Der Occultismus des Altertums. Karl Kiesewetter
als auch wirkliche Observatorien, wie Diodorus Siculus von der großen Pyramide zu Babylon ausdrücklich sagt. Man glaubte sich durch sie den Göttern stufenweise zu nähern, und auch auf einem Basrelief von Denderah ist die in den Geheimlehren des Altertums eine so große Rolle spielende Leiter in dieser Gestalt abgebildet, und auch Celsus bedient sich bei der Beschreibung der Mithrasmysterien des Wortes κλίμαξ, Leiter, in entsprechender Weise.[41] Die Himmelsleiter Jakobs ist ebenfalls als eine solche Pyramide zu betrachten.
Die Chaldäer zeichneten die auf diesen Pyramiden beobachteten Himmelserscheinungen, Konstellationen, Mondphasen usw. samt ihrem Zusammenfallen mit irdischen Ereignissen auf und glaubten, indem sie von der Ähnlichkeit und Gleichheit der Erscheinungen auf den Parallelismus der Geschicke schlossen, den Schlüssel zu den Rätseln der Zukunft gefunden zu haben.
Lenormant sagt: „Die unabänderliche Regelmäßigkeit des Laufes der Sterne und ihr Einfluß auf den Wechsel der Jahreszeiten rief die Vorstellung vom Walten eines unabänderlichen und ewigen Gesetzes hervor, welches durch ein festes solidarisches Verhältniß alle Erscheinungen und Ereignisse verbinden und die irdischen Dinge von den himmlischen abhängig mache. Und daraufhin wurde angenommen, daß alle beobachteten Coincidenzen sich mit nothwendiger Gleichheit wiederholen müßten.
Die Astrologie nahm allmählich eine immer bestimmtere Form an, ja sie machte sogar auf wissenschaftliche Genauigkeit Anspruch, da sie mittelst der fortgesetzten alltäglichen Beobachtungen eine Reihe astronomischer Wahrheiten erhärtet hatte. Die menschlichen Geschicke und geschichtlichen Begebenheiten wurden lediglich in die Kategorie der gewöhnlichen Naturereignisse gerechnet, und daher suchte man denn auch das Geheimniß derselben in den complicirten wechselnden Stellungen derselben, sowohl unter einander als in Bezug auf Sonne und Mond zu ergründen. Die Gestirne waren nicht allein Lenker des Weltalls, die bestimmende Ursache aller Vorkommnisse und Begebenheiten, sondern auch die Verkünder derselben. Denn ihre Stellungen und Erscheinungsphasen hatten sämmtlich eine bestimmte Bedeutung, und wie die ersteren die Ereignisse bestimmten, so waren die letzteren auch sichere Vorzeichen derselben. Man reihte deshalb alle wahrgenommenen Coincidenzen der verschiedenen Begebenheiten mit den Erscheinungen der Sonne, des Mondes, der Planeten und Fixsterne in ein bestimmtes System ein, unterließ aber gleichzeitig nicht, aus den allgemeinen Beziehungen der wechselnden Erscheinungen zur Atmosphäre neben den politischen und historischen Prophezeiungen auch manche sich nicht selten als richtig erweisende Vermuthungen über das Wetter abzuleiten. Endlich wurden derartige Beobachtungen und Erfahrungen tabellarisch verzeichnet, um eben in allen vorkommenden Fällen befragt und als Richtschnur beobachtet zu werden.“
Hier einige Proben derartiger Aufzeichnungen der Keilschriftlitteratur:
„Erscheint der Mond auffällig groß, so wird eine Finsterniß eintreten. Erscheint er dagegen auffällig klein, so wird die Ernte des Landes gesegnet sein.“ (Unvollkommene Beobachtungen von Perigäum und Apogäum des Mondes, welche zufällig mit einer Finsternis und guten Ernte zusammenfielen.)
„Zeigt der Mond am 1. und 28. des Monats das gleiche Aussehen, so ist dies ein verhängnißvolles Zeichen für Syrien. – Ist der Mond am 30. sichtbar, so ist dies ein gutes Zeichen für das Land Akkad und ein böses für Syrien.“
„Zeigt der Mond am 1. und 27. des Monats das gleiche Aussehen, so ist dies ein verhängnißvolles Zeichen für Elam.“
„Jupiter geht auf, und sein Licht ist hell wie der Tag; in einem Glanze bildet er hinter sich einen Schweif, ähnlich dem Stachel der Scorpione. Es ist dies ein günstiges Vorzeichen, welches Glück verkündet dem Herrn des Hauses und dem ganzen ihm unterthänigen Lande.“
„Leuchtet im Monat Duz der Stern Entemaslun (Aldebaran) bei seinem Aufgang sehr hell, so wird die Ernte des Landes sehr gut, und ihr Ertrag ein reichlicher sein. – Ist dagegen dieser bei seinem Aufgange verhüllt, so wird die Ernte des Landes mißrathen.“
„Wird der Mond von dichtem Gewölk verhüllt, so stehen Überschwemmungen bevor. – Trinkt der Mond in den Wolken, so wird es regnen.“
Man sieht, daß diese Aufzeichnungen der frühesten Kindheit der Beobachtung entstammen und mit Ausnahme der letzten Schlüsse vom Prügel auf den Winkel sind.
