Im Schatten der Titanen. Braun Lily

Im Schatten der Titanen - Braun Lily


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zwei Tage ohne ein Zusammensein. Du bist am häufigsten der Gegenstand unserer Unterhaltung.

      Was ich am meisten in Papas Charakter bewundere, ist seine unbeschreibliche Güte. Nie wird man ihn irgend etwas Schlechtes von anderen sagen hören; er findet immer noch eine Entschuldigung oder Erklärung, selbst für eine Handlungsweise, die sich gegen ihn richtet, und weiß bei Jedem eine gute Seite zu entdecken.

      den 16. März.

      Ich kehre heute zu Dir zurück, in Erwartung des Besuchs von Papa. Ich habe ihm soeben einen Eilboten geschickt, um ihn wissen zu lassen, daß es Dir gut geht und ich einen langen Brief von Dir habe, er hat mir daraufhin sagen lassen, er werde in zwei Stunden hier sein, um Näheres zu erfahren. Du siehst, liebste Schwester, wie sein Herz an Dir hängt, und meins erfreut sich seiner Liebe zu Dir ebenso wie der zu mir selber ...

      Paris, den 3. April 1848.

      Meine liebe, gute Jenny!

      Dein Brief, den ich eben durch Deine Schwester erhalte, macht mich sehr glücklich, er ist für mich ein wahrer Trost inmitten der großen Umwälzungen, von denen Niemand (er mag welche persönlichen Lebenserfahrungen immer haben) sagen kann, wohin sie führen werden!!

      Du hast sehr recht, mein geliebtes Kind, die Bande, die uns verbinden, sind heilig wie die Natur; ihr Geheimniß soll, solange wir leben, unter uns bleiben: Deine wundervolle Mutter hat es mit sich gen Himmel genommen. Dich, liebes Kind, das ich in meinen Armen gehalten habe, noch ehe Deine Augen sich dem Licht öffneten, Dich, von der ich lange glaubte, Du seist Pauline, die Nonne, — Dich habe ich nie vergessen; Dich in meine Arme schließen, Dir meinen Segen geben zu können, wie ich ihn Dir jetzt nur schriftlich senden kann, wird ein Tag des Glückes für mich sein. Küsse Deine Kinder im Namen des alten, bis zu dieser Stunde ihnen unbekannten Freundes: in Zukunft wird meine Jenny es verstehen, ihnen Zärtlichkeit und Liebe für ihn einzuflößen! Wenn Werner jetzt um Dein Geheimniß weiß, so drücke ihm dankbar die Hand für das Glück, das er Dir gegeben hat. Ich drücke Dich an mein Herz und segne Dich als Dein Dich liebender Vater

      Jerome.

      Paris, 24. Mai 1848.

      Meine liebe Jenny!

      Auf Deinen lieben Brief vom 12. vorigen Monats habe ich lange nicht geantwortet — nicht etwa, weil ich mich nicht mit Dir beschäftigt hätte, mein liebes Kind, bist Du doch der Mittelpunkt aller Gespräche zwischen mir und Deiner vortrefflichen Schwester, sind doch die Stunden, die ich bei ihr bin, meinem Herzen die teuersten!! Wir leben hier auf einem Vulkan, mein Kind, aber ich vertraue dem Stern dieses großen und edlen Frankreich, für das ich noch mit Freuden die letzten Jahre, die mir zu leben übrig bleiben, opfern möchte! Es scheint mir nebenbei, daß es auch in Eurem Lande nicht friedlicher ist, was mich sehr beunruhigt — habe ich doch auch dort Wesen, die meinem Herzen teuer sind! Küsse aufs zärtlichste Deine lieben kleinen Kinder; lehre sie, mich zu lieben, ohne daß sie einen Augenblick aufhören, das Andenken ihrer herrlichen Großmutter zu ehren! Ich verlasse mich auf meine Jenny, daß dieses Ziel erreicht wird! Drücke Deinem Mann in meinem Namen herzlich die Hand; in diesen Zeiten müssen die Männer vor allem einander entgegenkommen; vielleicht ist die Zukunft nicht so dunkel, als Viele es glauben annehmen zu müssen. Ich segne Dich, meine liebe Jenny, und drücke Dich an mein Herz.

      Jerome N.

      24. Mai 1848.

      Papa verläßt uns soeben, und ich kehre zu Dir zurück, meine Jenny. Ich habe ihm das Bild der Mutter gezeigt, er hat es ähnlich, aber lange nicht hübsch genug gefunden, er wird es kopieren lassen, da er sich nicht mehr davon trennen mag. Auch eins von ihm selbst will er für Dich malen lassen, und sobald beide fertig sind, sollst Du sie bekommen. Im Gedanken daran, Dir eine Freude zu machen, ist er jetzt schon ganz glücklich. Er küßt Dich so zärtlich, wie er Dich liebt, und er läßt mich noch hinzufügen, daß die Größe dieser Liebe der Größe seiner ganzen Liebesfähigkeit entspricht. Lebewohl, liebste Schwester, antworte bald und glaube an die aufrichtige Liebe Deiner Schwester

      Pauline.

      Schicke doch ja Deine Lithographie, das würde Papa so große Freude machen!

