dann hätte ich die Schmerzen doch sicher auf der anderen Seite gehabt.«
»Nicht unbedingt«, entgegnete Frau Dr. Carisi. »Gelegentlich strahlt ein entzündeter Blinddarm auch nach links aus. Das ist dann besonders tückisch, weil man nicht gleich eine Blinddarmentzündung vermutet, und bis man es bemerkt, kann es dann schon zum Durchbruch gekommen sein.« Sie stand auf. »Das werden wir uns jetzt gleich anschauen. Hatten Sie außer den Schmerzen noch irgendwelche Beschwerden? Verdauungsprobleme beispielsweise, Übelkeit oder plötzliches Fieber?«
Marita schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich wohl… nein, mehr als das… wenn die Schmerzen gestern nicht gewesen wären, dann würde ich denken, ich sei vollkommen gesund.«
Manon