Der Occultismus des Altertums. Karl Kiesewetter
Bei den Juden war die Deutung der von Jehovah gesandten Träume erlaubt, dagegen bei Strafe der Steinigung verboten, im Namen fremder Gottheiten Träume herbeizuführen und zu deuten. Diese Bestimmung wirkt in der bei den Christen gemachten Einteilung der Träume in göttliche und teuflische bis in das vorige Jahrhundert nach.
Die letzte wichtige Wahrsagung der Chaldäo-Babylonier ist die Nekromantie. Wie oben schon mitgeteilt, ist jedem Menschen von Geburt an ein den Feruern entsprechender besonderer Geist beigegeben, welcher ihn schützt, in ihm lebt und sein geistiges Urbild ist. Nach dem Tode des Menschen wird aus diesem Geist ein Dämon (utuk, utukku), dessen Schicksal „im Land ohne Heimkehr“ je nach Maßgabe der Geneigtheit der Götter ein günstiges oder ungünstiges ist. Nur bevorzugte Seelen von Helden und Königen fanden Eingang in den Himmel und bewohnten fortan:
„Das Land mit Silberhimmel,
Wo Segensgüter
Sind zu ihrer Nahrung
Und süße Lust
Sie zu beseligen,
Wo ist Einhalt
Des Kummers und Jammers.“
Das Loos der großen Überzahl der Menschen, deren utuk in das „Land ohne Heimkehr“ (akkad. kur-nu-ga, assyr. mat la Tayarti) hinabstieg, gestaltete sich ziemlich trostlos. Das „Land ohne Heimkehr“ wird in der „Höllenfahrt der Istar“ folgendermaßen geschildert:
„Dort wohnen die Führer und die des Glückes entbehren,
Wohnen die Geringen und Großen,
Wohnen die Ungeheuer des Abgrunds der großen Götter,
Wohnt Etanna, wohnt Nir . . . .“
Im „Land ohne Heimkehr“ lebt die Seele wie im Scheol der Hebräer ohne Empfindung und Willenskraft, von Finsternis umgeben, fort. Ihr Zustand ist weder völlige Vernichtung noch Unsterblichkeit, sondern eine Art von Erstarrung oder Schlummer. Im Hintergrund des „Landes ohne Heimkehr“ befand sich jedoch, wie oben erwähnt, im „ewigen Heiligthum“ die „Quelle der Lebenswässer“, deren Sprudel die höllischen Mächte mit der größten Wachsamkeit und Ehrfurcht behüteten. Den Zugang zu ihr konnte nur ein Gebot der höchsten Götter, namentlich des Ea, erschließen, und wer daraufhin von ihr getrunken hatte, kehrte – wie Istar am Schluß ihrer Gefangenschaft – lebend an das Licht zurück. Ob diese Quelle eine Andeutung der Auferstehung, an welche die Chaldäer nach Diogenes Laërtius glaubten, ist, läßt sich nach den Texten nicht entscheiden.
Übrigens konnten die Seelen nicht nur auf Eas Gebot, sondern auch als Vampyre dem „Land ohne Heimkehr“ entsteigen, um die Lebenden zu quälen. Deshalb droht auch Istar dem Schließer des Höllenreichs mit den Worten:
„Oeffnest du aber das Thor nicht, und kann ich nicht eintreten, –
Dann werde ich die Todten erwecken, zu verschlingen die Lebenden;
Ich werde die dem Tageslicht wieder zugeführten Todten zahlreicher machen denn Alles, was lebt.“
Auch die Schwarzkünstler vermögen Vampyre aus dem „Land ohne Heimkehr“ heraufzubeschwören und die Gegenstände ihres Hasses von ihnen peinigen zu lassen.
Da man sonach an die Citation Verstorbener glaubte, so lag es sehr nahe, die von den Schranken des Raumes und der Zeit befreiten Geister der Verstorbenen über die Zukunft zu befragen, und die Nekromantie mußte sich folgerecht entwickeln. Über die Ausübung der Nekromantie habe ich anderwärts[72] schon das Nötige gesagt. Hier will ich nur rekapitulieren, daß wir uns aus dem alten Testament ein ungefähres Bild von der Totenbeschwörung der Chaldäer entwerfen können.
Der biblische Ob ist ein unsauberer Geist, ein Totengeist, welcher in dem Körper eines Mannes oder einer Frau wohnt und von hier aus die Zukunft offenbart, entsprechend dem jidoni, dem „Wissenden“ oder „Belehrenden“, welcher fast immer mit den oboth zusammen genannt wird. Es ist dabei zu bemerken, daß die Worte oboth und jidonim sowohl für die Geister selbst als die von ihnen Besessenen gebraucht werden.
