Im Schatten der Titanen. Braun Lily
als hätte ich eine Schlacht gewonnen. Man umgibt mit Sorge und Liebe dieses nutzlose Leben, das zwischen Bett und Lehnstuhl hin und her vegetiert. Wenn diese Zeilen Dir Tränen erpressen, — ich kann's nicht ändern, ich kann nicht anders schreiben, und Du weißt ja, daß ich nicht sterben werde! Du darfst auch nicht daran denken, herzukommen. Du kennst meinen Grundsatz meinen Töchtern gegenüber: daß ihre erste und heiligste Pflicht sie neben ihre Gatten und ihre Kinder stellt. In meinem Zustand wirken auch Schmerz und Freude gleichmäßig stark auf mich; erlaubt man jemand bei mir einzutreten, den ich lange nicht gesehen, so ergießt sich ein Strom von Tränen aus meinen Augen, und dann kommt das Fieber. Vielleicht werden Monate, Jahre über meine tiefeingewurzelte Krankheit vergehen — wie könntest Du darüber auch nur eine Deiner nächsten Pflichten vernachlässigen, während ich nichts brauche als Ruhe, Stille und Einsamkeit .... Ach, könnte ich von dort oben zu Dir hinuntersehen, dann hättest Du den schönsten Trost: meine Mutter hat die dunkle Schranke überschritten, sie ist dort, wo mein Wunsch und mein Gebet sie hingeleitete.
Ich schließe, meine Jenny, meine geliebte Tochter, denn kein Wort könnte ich äußern, das nicht das Echo eines kranken Körpers und einer tieftraurigen Seele wäre. Bete für mich, mein Kind, aber bete nicht, daß der Gott der Güte mir dies Leben erhalten möchte, das auf mir lastet und immer auf mir lasten wird ...
Briefe der Nonne mère Marie de la Croix (Gräfin Pauline Schönfeld) und des Königs Jerome Napoleon
Paris, den 5. Februar 1848.
Im Augenblick verlasse ich meinen teuren Vater, meine liebste Schwester, und ich beeile mich, mit Dir zu reden; da dieser beste Vater mir sehr ans Herz gelegt hat, Dich nicht lange ohne Antwort zu lassen — ein überflüssiger Rat, denn meine Liebe zu Dir würde mir nicht gestatten, Dir nicht so rasch als möglich von demjenigen zu sprechen, der uns so sehr liebt, und dem ich so viel an Liebe weihe, als mein Herz zu geben imstande ist. Deinen Brief, meine Jenny, erwartete ich mit größter Ungeduld, denn jedesmal, wenn ich unseren geliebten Vater sah, frug er danach; er schien zu ahnen, daß dieser Brief seinem Herzen wohl tun würde. Und das geschah, meine geliebte Schwester: ich wollte, Du hättest seine tiefe Bewegung sehen können, als er von den warmen Gefühlen erfuhr, die für ihn in Deinem Herzen Eingang zu finden scheinen; große Thränen füllten seine Augen, und von Zeit zu Zeit wiederholte er: "So werde ich denn auch die Liebe meiner Jenny besitzen! Und Dir, meine Pauline, verdanke ich dieses Glück! O sage es Deiner Schwester, daß sie einen Vater hat, der sie zärtlich liebt und der sehr darunter gelitten hat, sich ihrer Nähe und ihrer Zärtlichkeit nicht erfreuen zu dürfen!" Du wirst gut tun, meine Jenny, ihm selbst zu schreiben, sein Vaterherz würde dafür sehr empfänglich sein. Ja, meine Jenny, wir müssen uns bemühen, ihn mit allem erdenklichen Glück zu umgeben; das ist eine Pflicht, deren Erfüllung unser Engel von Mutter vom Himmel herab von uns verlangt. Unser Vater sagt von ihr, daß sie eine Frau ohne Gleichen gewesen wäre und er ihr immer das zärtlichste Andenken bewahrte.
den 6. Februar.
