Der Occultismus des Altertums. Karl Kiesewetter
sind.
Zu den wichtigsten der schützenden Talismane der Chaldäer wird der Zauberstab bezeichnet, dessen akkadische Bezeichnung gis-zida, der günstige, wohlthätige wirkende Stab auch von den Babyloniern und Assyriern, wenn er auch Beinamen führte, doch nicht durch einen andern Namen ersetzt wurde. Der Titel Nin-gis-zida, „die Herrin des Zauberstabs“, ist eine Nebenbezeichnung der akkadischen Göttin Nin-kigal und der assyrischen Allat, der „Herrin des Totenreichs“, welche daher auch die Sondergöttin der Magie und Geisterbeschwörung ist; ihr, „der Herrin des Zauberstabs“, ist der Monat Ab geheiligt.
Welche Rolle der magische Stab bei den Hofzauberern Pharaos, in der Odyssee, bei Cicero usw. usw. spielt, ist bekannt.
Die Chaldäer machten einen Unterschied zwischen helfender Magie und schädigender schwarzen Kunst. Die Vorschriften zu ersterer wurden in den heiligen Büchern mitgeteilt und ich habe oben an einigen Stichproben gezeigt, daß dem Verfahren im wesentlichen Heilmesmerismus und Transplantation der Krankheiten zu Grund lag; außerdem spielten noch die Beschwörungen eine große Rolle. Durch die Beschwörung der Schutzgötter, als welche besonders Ea und der Sonnengott betrachtet werden, sollen nicht allein die bösen Dämonen bekämpft, sondern es soll auch die Wirkung des Zaubers vernichtet werden. In diesem Sinne heißt es in einem Hymnus:
„Der du die Lüge zu Schanden machst, den bösen Einfluß vernichtest,
Der du Wunder, schreckliche Zeichen, Deutungen, Träum' und Erscheinungen,
Der du die bösen Ränke vereitelst, Menschen und Länder vernichtest,
Die der Hexerei und bösem Zauber ergeben sind, usw.“
Der Zauberer und Schwarzkünstler wird in den akkadischen Beschwörungen meist „der Bösewicht“, „der boshafte Mensch“ bezeichnet, welche Namen dessen magische Thätigkeit aus Furcht nur verschleiert andeuten, gerade wie man im Mittelalter die Hexen „gute Frauen“, „bonnes dames“ usw. zu nennen pflegte. So wird auch bei den Akkadern im gleichen Sinn die Zauberei „das Wirkende“, „das Gewaltsame“; die magischen Gebräuche „die Handlung“; die Beschwörung „das Wort“ und der Zaubertrank „die wirkende Sache“ genannt.
Der akkadische „Bösewicht“ übt die gleichen Venefizien wie die mittelalterlichen Hexen. Sie bezaubern den Menschen durch den bösen Blick oder böse Worte; durch seine Beschwörungen und Künste zwingt er die Dämonen, daß sie seinen Befehlen gehorchen und Menschen wie ganze Länder mit Krankheit, Besessenheit und Tod überziehen. Durch Zauberei, Verwünschungen und wirkliches den Zaubertränken beigemischtes Gift tötet er die Menschen, während umgekehrt die zur Heilung der Zauberei angewendete Beschwörung den tödlichen Ausgang auf den Schwarzkünstler zurückzuwälzen sucht. So lautet ein hierhergehöriger Passus einer assyrischen Beschwörung, die gegen die bösen Künste einer Hexe gerichtet ist[28]: „Daß sie sterbe und ich am Leben bleiben möge!“
Bei den Akkadern wird wie bei den Thessaliern, den übrigen Völkern des Altertums und den Hexen die Schwarzkunst hauptsächlich von den Frauen betrieben, weshalb sich auch eine große Anzahl assyrischer Beschwörungen gegen das Treiben der Zauberinnen und Hexen richtet. Bei den mesopotamischen Völkern herrschte auch der Glaube, daß die Hexen auf Besenstielen durch die Luft ritten, und das dazu bestimmte „Stück Holz“ (gusur) heißt „das Reitthier der Hexe“ (rakabu sa kasipti).
Ein lebhaftes Bild von den Künsten der akkadischen Hexen entwirft uns folgende Beschwörung[29]:
„Der Zauberer hat mich durch Zauber bezaubert, er hat mich durch seinen Zauber bezaubert;
Die Zauberin hat mich durch Zauber bezaubert; sie hat mich durch ihren Zauber bezaubert;
Der Hexenmeister hat mich durch Hexerei behext; er hat usw.;
Die Hexe hat mich durch Hexerei behext; sie hat mich usw.;
Die Zauberin hat mich durch Hexerei behext, sie hat mich usw.
