Im Schatten der Titanen. Braun Lily

Im Schatten der Titanen - Braun Lily


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      Mehr, als er ahnte, war sie seinem Rat schon gefolgt, hatte heimlich über Werthers Leiden bittere Tränen vergossen, und sich von Gretchens Schicksal das Herz erschüttern lassen. Auf den Eindruck, den sie davon empfing, bezog sie sich später, wenn sie angesichts gewisser strenger Erziehungsmethoden in bezug auf die Lektüre zu sagen pflegte: "Laßt die Kinder nur lesen ohne Kommentar, ohne Ge- und Verbote. Das Herrliche großer Dichtungen, das sie vielleicht noch nicht verstehen, empfinden sie, und an dieser starken Empfindung wächst ihr Verständnis, und ihre Seele weitet sich." Auch Prinzeß Augusta, so erzählt sie, trug früh schon das Verlangen, Goethes Werke zu lesen, und sprach ihm davon. "Er wählte lange, ehe er ihr ein Buch nach dem anderen in die Hand gab." Mit ihr gemeinsam, also auch unter seiner Leitung, setzte sie die in Straßburg allein begonnene Lektüre fort. Alle ihre alten Beziehungen knüpften sich wieder an, viele neue traten hinzu, und der Strudel des Weimarer Lebens riß sie um so mehr mit sich fort, als ihr Liebreiz alle Welt bezauberte. Den Stempel ihrer Abstammung trug sie unverkennbar auf der Stirn, in den dunkeln Augen, auf der warmen dunkel getönten Haut, in der Lebhaftigkeit und der Reife ihres Wesens. Goethe, der für Schönheit und Jugend immer gleich Empfängliche, war entzückt von ihr. "Jenny von Pappenheim," sagte er zu Felix Mendelssohn, "ist gar so schön, so unbewußt anmutig,"[65] und seine Vorliebe für sie drückte er bei allen Gelegenheiten aus. In ihrer großen Bescheidenheit hat sie später nur davon erzählt, wenn ich sie darum bat oder der Großherzog Karl Alexander, ihr treuer, lebenslanger Freund, sie im Interesse der Goetheforschungen dazu aufforderte. Stellt man aber ihre verschiedenen Schilderungen — die, die sie als junges Mädchen schrieb, und die, welche die Erinnerung der alten Frau diktierte — zusammen, so wacht Alt-Weimar auf vor uns, wie es nur durch den erweckt werden kann, der selber in ihm lebte und für den es nie gestorben ist. Es sei ihr darum selber das Wort gegeben:

       Inhaltsverzeichnis

      Im November 1826 kam ich nach Weimar zurück; schüchtern, mit hochklopfendem Herzen erschien ich vor Goethe, der meine Mutter und mich im Aldobrandinizimmer mit großer Freundlichkeit empfing. Ich sehe ihn vor mir, nicht allzu groß und doch größer erscheinend als andere, mit jener Jupiterstirn, die ich am vollendetsten in der von Bettina gezeichneten Statue wiederfinde, die unser Museum schmückt, während seine Augen durch Stieler am besten wiedergegeben sind. Auch mich sehe ich noch im rosa Kleid und grünen Spenzer, unter einem großen, runden Hut heiß errötend bei seinem kräftigen Händedruck. Ich brachte keinen Ton über die Lippen, obgleich er mich, wie er es gern bei jungen Mädchen tat, mit 'Frauenzimmerchen' und 'mein schönes Kind' ermutigte; erst als er lächelnd sagte: 'Die Augen werden viel Unheil anrichten,' ermannte ich mich zu der verwunderten Frage: 'Warum denn gerade Unheil?' Dann verging ein Jahr, wo ich Goethe nur bei seinen Abendgesellschaften und zu seiner Geburtstagsfeier sah; er hat mir jungem Ding aber immer so imponiert, daß ich vor ihm eigentlich nie ich selbst war, sondern eine Seele, die mit auf der Brust gekreuzten Armen zu ihm emporsah. Ich hielt den Atem an, wenn ich ihn sprechen hörte, und glaubte vergehen zu müssen vor Scham, als er meine Mutter einmal frug: 'Was treibt denn eigentlich die schöne Kleine?' Meine Nichtigkeit drückte mich von da an so sehr, daß ich manche Stunde der Nacht wachend zubrachte, alle Bücher, deren ich habhaft werden konnte, um mich herum.

      "Nach der Geburt von Alma, Goethes reizender Enkelin, die meine lebendige, sehr geliebte Puppe war, wurden meine Beziehungen zu Goethes Haus und Familie sehr innige. Täglich stieg ich nun zu Ottilie hinauf, ich lernte die kleine Alma wickeln, ihr Milch im Schnabeltäßchen geben, bekümmerte mich zu Anfang wenig um die Mutter, und wenn die Kinderfrau beschäftigt war, hieß es: Fräulein von Pappenheim ist ja da und hat das Kind. Einst, an einem Sonntag, kam ich aus der Kirche, Ottilie war nicht in ihrer Stube, ich hatte mein Püppchen und spielte mit ihm. Plötzlich trat ein junger Mann herein, sah uns betroffen an, wirbelte seltsam im Zimmer umher, so daß ich ganz ängstlich wurde. Als Ottilie auf mein Rufen erschien, entpuppte er sich als junger Engländer, Namens Thistelswaite, der an Goethe empfohlen war und den er heraufgeschickt hatte. Goethe frug nach ihm, und Ottilie erzählte von seinem auffälligen Benehmen, worauf Goethe lächelnd sagte: 'Wer so schöne Freundinnen hat, muß für Schleier sorgen,' eine Äußerung, die mich mehr beglückte als alle Schmeicheleien, die ich je gehört hatte.