Außer den astronomischen Erscheinungen wurden noch die tellurischen eifrig beobachtet, und es hat sich das Inhaltsverzeichnis eines augurallitterarischen Werkes aus der Bibliothek des Statthalters von Niniveh erhalten, welches fünfundzwanzig Tafeln und Kapitel stark war. Von diesen fünfundzwanzig Kapiteln handelten vierzehn von günstigen und ungünstigen tellurischen Erscheinungen, elf von Astrologie. Der Text selbst ist verloren, und von den Kapitelüberschriften sind folgende Reste erhalten:
„1. Also, die Prophezeiungen von Glück und ihr Gegentheil, – die Anzeichen von Freude und Trübsal für das Menschenherz.“
„2. Also: der Herr des Geldes, der Erklärer der Regengüsse –.“
Es handelt sich hier offenbar um die Wahrsagung aus den Regen, welche als Brechomantie noch heute in der Türkei eine große Rolle spielt.
„3. Von den Sternwarten der Stadt.“
Die Überschrift des vierten Kapitels ist schwer verständlich; es scheint von der Deutung des Gesanges oder Geschreis, des Erscheinens und des Fluges „der Vögel des Himmels, der Gewässer und der Erde“ gehandelt zu haben. Den diesbezüglichen Beobachtungen scheint man besonders dann eine große Wichtigkeit beigelegt zu haben, wenn sie „in der Stadt und den Straßen derselben“ gemacht wurden.
„6. Zinnober ist über der Flamme verbrannt.“
„7. Wird das Aussehen eines Hauses alterthümlich, so ist dies für die Bewohner des Hauses ein verhängnißvolles Zeichen.“
Über diese sogenannte Ökoskopie schrieb bei den Griechen ein gewisser Xenokrates, und auch der heilige Basilius spricht in seinen Schriften darüber.
„13. Ein Traum von hellem Schein, das Land in Feuer, – ein Traum von hellem Schein, die Stadt in Flammen.“
„14. Ein Seedrache mit den Vögeln des Himmels . . .“
Aus den astrologischen Kapitelüberschriften sind folgende hervorzuheben.
„3. Der Venusstern erhebt sich bei Tagesanbruch . . .“
„4. Der Marsstern mit sieben Namen in . . . . . . . .“
„5. Das gleichmäßige Aussehen von Sonne und Mond . .“
„6. Der gleichzeitige Anblick von Sonne und Mond . .“
„7. Vom 1. und 5. des Monats, der Mond . . . . .“
„8. Der Stern, welcher vorn einen Stern und hinten einen Schweif hat . . . .“
„10. Der Stern iku . . . .“
„11. Der Polarstern, der am Scheitelpunkt (des Himmels) sich um sich selbst dreht . . . .“
„Elf Tafeln, betreffend Himmelserscheinungen, unter ihnen der Stern, der vorn einen Stern und hinten einen Schweif hat, – die Himmelserscheinungen . . . . Die Erscheinungen auf Erden und am Himmel . . . . Himmel und Erde . . . .“
Die Schlußzeilen der Vorderseite dieser Tafel sind nur fragmentarisch erhalten und betreffen irgend eine Himmelserscheinung, deren verhängnisvolle Bedeutung auf der Rückseite folgendermaßen angegeben wird:
„Diese Erscheinung lehrt, daß die Stadt des Landesfürsten samt ihren Einwohnern in die Gewalt des Feindes gerathen wird; Sterblichkeit und Hungersnoth . . . . auf der Tafel, die Zahl, welche du genannt, dir verkünden wird, und wie . . . . .“
„Diese Sammlung von fünfundzwanzig Tafeln betrifft die Erscheinungen am Himmel und auf Erden, sowie ihre günstigen und ungünstigen Vorbedeutungen . . . . alle Erscheinungen am Himmel und auf Erden . . . . hierin ist ihre Deutung verzeichnet.“
König Sargon I. ließ diese Sammlung sowie ein großes Werk von siebenzig Tafeln über alle bis auf seine Zeit erhaltenen astrologischen Resultate anlegen, welches das Hauptwerk