      Paris, den 16. Juni 1848.

      Meine liebe, gute Jenny!

      Ich bin seit einigen Tagen im Besitz Deines Briefes vom 3., ohne daß ich bisher einen Augenblick gefunden hätte, um Dir zu schreiben und Dir zu sagen, wie Deine Zärtlichkeit mich stets aufs neue beglückt. — Ich höre mit Freuden, daß es bei Euch ruhiger ist; was uns betrifft, so sind wir einer vollkommenen Organisation und der notwendigen Ruhe, um zu ihr zu gelangen, noch sehr fern; hoffen wir, daß es nicht mehr lange dauern wird, und daß unsere konstituierende Kammer, die die besten Absichten hat, bald eine von dieser edeln und großmütigen Nation anzunehmende Verfassung schaffen wird — dieser Nation, die noch immer bereit war, für die Sache der Gerechtigkeit und die Größe ihres Namens die größten Opfer zu bringen! — — Ich habe das Bild Deiner herrlichen Mutter kopieren lassen und Pauline für Dich übergeben, die es jedoch nicht eher abschicken will, als bis sie das meine beilegen kann, was die Sendung um einige Tage verzögert. Ich hoffe, meine Jenny, daß die Dinge sich so einrichten lassen, um unser Zusammensein zu ermöglichen und mir zu gestatten, Dir vor meinem Tode meinen väterlichen Segen zu geben. Grüße Deinen Mann, küsse Deine Kinder zärtlich von mir und sei versichert, liebes Kind, daß Du nicht lebhafter als ich wünschen kannst, einander zu sehen — es wäre ein Augenblick des Glücks nach Jahren des Kummers. Ich küsse Dich zärtlich.

      Jerome.

      Paris, 16. Juni 1848.

      Du wirst angenehm überrascht sein, liebste Schwester, so rasch einen Brief von uns zu erhalten, aber Papa hat einen Augenblick der Ruhe mit Eifer ergriffen, um mit Dir zu sprechen, um Dir zu sagen, wie er Dich liebt. Die politischen Ereignisse verjüngen den geliebten Vater nicht; er ist sehr müde, ohne eigentlich krank zu sein. Übrigens wünscht er sehnlich, daß wir uns alle acht Tage schreiben möchten, da es ihm recht lang erscheint, immer vierzehn Tage warten zu müssen. Das Bild der Mutter habe ich; ich zögere aber mit der Absendung, bis das von Papa fertig ist; zu gleicher Zeit werde ich Dir Haare von ihm und vom Kaiser schicken. Der Ausdruck Deiner Liebe macht unseren Vater sehr glücklich! Je mehr ich ihn kenne, desto mehr liebe ich ihn, aber mein armes Herz blutet, wenn ich sehe, wie die politischen Verhältnisse sich scheinbar zu seinen Gunsten umgestalten; sein Name hallt überall wider; eine starke Partei steht auf Seiten seiner Familie und wünscht, sie am Ruder zu sehen. Doch der Wankelmut des Volks, seine Unbeständigkeit in der Neigung läßt mich den Moment fürchten, wo sie die Regierung in Händen haben könnten. Der Gedanke macht mich zittern, daß traurige Ereignisse, in die die Familie verwickelt wird, die alten Tage unseres Vaters zu beunruhigen vermöchten. Ich wäre außer mir, wenn dieses gütige Herz noch einmal durch Kummer zerrissen würde. Unser geliebter Vater sieht die Dinge anders an; er glaubt, wenn Gott die Bonapartes wieder an die Spitze der Regierung stellt, so wird es für die Dauer sein. Unglücklicherweise denken andere nicht wie er, sie wissen, wie wenig man auf die Sympathien und Antipathien der Völker bauen kann, wie wenig besonders auf die des französischen Volks. (Unter uns gesagt! Denn Papa kann es gar nicht genug loben, und wir sind darin immer verschiedener Ansicht.) Louis ist nicht in Paris; er hat Kandidaturen, die man ihn in verschiedenen Departements anbot, abgelehnt, aber seine Anhängerschaft ist eine so große, daß er wohl bei einem neuen Anerbieten zur Annahme gezwungen werden wird. Ich sehe mit Beunruhigung, daß Papa vielleicht gezwungen werden wird, sich in die Dinge zu mischen, obwohl er es bisher vermieden hat; der Wunsch, seinem Vaterland nützlich zu sein, sein schönes Frankreich dem Sumpf zu entreißen, in den es zu versinken droht, wird ihn vielleicht dazu bestimmen ... Lebwohl, liebste Schwester. Ich bin zu erregt, um genau zu wissen, was ich schreibe. Die Angst, daß Ereignisse eintreten könnten, die dem geliebten Vater Unglück bringen, foltert mich ... Wenn Du Nachrichten von der Herzogin von Orleans hast, teile sie mir mit, da sie mich sehr interessieren ... Hoffen wir, daß glückliche Umstände uns bald zusammenführen. Schreibe unserem Vater immer recht liebevoll, weil er Dich so zärtlich liebt.

      Deine treue Schwester Pauline.

      Paris, den 15. November 1848.

      Meine liebe,


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