Im Schatten der Titanen. Braun Lily

Im Schatten der Titanen - Braun Lily


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in Ihren Händen sein. Ich reise morgen früh nach Kassel und Fulda. In sechs Tagen hoffe ich wieder hier zu sein und eine Menge Briefe von Ihnen vorzufinden .... Ich habe viele gute Bücher eingepackt, die ich nach Weimar schicke, damit sie uns nächsten Winter recht unterhalten mögen. Ich fühle mehr denn je, daß der Geist immer beschäftigt werden muß, wenn wir nicht in Gefahr geraten sollen, in unserer Entwickelung zurückzugehen, wovor uns Gott behüten möge. Ich treffe hier alle Vorbereitungen, daß, wenn ich im Oktober oder November auf acht Tage zurückkehren muß, Sie mich begleiten können und gut untergebracht sind ...

      Schreiben Sie mir bitte recht genau, wie Ihr Befinden ist! Sehen Sie zuweilen meinen Freund Laffert? Rät er Ihnen nicht, das Tanzen, als ein frivoles, für ein junges Mädchen gefährliches Vergnügen, aufzugeben? Welche Vergnügungen haben Sie nicht, während ich es bitter empfinde, von Ihnen getrennt zu sein ...

      Ein kleiner Spaziergang in den Feldern hat mich eben zu einem Platze geführt, wo ich vor vier Jahren begonnen hatte, einen Garten, eine Einsiedelei, kurz einen Raum zu verwirklichen, so wie er Ihnen gefallen würde. Das Herz klopfte mir: als ich Stammen verließ, um in Weimar Dienst zu tun, mußte ich eine Unternehmung vernachlässigen, die mir so viel Freude gemacht und von der ich mir so süße Freuden versprochen hatte; die Mauer war schon zur Hälfte aufgeführt, da befahl ich, die Arbeit zu unterbrechen, weil ich nicht mehr zurückzukehren glaubte; jetzt, da ich mich mit einer so liebenswürdigen Frau verbinden will, schlich sich der Wunsch, sie wieder aufzunehmen, leise in mein Herz. Wie glücklich wäre ich, Sie mir zur Seite zu sehen in dem Lande, wo ich geboren bin! Der Gedanke, daß Sie zu jung sind, um den Zerstreuungen der Welt zu entsagen und auf dem Lande zu leben, stimmte mich traurig, und ich sah, daß man nicht alles zusammen wünschen und haben kann. Wenn Sie zum mindesten diesem Lande so viel Geschmack abgewinnen könnten, um den Sommer hier zuzubringen! Dann hätte Weimar im Winter stets neuen Reiz für uns beide. Das Land ist schön, man würde mit braven Menschen leben, man genösse all das, was ich besitze, ohne jetzt irgend etwas davon zu haben: die Jagd, die Fischerei, die Gärten, die Früchte bis hinab zu den kleinsten Bedürfnissen des Lebens. O laß uns leben und lieben, wie unsere guten Vorfahren hier lebten und liebten! Entschließen wir uns dazu, uns in ein paar Jahren hier zurückzuziehen! Wollen Sie? Geben Sie mir diese Hoffnung und glauben Sie denen nicht, die Ihnen sagen werden, daß Sie für das Landleben nicht geschaffen sind. Sie haben Geist genug, um mit einem Gatten, der Sie zärtlich liebt, überall leben zu können. Während meines Lebens habe ich mich immer in den süßen Illusionen einer vagen Hoffnung gewiegt; seitdem ich Ihnen verlobt bin, beginne ich an ihre Wirklichkeit zu glauben. Mein Schicksal ist entschieden; ich bin glücklich; wer aber wollte dann nicht dort leben, wo er die meisten Freunde hat, wo er geboren ist — in der Heimat! Wir können leicht auf alle Karriere verzichten, wenn der Ehrgeiz und die Freuden der großen Welt uns nicht verführen, die oft nichts als Reue hinterlassen oder nur vorübergehende Vergnügungen bringen, bei denen Geist und Herz leer bleiben ..."

      Aus einem Bilde der Zeit, zu dem meine Augen hinüberschauen, lächelt der üppige kleine Mund der Braut, eines entzückenden, kaum achtzehnjährigen Mädchens mit tief in die Stirn fallendem blondem Kraushaar mir entgegen. Diesen Brief, diesen einzigen Brief bewahrte sie von dem, der ihr Gatte wurde, ihr Leben lang.

