Der Occultismus des Altertums. Karl Kiesewetter

Der Occultismus des Altertums - Karl Kiesewetter


Скачать книгу
dem Verwünschten zu Hilfe und befragt Ea um Rat, welcher antwortet:

      „Reich' ihm die Hand von der Höhe der glänzenden Wohnsitze herab;

       Zerstöre das böse Geschick, befreie ihn vom bösen Geschick,

       Welches Übel auch in seinem Innern wühlen mag,

       Sei es eine Verwünschung seines Vaters,

       Eine Verwünschung seiner Mutter,

       Eine Verwünschung seines älteren Bruders,

       Oder gar der Fluch eines Unbekannten.

       Das böse Geschick, möge es auf den Zauberspruch, den Ea verkündet,

       Gleich einer Zwiebel sich abschälen,

       Gleich einer Dattel zerstückelt,

       Gleich einem Knoten gelöst werden!

       Das böse Geschick! Geist des Himmels, beschwöre es! Geist der Erde, beschwöre es!“

      Die Fortsetzung des Zauberspruches zerfällt in eine Anzahl von Strophen, welche zu symbolischen Handlungen gesprochen wurden, die sich aus den Anfängen derselben ergeben. So heißt es:

      „I. Gleichwie diese Zwiebel ihrer Schale beraubt ist, so wird es auch dem bösen Zauber ergehen!

       Das lodernde Feuer wird sie verzehren!

       II. Gleichwie diese Dattel in Stücke zerschnitten ist, so wird es auch dem bösen Zauber ergehen!

       Das lodernde Feuer wird sie verzehren!

       III. Gleichwie dieser Knoten gelöst ist, so wird es auch dem bösen Zauber ergehen! usw.

       IV. Gleichwie diese Wolle zerfetzt ist, so usw.

       V. Gleichwie dieses Fähnlein zerrissen ist, so usw.

       VI. Gleichwie dieses gewalkte Tuch zerfetzt ist, so wird es auch dem bösen Zauber ergehen!

       Das Feuer wird es verzehren!

       Der Walker wird es nimmermehr färben und zu einem Kleidungsstück verwenden,

       Es wird nimmermehr zum Gewand eines Königs, eines Gottes erwählt werden!

       Der Mensch, der den bösen Zauber verhängt hat, desgleichen sein Weib,

       Die gewaltsame Einwirkung, das Zeigen mit den Fingern, die bezaubernde Schrift, die Verwünschung und sündige Rede,

       Das Übel, welches meinen Unterleib, mein Fleisch, meine Wunden behaftet,

       Möge dies Alles zerfetzt werden wie dieses gewalkte Tuch!

       Möge es noch an diesem Tage vom lodernden Feuer verzehrt werden!

       Möge sich das böse Verhängniß verziehen, möge es wieder hell um mich werden!“

      Soviel von der schwarzen Magie der Akkader.

      Wie bereits oben gesagt, ging der akkadische Kultus der Naturgeister in die Staatsreligion der Chaldäer über, in welcher er eine untergeordnete Stellung einnahm, während die Naturgeister selbst zu niedrigen, kaum über den Menschen stehenden Emanationen wurden. Die akkadischen Zauberpriester, die wir uns wohl als eine Art Medizinmänner oder Schamanen zu denken haben, fanden Aufnahme in die Priesterkaste der Chaldäer, ähnlich wie in Indien Priesterfamilien der braunen, den Ariern vorausgehenden Rasse unter die Brahminen aufgenommen wurden. Aber diese Zauberpriester bildeten nach ihrer Aufnahme besondere, den andern Priestern im Rang nachstehende Körperschaften, die Khartumim, hakamim und asaphim des Buches Daniel.

      Die Sammlung ihrer überlieferten Beschwörungen, welche wohl um diese Zeit abgeschlossen wurde, fand Aufnahme unter die heiligen Bücher der Chaldäer und erhielt einen kanonischen Charakter. Sie war das Hauptlehrbuch dieser der Magie ergebenen Priesterkollegien, ähnlich wie man in Indien das Atharva-Veda, welches in vielen Stücken mit dem ursprünglichen reinen Glauben der Arier wie auch mit der orthodoxen brahminischen Lehre in Widerspruch stand, unter die heiligen Bücher aufnahm, insofern es als den Priesterfamilien Goptris oder Angiras angehörend betrachtet wurde.

