Der Occultismus des Altertums. Karl Kiesewetter
und Füße. Lasse ihn sich niedersetzen auf seinem Lager und Benetze ihn mit den bezauberten Wassern; Daß die Krankheit seines Hauptes in den Himmelsraum entführt werde gleich einem reißenden Sturmwind. Daß sie von der Erde entführt werde wie die zeitweise übertretenden Wasser.[20] Daß Eas Vorschrift ihn heile! Daß Davkina ihn heile! Daß Silik-mulu-khi, des Ozeans Erstgeborener, dem Bilde die heilsame Kraft verleihe!“
Soviel über den Mesmerismus bei den Akkadern, dessen Anwendung auf dem heilenden wie auf dem divinatorischen Gebiet die gleiche ist, heute wie tausend Jahre vor dem Beginn der eigentlichen Geschichte.
Oben wurde bereits angedeutet, daß die Akkader die Krankheit als ein persönliches Wesen betrachteten, welches sich des Menschen bemächtige. Dies geschah besonders bei den beiden schwersten Krankheiten, an denen die Chaldäer zu leiden hatten, der Pest und dem Fieber, Namtar und Idpa. Diese zählen zu den gefürchtetsten Dämonen, wie wir aus folgendem Beschwörungsfragment ersehen:
„Gegen den Kopf des Menschen richtet seine Macht der fluchwürdige idpa,
Gegen das Leben des Menschen der grausame namtar,
Gegen den Hals des Menschen der schädliche utuq,
Gegen die Brust des Menschen der verderbenbringende alal,
Gegen die Eingeweide des Menschen der böse gigim,
Gegen die Hand des Menschen der schreckliche telal.“
Die auf diese schadenstiftenden Dämonen folgende Klasse sind die Schreckgespenster, welche mit den Schatten der Toten im Innern der Erde, in dem dem jüdischen Scheol vergleichbaren „Land ohne Heimkehr“ wohnen und aus ihm hervorgehen. Die drei wichtigsten Wesen dieser Klasse sind das larvenartige „Schreckgespenst“ oder „Schattenbild“ (akkad. dimme, assyr. lamastuv), das „Gespenst“ (akkad. dimmea, assyr. labasu) und der Vampyr (akkad. dimmekhab, assyr. abharu), von welchen die ersteren nur die Menschen durch ihre Erscheinung erschrecken, während der Vampyr „den Menschen anfällt“. Der Vampyrglaube ist in Chaldäa sehr verbreitet, und in dem Epos „die Höllenfahrt der Istar“ ruft die Göttin dem Hüter der Hölle am Thore folgende Worte zu:
„Hüter, öffne dein Thor;
Öffne dein Thor, damit ich eintreten kann!
Öffnest du aber das Thor nicht, und kann ich nicht eintreten,
Dann stürme ich das Thor und sprenge sein Schloß,
Stürme die schließenden Riegel, durchschreite das Thor.
Dann werde ich die Todten erwecken, zu verschlingen die Lebenden,
Ich werde die dem Tageslicht wieder zugeführten Todten zahlreicher machen denn Alles, was lebt.“
Eine besondere Geisterklasse sind die „Dämonen der nächtlichen Samenergüsse“, das Nachtmännchen, lillal, und das Nachtweibchen, kiel-lillal, die „bezwingende Beischläferin“, deren Umarmungen sich weder Weiber noch Männer entziehen können. Die kiel-lillal ist die Lilith der Juden, und es heißt von ihr ganz conform der Stelle bei Jesaias[21]:
„Dornen werden in ihren Palästen wachsen,
In ihren Festen Nesseln und Disteln;
Schakale werden da hausen,
Strauße werden da nisten.
Dort werden die Thiere der Wüste den Wölfen begegnen,
Die Dämonen mit einander verkehren.
Dort allein wird Lilith ihre Wohnstatt suchen, ihren Ruheplatz finden.“
Außer dem Nachtweibchen giebt es noch einen weiblichen Kobold (akkad. kiel-udda-karra, assyr. ardat), von welchem nur bekannt ist, daß er sich gern in der Nähe der Menschen aufhält und besonders die Ställe zum Schauplatz ihres Treibens macht, also ein Hauskobold.