      "Walter und Wolf Goethe liebte ich bald mit einem ebenso mütterlichen Gefühl wie ihre Schwester, und daraus entwickelte sich nach und nach die Freundschaft mit der Mutter. Ihr edler, poetischer Geist, ihre liebenswürdige Gabe, aus jedem Menschen das Beste und Klügste, was in ihm lag, heraufzubeschwören, das Neidlose, Klatschlose, geistig Anregende im Verkehr mit ihr übten einen unwiderstehlichen Zauber auf mich aus; der Weg nach den Dachstuben zu dem 'verrückten Engel', wie sie meine Tante Egloffstein, zu der 'Frau aus einem anderen Stern', wie sie ihre Freundin, die Schriftstellerin Anna Jameson, nannte, wurde nur zu gern von mir zurückgelegt. So kam ich häufig an Goethes Tür vorüber; kehrte ich ein, so war es in seinem Eß- und Empfangszimmer oder in seinen Gärten, wo ich ihn traf. Er selbst führte damals schon körperlich das regelmäßige Greisenleben, was ihn sicher so lange geistig frisch erhalten hat. Der einfache Wagen Karl Augusts hielt etwa zweimal in der Woche vor Goethes Haus, während die wunderbaren Freunde oben zusammen waren. Der 28. August 1827 versammelte zum letztenmal eine Schar Gratulanten in Goethes Zimmern. Später unterblieb auf seinen Wunsch der große angreifende Empfang. Damals überbrachte König Ludwig von Bayern dem Dichter seinen Orden. Es war ein bewegter Augenblick, doch die Menge der Fürsten auf weltlichem und geistigem Gebiet beachtete ich wenig neben dem wunderbaren Glanz der Goetheaugen. Das Jahr darauf schickte König Ludwig einen antiken Torso als Geburtstagsgeschenk an Goethe, wovon sein Friseur Kirchner, welcher täglich die Frisur auf dem Jupiterhaupte herstellte, meiner Mutter erzählte: es wär' ein Mann ohn' Kopf und Arm', die würden aber wohl nachkommen.

      "Zu einem späteren 28. August — seinem letzten Geburtstag — schickte ich ein Paar Pantoffeln; da ich aber nie eine Künstlerin, ja nicht einmal eine Verehrerin von sogenannten Damenhandarbeiten war, schämte ich mich meiner unvollkommenen Gabe und schrieb, da ich nicht wagte, sie selbst zu bringen, folgende Verse dazu:

      Nur ganz bescheiden nah ich heute mich,

       Wo so viel schönre Gaben dich umringen;

       Doch, Herr, Bedeutung hab auch ich,

       Denn Liebe und Verehrung soll ich bringen;

       Drum, wenn auch Höhre, Meister, dich begrüßen,

       Mir gönne nur den Platz zu deinen Füßen.

      'Zwar kann ich Engeln nicht Befehle geben,

       Daß seine Schritte sie mit Liebe führen,

       Doch will ich weich mit Seide euch durchweben,

       Daß ihn kein Steinchen möge hart berühren;'

       So sprach die Herrin, und so laß mich schließen

       Und gönn auch ihr den Platz zu deinen Füßen.

      "Es war etwa elf Uhr vormittags, als Friedrich, Goethes wohlbekannter Diener, mir auf meiner Eltern Treppe begegnete, um der Freudestrahlenden des Dichters Dank zu bringen. Auf rosa gerändertem, großem Bogen las ich folgende Antwort:[66]

      Dem heil'gen Vater pflegt man, wie wir wissen,

       Des Fußes Hülle, fromm gebeugt, zu küssen;

       Doch! wem begegnet's, hier, im langen Leben,

       Dem eignen Fußwerk Kuß um Kuß zu geben?

       Er denkt gewiß an jene liebe Hand,

       Die Stich um Stich an diesen Schmuck verwandt.

      Am 28. August 1831

      Der älteste Verehrer J. W. v. Goethe.

      "Zu meinem Geburtstag schenkte mir der verehrte Greis einen goldenen Ring, dessen Stein eine lanzenartige Spitze zeigt.[67] Er nannte diese mit freundlich-galanten Worten einen Pfeil. Die Zeit und die genauen Worte, mit denen er allegorische Beziehungen zu freundschaftlich überschätzten Gaben in mir bezeichnen wollte, habe ich vergessen, doch fällt das Geschenk in Goethes letzte Lebensjahre. Auch einen Separatabdruck


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