Im Schatten der Titanen. Braun Lily
Gourdex, den 22. Februar 1851.
Das Bildchen unseres lieben Otto, meine geliebte Jenny, macht mir die größte Freude; von Dir gemalt, liebes Kind, ist es eine doppelte Freude für Deinen alten Vater. Ich danke Dir und segne Dich für die Freude, die Du mich empfinden läßt. Umarme Deine Kinder, indem Du meiner gedenkst! Ich hoffe, meine Jenny, daß ich nicht sterben werde, ohne Dich und Deine Kinder wiederzusehen. Wenn Gott es will, daß die Geschicke meiner Familie sich konsolidieren, so sollen die, die meinem Herzen nahe stehen, nicht vergessen werden! — Seit einem Monat erfreue ich mich hier der vollkommensten Ruhe bei einem Wetter, einer Sonne, die ich in gleicher Jahreszeit selbst in Italien nicht erlebt habe. Aber ich denke doch am 1. kommenden Monats zurückzukehren, denn Deine gute Schwester leidet unter meiner Abwesenheit, und ihr lieber Napoleon genügt ihr nicht! ...
Dein Dich liebender Vater
Jerome.
Paris, den 18. März 1851.
Meine geliebte Jenny!
In Beantwortung Deiner lieben Briefe vom 24. Februar und 10. März komme ich, um mit Dir zu plaudern, was für Deinen Vater stets ein Augenblick des Glücks ohne jede Bitterkeit ist. Ich kann, liebes Kind, auf das Glück nicht verzichten, Dich wieder zu sehen, ich will nicht sterben, ohne Deinem Mann für das Glück zu danken, das er Dir bereitet, ohne Dich, meine geliebte Jenny, und Deine Kinder zu segnen. Ich verzeihe gern meiner guten Pauline, die alle Freude, die das Bildchen meines kleinen Otto mir gemacht hat, allein auf meine Liebe zu Dir zurückführt; sie bildet sich ganz irrtümlicherweise ein, daß ich sie weniger liebe als Dich; ich mache keinen Unterschied zwischen Euch beiden, weil Ihr beide in gleicher Weise meine Liebe verdient und Eurem Vater die gleiche Zärtlichkeit entgegenbringt! — Ich freue mich der neuen Stellung, die ihr einnehmt, indem ihr nach Rosenberg übersiedelt; Werner findet dort einen segensreichen Wirkungskreis.
Ich habe mehr als einen Monat mit der Marquise (die für Dein freundliches Gedenken herzlich dankt) ruhig auf dem Lande gelebt, wo wir uns des schönsten Wetters der Welt erfreut haben; seit dem 4. d. Mts. sind wir zurückgekehrt, und ich hatte die Ungeschicklichkeit, mir eine Erkältung zuzuziehen, die mich zehn Tage lang an das Zimmer fesselte und mich hinderte, unsere liebe Pauline zu umarmen. Seit einigen Tagen entschädige ich mich dafür, indem ich sie so oft als möglich aufsuche. Gestern mußte sie ihres Auges wegen, das sich wieder verdunkelte, zur Ader gelassen werden, trotzdem fand ich sie leidlich wohl, und Du, geliebte Jenny, stehst immer im Mittelpunkt unserer Unterhaltungen. — Napoleon geht es gut, er bittet mich, Dich seiner zärtlichsten Freundschaft zu versichern; Blanqui empfiehlt sich Dir angelegentlichst, und alle lassen meiner Jenny volle Gerechtigkeit widerfahren, was mich sehr beglückt.
Der politische Horizont ist finster, mehr oder weniger überall, aber da wir nur die Werkzeuge der Vorsehung sind, wird nichts geschehen, was nicht geschehen muß, und wenn man ein gutes Gewissen hat, so kann man in Ruhe und Resignation die Dinge erwarten: "tue was Du kannst, es kommt, was kommen muß."
Es gibt mehr als eine Gelegenheit, geliebtes Kind, die mir gestattet, auf unser Wiedersehen zu hoffen, und sobald sie sich bietet, werde ich sie nicht entweichen lassen. Lebwohl, meine Jenny, ich drücke Dich an mein Herz und segne Dich und Deine Kinder.
Dein Dich liebender Vater
Jerome.
Paris, den 29. August 1851.
Meine liebe Jenny!
Mit Freuden denke ich daran, daß dieser Brief zu Deinem Geburtstage in Deine Hände gelangen und Dir meinen väterlichen Segen bringen wird, was meine Jenny, die in ihrem Herzen die Keime alles Guten und Edlen trägt, sicher glücklich macht. Küsse in meinem Namen Deine lieben Kinder: ein natürlicher Instinkt muß ihnen sagen, daß sie mich lieben müssen. — Ich überlas gerade Deinen letzten lieben langen Brief, als meine liebe Pauline mir den vom 23. schickte: zur Zeit der Feuersbrunst war ich krank und auf dem Lande; übrigens hätte ich mich des Marschall Sebastiani wegen nicht derangiert; ich habe mehr als eine Ursache, diesen Mann nicht zu lieben! ... Du mußt nicht glauben, mein liebes Kind, daß der politische Horizont unseres Frankreichs so schwarz ist, daß Jeder um unsere Existenz zittern müßte. Sei versichert: Niemand kann uns Böses tun, als wir selbst, wenn auch zugegeben werden muß, daß die Lage eine kritische ist. Ich bin gewiß, Gott wird Frankreich schützen!