Noch sei erwähnt, daß die Akkader den bösen Blick und das Berufen kannten. Das „böse Wort“ und der „böse Mund“ werden überall neben dem bösen Blick erwähnt; so heißt es:
„Den, der das gefertigte Ebenbild bezaubert,
Das böse Antlitz, den bösen Blick,
Den bösen Mund, die böse Zunge,
Die böse Lippe, das schädliche Gift,
Geist des Himmels, beschwöre sie! Geist der Erde, beschwöre sie!“
Außer den Beschwörungen bedienten sich die Chaldäer und später die Assyrer in ausgedehntester Weise der Talismane (akkad. sagba, assyr. mamituv). Folgende Beschwörung wurde über einen solchen Talisman gesprochen, um ihm die Macht zu verleihen, die sich in die Häuser einschleichenden Dämonen zu vertreiben:
„Talisman! Talisman! Unwandelbarer Hort!
Unüberschreitbare, von den Göttern errichtete, Schranke!
Grenzscheide des Himmels und der Erde, die man nimmer hinwegrückt.
Einziger Gott, der sich nimmer verändert,
Dessen Macht kein Gott, kein Mensch zu bekämpfen vermag,
Schlinge, die nimmer gelöst wird, dem bösen Zauber gelegt,
Schwert, dem man nimmer entgeht, gegen den schädlichen Zauber gerichtet!
Sei's auch ein böser utuk, ein böser alal, ein böser gigim, ein böser telal, ein böser Gott, ein böser maskim,
Ein Schreckgespenst, ein Nachtgeist, ein Vampyr,
Ein Nachtmännchen, ein Nachtweibchen, ein weiblicher Kobold,
Sei's gar die verheerende Pest, das schmerzhafte Fieber, eine bösartige Krankheit:
Wer sein Haupt gegen die Wasser des Ea erhebt, die durch Besprengen verbreitet,
Den soll die Falle des Gottes Ea erfassen.
Wer sein Haupt gegen die Speicher des Gottes Serakh erhebt,
Den soll das Sichelschwert des Gottes Serakh in Stücke zerschneiden,
Wer den Grenzstein des Eigenthums überschreitet,
Den wird der Grenzstein der Götter, der Grenzstein des Himmels und der Erde nimmer entkommen lassen! –
. . . . . . . . . .
Wer Arges im Schilde führt wider das Wohnhaus,
Den soll er in den Graben des Hauses versenken!
Diejenigen, die aller Orten Verwirrung und Umsturz stiften,
Die soll er anderswohin verjagen, in öde, unfruchtbare Orte!
Wer am Thore des Hauses auflauert,
Den soll er einsperren im Hause, an einem Ort, aus dem keine Wiederkehr möglich ist!
Wer sich den Thürflügeln, den Querriegeln anhängt,
Den sollen die Thürflügel, die Riegel in unauflösbare Bande einschließen!
Wer sich heimlich in die Rinnen und Dachtraufen stiehlt,
Wer mit Gewalt den Verschluß fortstößt, der auf die Thür und Angeln gelegt ist,
Den soll er wie Wasser hindurchfließen lassen!
Den soll er zerschmettern wie einen irdenen Krug!
Den soll er zermalmen wie Thonerde.
Wer das Zimmerwerk überschreitet, den soll er der Flügel berauben!
Den, der seinen Hals zum Fenster hinaussteckt, den soll das Fenster erwürgen!“
Es gab sehr verschiedene Arten von Talismanen bei den Akkadern: so auf Zettel geschriebene Zaubersprüche, welche gleich den Denkzetteln der Juden an die Kleider geheftet getragen wurden. Auch trug man Periapte aus allerlei Stoffen um den Hals als Schutzmittel gegen Unglück aller Art, Krankheiten, dämonische Nachstellungen usw., ebenso in Steine geschnittene Bildnisse von Göttern und Genien, wie dergleichen vielfach in den Museen aufbewahrt werden.
Eine ganze Anzahl talismanischer Götterstatuetten aus gebranntem Lehm fand Botta unter der Thorschwelle des Königspalastes von Khorsabad