Der Occultismus des Altertums. Karl Kiesewetter
Nebo mit einem Scepter usw. In einer dazugehörigen Inschrift, welche sich gegenwärtig in Cambridge befindet, sagt Nergalsarussur, ein Nachfolger des babylonischen Königs Nabukudurussur, daß er bei der Wiederherstellung der Thore der heiligen Pyramide von Babylon „acht talismanische Figuren von Bronce, welche durch Todesschrecken Böse und Feinde entfernen“, habe verfertigen lassen, um sie dort aufzustellen.
Aus dem Fragment folgenden Zauberspruches lassen sich recht deutlich die Bestimmung, Macht und Anwendung derartiger Talismane ersehen:
„Zur Erhebung eurer Hände habe ich mich in einen dunkelblauen Schleier gehüllt;
Ich habe ein vielfarbiges Kleid angelegt; in eure Hände . .
Ich habe die Zauberbinde vervollkommnet, ich habe sie gereinigt.
Ich habe mich mit Glanz umhüllt . . . . . . . . . .
. . . . . . . . . .
Stelle zwei an einander gebundene Bilder, untadelhafte Bilder, welche die bösen Dämonen verjagen,
Neben den Kopf des Kranken zur Rechten und Linken.
Stelle das Bild des Gottes Ungal-Nirra[22], der nicht seines Gleichen hat, an die Umzäunung des Hauses. Stelle das Bild des Gottes, der im Glanze der Tapferkeit strahlt, der nicht seines Gleichen hat[23], Und das Bild des Gottes Narudi, des Gebieters der mächtigen Götter, Auf den Boden unter das Bett. Zur Abhaltung alles nahenden Ungemaches stelle den Gott . . und den Gott Latarak an die Thür. Zur Abhaltung alles Übels stelle als Scheuche an die Thür . . An den Thorweg stelle den streitbaren Helden, der seine Hand dem Feinde entgegenstreckt, Stelle ihn zur Rechten und Linken. Stelle die wachsamen Bilder des Ea und Silik-mulu-khi unter den Thorweg; Stelle sie zur Rechten und Linken . . . . . . . . . . die Zauberkraft Silik-mulu-khis, welche dem Bilde innewohnt, . . . . . . . . . . O, die ihr dem Ocean entsprossen, ihr Glänzenden, Kinder des Ea, Esset, was mundet, trinket, was süß schmeckt! Dank eurem Schutz kein Ungemach eindringe!“
Aus dem Schluß des Zauberspruches ergiebt es sich mit Sicherheit, daß die Akkader für ihre Götter und Genien, gerade wie unsere Altvordern für die Hauskobolde, irgendwo im Hause Speise und Trank aufzustellen pflegten, um sich ihrer Gunst zu versichern. Analog heißt es in einer Sammlung assyrischer Beschwörungen gegen die Einwirkung böser Zauberer:
„Gegen die Dämonen, den Genius, den rabisu, den ekimmu,
Das Gespenst, das Schattenbild, den Vampyr,
Das Nachtmännchen, das Nachtweibchen, den weiblichen Kobold
Und alles Übel, das den Menschen erfaßt,
Veranstaltet Festlichkeiten, opfert und kommt alle zusammen;
Daß euer Weihrauch zum Himmel emporsteige!
Daß die Sonne das Fleisch eures Opfers verzehre!
Daß Eas Sohn, der Held, dessen Zauber . . . . . . euer Leben verlängere!“
Eine andere Art von Talismanen wurde in der Absicht hergestellt, daß man die durch sie dargestellten Dämonen durch die Scheußlichkeit ihrer Ebenbilder zu vertreiben gedachte. So giebt z. B. Ea seinem Sohne Silik-mulu-khi behufs Vertreibung des Pestdämons Namtar folgenden Rat:
„Tritt heran, mein Sohn Silik-mulu-khi,
Knete den Schlamm des Oceans
Und forme daraus das ihm (Namtar) ähnliche Bild,
Lege den Menschen nieder, nachdem du ihn einer Reinigung unterzogen;
Lege das Bild auf seinen entblößten Unterleib;
Theile ihm den Zauber mit, der von Eridhu kommt.
Wende sein Antlitz nach Westen.
Daß der böse Namtar, der seinen Körper bewohnt, sich anderswo niederlasse.
Amen.
Das Bild, das sein Haupt emporgerichtet, ist mit großer Macht ausgestattet.“
Eine derartige Broncestatuette, welche nach einer auf ihrem Rücken befindlichen akkadischen Inschrift den Dämon des Westwindes darstellt, befindet sich im Museum des Louvre. Die aufrechtstehende Figur hat einen Totenkopf mit Augen und Ziegenhörnern, den Rumpf eines Hundes, Löwentatzen, Adlerfüße, einen Skorpionsschweif und ausgespannte Flügel. An einem am Hinterkopf der Figur befindlichen Ring wurde dieselbe am Fenster oder vor der Thür des Hauses aufgehängt, um den schädlichen Einfluß des von der arabischen Wüste nach Babylon herüberstreichenden Westwindes zu vernichten.