      Die akkadische Magie beruht auf dem Glauben an unzählige persönliche Geister, welche überall in der Natur verbreitet und bald mit den von ihnen beseelten Naturkörpern eins sind, bald eine von diesen abgesonderte Existenz besitzen. Diese naive Anschauung des Übersinnlichen ist dem Fetischismus nahe verwandt, mit welchem sie das blinde Vertrauen zu den an die Stelle der Fetische tretenden Talismanen gemein hat. Die genannten Geister rufen alle Naturerscheinungen hervor; sie beleben und beherrschen alle Geschöpfe, verursachen das Gute und Böse, leiten die Himmelskörper in ihren Bahnen, führen den Wechsel der Jahreszeiten herbei, bewirken das Wehen der Winde, erzeugen den Regen sowie alle guten und schadenstiftenden atmosphärischen Erscheinungen; sie machen den Boden fruchtbar, lassen die Pflanzen keimen und reifen; sie sind die Erzeuger und Erhalter der Lebenskraft und die Bringer von Krankheit und Tod. Diese Geister wohnen überall: im Sternenhimmel, in der Atmosphäre, auf der Erde, in der Luft, im Feuer und Wasser. Jeder Himmelskörper wird von Geistern bewohnt. Man verleiht diesen Geistern sichtbare, bestimmte Persönlichkeiten.

      Wie überall in der Natur Böses und Gutes, Licht und Nacht, Leben und Tod, Gesundheit und Krankheit einander gegenüberstehen, so findet sich – ähnlich wie bei Zoroaster – auch bei den akkadischen Zauberpriestern ein ausgesprochener Dualismus in ihren Vorstellungen von der Geisterwelt, von welcher sie weniger Gutes erhoffen, als Böses fürchten. Gewaltige Gruppen böser und guter Geister stehen einander gegenüber und bekämpfen sich unaufhörlich in allen Teilen des Weltalls. Die abwechselnden Siege und Niederlagen der guten Geister verursachen den Wechsel zwischen guten und bösen, glücklichen oder unglücklichen Ereignissen und lassen auf den regelmäßigen Verlauf der Dinge plötzliche Katastrophen folgen. Mit jedem Stern, jedem Element, jedem Wesen und Ding sind gute wie böse Geister verbunden, leben und weben in ihm, weshalb denn auch überall Zwietracht herrscht und nichts vom Kampfe zwischen dem Guten und Bösen verschont bleibt. Dieser Kampf wird – dem niederen kulturellen Standpunkt der Akkader entsprechend – in überwiegender Weise als ein physischer aufgefaßt, und die ethische Seite desselben tritt selbst in den religiösen Hymnen völlig zurück. In einer an gewisse Stellen des alten Testaments erinnernden Weise erscheinen in den magischen Texten der Akkader Verstöße gegen den Ritus als die schwersten Vergehen, welche durch äußere Gebräuche gesühnt werden müssen. Eines der größten Verbrechen ist die unterlassene Anrufung der guten Geister und der mit den bösen eingegangene Bund. Wir haben also hier das Urbild des Paktes mit dem Teufel.

      Auf dieser dualistischen Grundlage beruht auch die fromme und erlaubte akkadische Magie, welche als Theurgie, als ein durch heilige Gebräuche zwischen den Menschen und der Welt der guten Geister vermittelter Verkehr zu betrachten ist.

      Der Mensch ist selbst in den beständigen Streit zwischen den guten und bösen Geistern verwickelt, ohne ihm entrinnen zu können. Alles ihm widerfahrende Gute rührt von den guten, alles Böse von den bösen Geistern her. Deshalb bedarf er des Beistandes der guten gegen die bösen Geister und die von diesen hervorgerufenen Krankheiten und Plagen. Denselben gewähren ihm die allmächtigen, geheimnisvollen Worte der Beschwörungen der Zauberpriester, ihre Bannungen und Talismane. Allein durch diese werden die bösen Dämonen vertrieben und die guten herbeigerufen. Ja man hat einen so hohen Begriff von der Allgewalt dieser Beschwörungsworte und Gebräuche usw., daß man annimmt, sie erhöhten die Kraft der guten Geister im Kampfe gegen die bösen, daß sie dieselben unüberwindlich machten und ihnen den Sieg verliehen. Darum beschirmen die Zauberpriester nicht nur die Menschen, sondern verhindern auch schädigende Naturereignisse und greifen entscheidend in den Kampf der guten und bösen Geister ein.

      Die guten Geister wurden in Klassen geteilt, welche mit denen der Dämonen parallel liefen; jedoch sind die keilschriftlichen Angaben über die Einteilung und Rangordnung der guten Geister noch ungenauer als die über die Klassifizierung der bösen erhalten gebliebenen. Nur soviel ist ersichtlich, daß die Geisterrassen der alad, lamma und utuk sowohl unter den guten, als unter den bösen Geistern vorkamen, insofern in den Beschwörungen sehr häufig „der gute alad“, „der gute lamma“ und „der gute utuk“ den bösen entgegengestellt werden. Auch ist von Elementargeistern (zi) im engeren Sinn, Schutzgeistern und körperlich gestalteten Engeln die Rede, unter denen


Скачать книгу