Derjenige, der Bildnisse anfertigt, entsprechend meiner ganzen Erscheinung, hat meine Erscheinung bezaubert;
Er hat den mir bereiteten Zaubertrank ergriffen und meine Kleider verunreinigt.
Er hat meine Kleider zerrissen und sein zauberisches Kraut mit dem Staube meiner Füße vermengt[30], Daß der Feuergott, der Held, ihre Zaubereien zu Schanden machen möge!“
Eine andere Beschwörung derselben Tafel spricht von dem Zauberer, „der die Nachtwachen mit Zauberei hinbringt“, „schädliche Worte spricht“, „zauberische Knoten schürzt, die gelöst werden müssen“[31], und schließt mit dem Wunsche, „daß er durch das Machtwort der Götter beschworen werden möge!“
Das Venefizium wurde von den Akkadern wie von den Hexen durch die Beschwörung, die symbolische Handlung und den Zaubertrank ausgeübt, der unter Umständen irgend ein pflanzliches oder mineralisches Gift ist.
Der Bildzauber spielt eine große Rolle und scheint eine der häufigsten Manipulationen der chaldäischen Schwarzkünstler gewesen zu sein, denn in fast allen Beschwörungen wird vor dem „Anfertiger des Ebenbildes“ gewarnt. Diese Manipulation scheint sich Jahrtausende hindurch fortgeerbt zu haben, denn der im 14. Jahrhundert lebende arabische Geschichtsschreiber Ibn Chaldûn berichtet als Augenzeuge von den am untern Euphrat lebenden nabatäischen Zauberern[32]:
„Wir haben mit eigenen Augen gesehen, wie einer dieser Schwarzkünstler das Bildniß einer Person herstellte, die er bezaubern wollte. Die Bildnisse bestehen aus Stoffen, deren Qualität sich je nach den Absichten und Plänen des Zauberers richtet, und deren symbolische Bedeutung mit dem Namen und Stand seines Opfers gewissermaßen harmonirt. Nachdem der Zauberer das Bildniß, welches die zu bezaubernde Person thatsächlich oder sinnbildlich darstellt, vor sich aufgestellt und einige Worte darüber gesprochen, speit er einen Theil des im Munde gesammelten Speichels gegen dasselbe, während er gleichzeitig die Organe bewegt, mittelst deren die Buchstaben der verhängnißvollen Formel ausgesprochen werden. Endlich spannt er über diesem symbolischen Bildniß eine bereit gehaltene Leine, in welche er einen Knoten macht[33], womit er andeuten will, daß er mit Entschlossenheit und Beharrlichkeit handelt und mit dem Dämon, der im Augenblick des Ausspeiens seine Handlung unterstützte, einen Bund schließt, und beweist, daß er die feste Absicht hegt, den Zauber unlösbar zu machen. Ein böser Geist, der, im Speichel verborgen, dem Munde des Zauberers entfährt, nimmt an diesen unheilvollen Handlungen und Worten Theil, während allmählich noch andere böse Geister hinzutreten, sodaß der Zauberer vollkommen im Stande ist, seinem Opfer das Böse anzuthun, was er ihm angewünscht hat.“
Des magischen Knüpfens der Knoten bedienten sich übrigens auch die helfenden Magier, und eine akkadische Formel sagt u. a.: „Silik-mulu-khi, Eridhus Sohn, durchschneide den Knoten mit deinen reinen, heiligen Händen!“ Es scheint jedoch hier die Lösung eines in schädigender Absicht geknüpften magischen Knotens von Seiten eines helfenden Zauberers gemeint zu sein, wie wir ähnlichen Manipulationen beim Nestelknüpfen und andern magischen Künsten des Mittelalters begegnen.
Das mächtigste Zaubermittel des akkadischen Bösewichts war die Verwünschung, welche nicht allein die Dämonen entfesselte, sondern auch die Götter beeinflußte, insofern sie deren Handlungen und Worte mit schädlichen Eigenschaften ausstattete. Nach chaldäischer Anschauung machten sich die Schwarzkünstler durch ihre Verwünschungen die über die einzelnen Menschen wachenden Götter unterthan und verwandelten ihre wohlthätige Macht in eine feindliche. Dieser Gedanke liegt folgender Beschwörung zu Grund[34]:
„Die schändliche Verwünschung, sie wirkt auf den Menschen wie ein böser Dämon;
Der Spruch der Verwünschung schwebt über ihm;
Der Spruch des Verderbens schwebt über ihm;
Die schändlichste Verwünschung, sie ist der Zauber, der den Irrsinn hervorrief.
Die schändliche Verwünschung, sie erwürgt diesen Menschen wie ein Lamm.
Sein Gott hat sich aus dem Innern seines Körpers entfernt;
Seine Göttin, aufgebracht, hat sich anderswo niedergelassen,
Die dröhnende