Wenn Du an Papa schreibst, so adressiere den Brief an mich; ich kann Dir seine Adresse nicht geben, weil er in wenigen Tagen seine Wohnung zu wechseln gedenkt. Es ist keine Rede davon, daß er sich etwa in der Nähe von Paris ankauft; er hat noch keine festen Pläne, solange seine Geschäfte nicht ganz geregelt sind. Alle Welt scheint ihm wohl gesinnt, aber die Welt ist zuweilen falsch, darum ist er in großer Unruhe, bis das Gesetz von der Kammer angenommen ist. Sobald die Entscheidung fällt, teile ich sie Dir mit. Ich hoffe sehr, daß die Pension, die er fordert, ihm bewilligt wird, denn unser guter Vater lebt auf großem Fuß, will immer schenken und helfen und Andere glücklich machen. Für sich selbst braucht er fast nichts, aber Anderen gegenüber ist er von einer beinahe zu großen Generosität. Was Napoleon betrifft, so ist er der beste Sohn, der sich denken läßt; kein Tag vergeht, ohne daß er seinen Vater, den er vergöttert, sieht; er arbeitet viel und sucht seinem Vater alles Unangenehme aus dem Wege zu räumen; da es aber keine vollkommenen Wesen giebt, so amüsiert er sich und macht leider viel von sich reden, was unseren Vater sehr beunruhigt. "Aber," so sagt Papa, "meine Predigten packen ihn nicht, weil das Beispiel fehlt, das ihnen Gewicht geben könnte! Die Sünden der Jugend, die wir an unseren Kindern büßen!" Napoleon hat ein weiches Herz, was für Papa notwendig ist, da er es sehr gern hat, von seinen Kindern zärtlich behandelt zu werden. Mathilde ist der Gegensatz ihres Bruders, sie ist kalt, vor allem ihrer Familie gegenüber. Sie scheint nichts zu lieben als ihre Freiheit, besucht den Vater nur an seinen Empfangstagen und hat keinerlei Bedürfniß, ihn allein zu sehen; sein Kommen und sein Gehen ist ihr vollkommen gleichgültig. Sie ist eine reizende Salondame, sehr graziös, die überall gefällt, und bei der das Amüsement an Stelle jeder Art von Herzensbeziehungen tritt. Papa sagt, daß ihr Charakter dem von Napoleon, dem Deinen und dem meinen vollkommen entgegengesetzt ist, und weder ihm selbst noch ihrer Mutter gleicht. Er hofft, daß sie sich in einigen Jahren geändert haben wird. Während der zwei Jahre ihrer Ehe war sie so unglücklich, daß sie jetzt nichts so genießt als ihre Freiheit. Glücklicherweise hat sie keine Kinder ... In diesem Moment ist von Papas Familie nur Prinz Paul von Württemberg, sein Schwager, in Paris; er sieht ihn oft. Papa ist so gut, daß alle Menschen, die ihn kennen, ihn lieben; er will nichts anderes, als Allen Gutes tun, die ihn umgeben.
8. Februar.
Ich sah Papa soeben, der, wie immer, viel von Dir gesprochen hat: "Wie wären wir glücklich," sagte er, "wenn Jenny, als die dritte, unter uns sein könnte. Es gehört zu meinen größten Entbehrungen und zu den schmerzhaftesten Strafen für meine Sünden, daß ich nicht mit Euch zusammen leben kann!" Mathildens Kälte läßt Dich uns doppelt vermissen! ... Ich sehe jetzt häufig Frau Duperré, die sehr an Papa hängt, und für die Papa eine dauernde, aufrichtige Dankbarkeit empfindet. Sie läßt Dich aufs herzlichste grüßen. Laß uns nicht lange auf einen Brief warten, der für Papa ein Herzensbedürfniß ist ... Jedes Mal, wenn wir zusammen sind, fühlen wir, daß Du uns fehlst; wir würden uns so gut verstehen, und Papa würde so glücklich sein! Er kommt alle anderen Tag zu mir und wiederholt mir stets, daß seine besten Augenblicke die sind, die er bei mir verlebt. Gestern war Papa beim König, der ihn und Napoleon sehr liebenswürdig empfangen hat. Napoleon, der die gegenwärtige Regierung nicht liebt, widersetzte sich zuerst, hin zu gehen, als aber Papa bemerkte: wer das Ziel will, muß auch den Weg wollen, erklärte er sofort, seinem Vater zu Liebe wolle er nachgeben. Sein Verdienst hierbei ist um so größer, als er für gewöhnlich einen eisernen, unbeugsamen Willen hat ...
Paris, 15. März 1848.
Eben erhalte ich Dein Brief, meine geliebte Schwester, und gleich setze ich mich zum Schreiben nieder, denn um Dir eingehend zu schreiben, brauche ich mehrere Tage. Das Schreiben wird mir sehr schwer und bei jedem Brief zittere ich, daß es der letzte sein könnte, den ich zu schreiben imstande bin ... Ich war recht in der Sorge um Dich, da ich aus unseren Zeitungen erfuhr, daß auch in Deutschland und zwar besonders in Preußen die Revolution ausgebrochen ist; Papa ließ jeden Tag, an dem er mich nicht selbst sehen konnte, nach Nachrichten von Dir fragen, so groß war seine Sorge in dem Gedanken, daß Preußen wie unser armes Frankreich in fieberhafter Unruhe lebt. In diesem Augenblick ist es ruhig in Paris, aber die Zukunft ist recht dunkel; der Handel liegt darnieder, die Finanzen stehen schlecht; man sieht nichts als ruinierte oder unglückliche Menschen. Ich bedaure auch von ganzem Herzen die arme Herzogin von Orleans, die sich in ihrem Unglück so tapfer und edel gezeigt hat; — freilich glaube ich, daß sie glücklicher sein wird, als sie auf dem Throne gewesen wäre! Ich gebe Dir keine politischen Details, ich sage Dir nur, daß alle Welt traurig ist und vor den Wahlen und vor der Nationalversammlung zittert. Papa und Napoleon haben sich, Gott sei Dank, in nichts eingemischt und werden es auch ferner nicht tun; Papa hat den Posten eines General-Gouverneurs der Invaliden abgelehnt. Man hatte ihm auch eine Stellung innerhalb der provisorischen Regierung angeboten, aber er will zu meiner Freude nichts annehmen. Ich wäre vor Angst gestorben, wenn ich ihn in diesem Augenblick in einflußreicher Stellung hätte sehen müssen. Er denkt nicht daran, Paris zu verlassen, weil, wie er sagt, sein Herz fern von mir zu sehr gelitten haben würde. Sieben Tage lang konnten wir uns nicht sehen, weil die Barrikaden jede Kommunikation unmöglich machten. Unsere erste Zusammenkunft nachher hat