Im British Museum befinden sich ähnliche Talismane wie z. B. ein Bild eines Dämons mit einem Widderkopf und übermäßig langem Hals oder mit einem Hyänenkopf, Bärenleib und Löwentatzen usw. usw. Es ist leider nicht möglich, alle Formen dieser Talismane festzustellen und zu deuten, indessen kann nicht der mindeste Zweifel darüber herrschen, daß in späterer Zeit aus ihnen Abraxasgemmen und -ringe sowie die astrologischen Bilder entstanden. Die abenteuerlichen Formen dieser aus menschlichen und tierischen Teilen bestehenden Geschöpfe hängen mit uralten kosmogonischen Mythen zusammen, denn Berosus schildert die Geschöpfe des Chaos ganz analog, wenn er sagt:
„Es gab eine Zeit, wo alles in Finsterniß gehüllt und vom Wasser durchdrungen war, und wo mitten in diesem wirren Chaos die scheußlichsten Thiere und wunderbarsten Geschöpfe urplötzlich entstanden; es gab Menschen mit zwei und vier Flügeln, mit zwei verschiedenen Gesichtern oder Köpfen, von denen der eine oft männlichen, der andere weiblichen Geschlechtes war, ja es gab sogar Menschen, welche gleichzeitig männlichen und weiblichen Geschlechtes waren; es gab Menschen mit Ziegenfüßen und Ziegenhörnern oder solche mit Pferdefüßen; es gab endlich Menschen, welche mit dem Hintertheil eines Pferdes und dem Vordertheil eines Menschen ausgestattet waren, ähnlich den Hippocentauren, Es gab Stiere mit menschlichem Kopfe, Hunde mit vierfachem Körper und Fischschwänzen, Pferde und Menschen mit Hundeköpfen, desgleichen Thiere, welche mit dem Kopf und Körper eines Pferdes und dem Schwanze eines Fisches versehen, auch andere Vierfüßler, welche aus verschiedenen Thieren, wie Fische, Schlangen und andere Reptilien zusammengesetzt, desgleichen zahlreiche Arten von wunderbaren Ungeheuern, welche auf das verschiedenartigste gestaltet waren und deren Abbildungen man auf den Wandgemälden des Baaltempels sehen kann. Ein Weib, Amoroka[24], leitete diese Schöpfung; sie wird im Chaldäischen Thavatth[25] genannt, ein Name, der im Griechischen „das Meer“ bedeutet; doch wird sie auch mit dem Monde identificiert.“
Diese Geschöpfe des Chaos sind nach Lenormant[26] entweder wohlthätige Genien oder von den Göttern bekämpfte Dämonen, welche bei der Scheidung der Elemente entstanden, und denen Diodorus Siculus die ganze untere Hälfte des Weltalls als Sitz anweist.[27] Die Ungeheuer, welche Tiamat im Chaos beherrschte, sind indessen auch die Bestandteile jenes Heeres, mit welchem Tiamat – die Personifizierung der von den Göttern noch ungeordneten Materie – die geordnete Welt befehdet. Auch ist es Tiamat, welche die ersten Menschen zur Verletzung der göttlichen Gebote verleitet, so daß sie in der chaldäo-babylonischen Schöpfungstradition die gleiche Rolle spielt, wie die Schlange in der biblischen. Die beim Kampfe der Tiamat mitwirkenden chaotischen Geschöpfe werden vollständig mit den Dämonen identifiziert und deshalb von den oberen Göttern bekämpft. Im British Museum befindet sich z. B. ein aus dem Palast von Nimrud herrührendes Basrelief, auf welchem der mit Königskrone und Stierhörnern geschmückte Maruduk, welcher an den Schultern vier Flügel trägt, mit dem Blitzstrahl in der Hand die Tiamat verfolgt, welche als Ungeheuer mit Körper, Kopf und Vorderfüßen eines Löwen und den Flügeln, Kopf und Krallen eines Adlers erscheint.
Die Talismane, welche man zum Schutz in den Häusern verbarg, entfalten nach dem Glauben der Urzeit wie nach dem des späteren Mittelalters nur so lang ihre heilbringende Kraft, als sie an ihrem Platz bleiben, wie sich schon aus folgender von König Assurakhiddin herrührenden Inschrift ergibt:
„Daß der bewachende Stier, der bewachende Genius,
Der die Macht meines Königthums schützt,
Für alle Zeiten meinen freudestrahlenden und geachteten Namen erhalte,
Bis seine Füße von seinem Platz verdrängt werden.“
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