Das Letztere ist nicht nur der Besprechung der Hexe von Endor durch Josephus[73] sondern auch daraus zu entnehmen, daß die Septuaginta wiederholt oboth mit ὲγγαστρίμυϑοι übersetzt, sowie überhaupt aus den charakteristischen Ausdrücken, deren sich die Propheten bei der Schilderung der oboth bedienen.
Ziehen wir nun die ausdrückliche Angabe des Jamblichus, daß die Babylonier mittelst ihrer Σακχοίρας die Geister der Toten über die Zukunft befragten, in Betracht, und erwägen wir, daß ob kein semitisches Wort ist, sondern vom akkadischen ubi, „strafwürdigen Künsten obliegen“, abstammt, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß die hebräische Nekromantie aus der akkadischen hervorging.
Zweites Buch. Der Occultismus der Meder und Perser.
Erste Abteilung. Der medische Magismus.
Medien war bis zur Einwanderung der eigentlichen iranischen Meder im Besitz eines Volkes turanischer Rasse, welches mit den Akkadern eine große Ähnlichkeit hatte und das protomedische genannt wird. Die iranische Einwanderung geschah nach Lenormant und Maury im achten Jahrhundert vor Christus; jedoch bildeten auch nach der völligen Besitznahme Mediens die Iraner immer noch den kleineren, wenn auch herrschenden Teil der Bevölkerung. Zur Zeit der Achämeniden sprach das Volk noch die protomedische Sprache, welche auch die amtliche Sprache der Perserkönige wurde. Das turanische Medien aber bewahrte nicht nur seine eigene Sprache, sondern auch seinen eigenen religiösen Charakter, welchem es erst nach langem mit wechselndem Glück geführten Kampf gegen die Religion Zoroasters entsagte. Die den Protomedern eigenen religiösen Vorstellungen fanden endlich sogar bei den iranischen Eroberern Eingang und erzeugten durch ihre Vermischung mit der Religion derselben das System des Magismus, so genannt nach dem Stamme der Magier, welche das ausschließliche Privilegium besaßen, daselbst das Priesteramt auszuüben.[74]
Der Name Magismus wurde sehr lange Zeit der Religion des Zoroaster beigelegt, was jedoch auf einer von den griechischen Schriftstellern begangenen Verwechslung beruht, die namentlich Herodot verschuldet hat, welcher wohl Medien, aber nicht das eigentliche Persien bereiste. Ja diese Annahme ist nach den neuesten Forschungen sogar ein entschiedener Irrtum, da beide Religionssysteme, der Magismus und der Zoroastrismus einander entgegengesetzt sind.
Darius, Sohn des Hystaspes, welcher wohl genauer als Herodot unterrichtet war, berichtet ausdrücklich in seinen Regierungsannalen auf dem Felsen von Behistan, daß die Magier, welche mit Gaumata, dem falschen Smerdis, eine Zeit lang Herren des Reichs waren, den Versuch machten, die iranische Religion durch die ihrige zu verdrängen, und daß Darius ihre „gottlosen Altäre“ stürzte.
Es heißt in der genannten Inschrift[75]:
„Als Kambyses in Aegypten war, verfiel das Volk in Gottlosigkeit, und Wahnglauben wurde im Lande mächtig, in Persien, Medien und andern Provinzen. Die Königswürde, welche unserm Geschlecht entrissen war, habe ich wiedererlangt; ich habe sie von Neuem wiederhergestellt. Die Tempel, welche der Magier Gaumata zerstört hatte, habe ich wieder erbaut; ich habe die Familien, welchen sie vom Magier Gaumata entrissen worden, die heiligen Gesänge und rituellen Gebräuche wiedererstattet; ich habe den Staat auf seinen alten Grundlagen wiederhergestellt und Persien, Medien sowie die übrigen Provinzen wieder an mich gebracht.“
In der zu Naksch-i-Rustam befindlichen Grabschrift des Darius heißt es ferner: „Als Ahuramazdâ dieses Land dem Aberglauben preisgegeben sah, vertraute er es mir an.“ Das im Text für Aberglauben gebrauchte Wort ist yâtum, „Religion der Yâtus“, wie die Feinde des Zoroaster im Zendavesta genannt werden. Danach und nach der im nächsten Kapitel zu gebenden Lebensbeschreibung des Zoroaster