Bei der Feuersbrunst habe ich von 250 Fahnen nur ... (unleserlich) verloren; die 50 Fahnen von Austerlitz befanden sich in höchster Sicherheit in meinem Kabinet, wo Du Dich entsinnen wirst, sie gesehen zu haben. Unsere liebe Pauline fährt fort, sich wohl zu befinden; die Heilung ihres Auges ist wirklich ein Wunder, und ein Wunder, das mich sehr glücklich macht, denn das geliebte Kind wäre sehr zu bedauern gewesen, wenn sie die, die sie liebt, nicht mehr hätte sehen können! Lebwohl, liebe Jenny, ich drücke Dich an mein Herz und sende Dir zu diesem Tage meine wärmsten väterlichen Segenswünsche.
Dein Dich liebender Vater
Jerome.
Paris, den 14. November 1851.
Meine geliebte Jenny!
Dein Brief hat mich gerade am Vorabend meines Geburtstages erreicht, und ich antworte Dir sofort, um Dir zu sagen, daß er nicht ein Wort enthält, das nicht den Weg zu meinem Herzen gefunden hätte! Ach, mein liebes Kind, warum müssen die Ereignisse und das Schicksal uns so weit von einander entfernen?! Ich wäre so glücklich, Deine Kinder um mich zu haben, Deinem vortrefflichen Mann zu danken für das Glück, mit dem er Dich umgiebt. Aber, liebste Jenny, irgend etwas sagt mir, daß ich nicht sterben werde, ohne Euch Alle gesegnet zu haben. Mein Leben ist recht bewegt, trotzdem ich mich zurückgezogen habe, und ich sehe, wie die Ruhe, deren ich so sehr bedarf, mir immer weiter entflieht. — Mit Freuden empfing ich das Portrait Deiner reizenden kleinen Marianne, grüße sie aufs zärtlichste von mir, ohne dabei der Anderen zu vergessen. Ich hoffe, meine Jenny, Du sprichst Ihnen oft von Deinem "alten Pathen" (weil es nun einmal so sein muß!); lehre sie, mich zu lieben, damit, wenn ich sie einmal umarmen darf, ich spüren kann, daß ihr eigener Herzschlag es ihnen sagt: kein Fremder ist es, der uns küßt!
Ich segne Dich, liebes Kind, und grüße Deinen Mann und Deine Kinder.
Dein Dich liebender Vater
Jerome.
P. S.
Ich übergebe meinen Brief Deiner guten Schwester, die mein ganzer Trost ist!
Le Havre, den 2. September 1857.
Meine liebe Jenny!
Ich beantworte Deinen Brief vom 26. vorigen Monats, der mich hier erreicht hat, wo ich seit vierzehn Tagen bin, und wo die Seeluft mir vortrefflich bekommt (Du weißt, ich nehme keine Seebäder). Ich baue sogar an einem Luftschloß, das sich hoffentlich nächstes Jahr verwirklicht: Dich mit Deinem Mann und Deinen Kindern hier her kommen zu lassen. Das würde Dich freuen, meine liebe Jenny? Ich, der ich Dein liebevolles Herz kenne, bin davon überzeugt. — Dein Brief hat mich sehr interessiert. Ich möchte nur, daß mein lieber Otto seine Gesundheit schont, die nichts jemals ersetzen kann. Ich kann mich als Beispiel anführen; ich, der ich 73 Jahre alt bin und vom Alter gar nichts spüre, und darum noch so glücklich bin, meinem Vaterland und meiner Familie zuweilen noch nützlich sein zu können. — Mein guter Napoleon assistiert im Augenblick der Grundsteinlegung der Rhone-Brücke und der ersten Eröffnung des Mont Cenis; das liebe Kind ist mein Glück und mein Stolz, und seine Liebe entschädigt mich für manche Lebensleiden. (Die gute Pauline, deren zärtliche Liebe ich kenne und die ich darum doppelt liebe, schafft sich übrigens mehr Sorgen, als vorhanden sind — sage es ihr recht deutlich.)
Sage Otto, daß man ein Duell vermeiden muß, wenn die Ehre nicht verletzt ist, daß es aber beim Beginn des Lebens auch darauf ankommt, nicht für feige gehalten zu werden — ich bin übrigens überzeugt, daß er getan hat, was zu tun notwendig war. Küsse ihn und Deine anderen Kinder von mir.
Ich umarme Dich zärtlich.
Dein Dich liebender Vater
Jerome.