      Im Schlosse der Eltern in Ollwiller im Elsaß, zu Füßen der alten Ruine Freundstein, der ihr Geschlecht seinen Namen verdankte, war sie im Jahre 1788 geboren worden. Wieso sie nach Weimar kam und Maria Paulownas, der jungen Erbgroßherzogin Hofdame wurde, weiß ich nicht. Kaum zwei Jahre scheint sie dort gewesen zu sein. Im Herbste 1806 heiratete sie den mehr als 20 Jahre älteren Pappenheim, ein Jahr darauf, als ihr erster Sohn geboren worden war, erreichte ihren Gatten das Dekret des Königs von Westfalen, das an alle im Auslande lebenden Kurhessen erging, bei Androhung der Einziehung seiner Güter nach Westfalen zurückzukehren. Was Pappenheim von seiner Braut vergebens erfleht, von seiner Frau vergebens verlangt hatte, Jeromes Befehl sollte es erzwingen: das Leben in der Heimat.

      Anders freilich, als er es sich geträumt hatte: statt in den stillen Frieden des ländlichen Besitzes führte der Weg in die rauschenden Feste des Kasseler Hoflebens. War es sein Ehrgeiz, war es ihre Lebenslust, die solche Entscheidung traf, — wer weiß es? Im Sommer 1808 kam er mit seinem kleinen Sohn und seiner hochschwangeren Frau, die im September ihrem zweiten Sohn das Leben gab, nach Kassel.[56] Bereits im Winter danach muß das Pappenheimsche Paar am Hof erschienen sein, und die junge Frau mit der herrlichen Gestalt, der schneeweißen Haut, den lachenden blauen Augen und jenem unbeschreiblichen Liebreiz, der weniger in der Regelmäßigkeit der Züge als in der Anmut des ganzen Wesens bestand, muß schon bei ihrem ersten Auftreten die Aufmerksamkeit aller auf sich gezogen haben. Ihre Jugend allein, die der künstlichen Mittel nicht bedurfte, um zu bezaubern, stellte die älteren Damen des Hofes in den Schatten und reizte ihren Neid. Bei Gelegenheit eines Maskenballes, am 5. Februar 1809, erlaubte sich eine von ihnen unter dem Schutze der Maskenfreiheit, Herrn von Pappenheim mit seiner so viel jüngeren Frau zu necken; Gräfin Truchseß, so berichtete der Allerweltsgeschichtenträger Reinhard nach Paris, machte aus dem Spaß eine große Klatschgeschichte, die dem König zu Ohren kam und wohl bösartiger Natur gewesen ist, denn bereits am 16. Februar erhielt die ebenso ehrgeizige wie eitle Frau den Befehl, den Hof auf immer zu verlassen,[57] Pappenheim aber wurde zum Grafen und zum ersten Hofmarschall ernannt, während Diana als Palastdame in den Hofstaat der Königin eintrat.[58]

      Ein Nervenleiden, das Pappenheim bereits 1795 gezwungen hatte, den Soldatendienst als Major der kurhessischen Leibgarde aufzugeben und sich einige Jahre in der Stille von Stammen zu erholen, machte sich inzwischen wieder geltend; und neben ihm, dem alternden kranken Mann, sah Diana in der Blüte ihrer Schönheit und Jugend den jungen strahlenden König. War es ein Wunder, daß ihr Herz sich ihm hingab, vielleicht lange, bevor sie es sich selbst gestand? Daß sie sich wehrte gegen die erwachende Leidenschaft, daß sie dem heimlichen Werben des Königs aus dem Wege ging, dafür zeugt ein Bericht Reinhards aus dem Jahre 1809. Nach der Rückkehr des Königs aus Sachsen, so erzählten die bösen Zungen in Kassel, sollte es zu einer Einigung zwischen beiden gekommen sein. "Die Abreise der Gräfin nach Weimar," so fügt Reinhard hinzu, "straft das Gerücht Lügen." Sie kehrte erst zurück, nachdem die Königin wieder in Kassel eingetroffen und Pappenheim aus Aix-la-Chapelle, wo er Genesung gesucht hatte, heimgekehrt war. "Noch kann man also," schloß der alte Zyniker seinen Bericht, "an die Tugend der Gräfin glauben."[59]

      Im März 1810 begleitete sie die Königin nach Paris. Ihr Mann jedoch wird im Gefolge des Königs nicht genannt. Der Glanz des Pariser Lebens, wo ein Zauberfest das andere jagte, die lachenden Frühlingstage, die bis in den Juni hinein eine Schar fröhlicher, junger Menschen auf Frankreichs glücklicher Erde festhielt, enthielten jene süße berauschende Luft, in der die Blume der Leidenschaft rasch emporblüht und sich wundervoll entfaltet. Niemand freilich wußte davon, die Lästerzungen schwiegen, auch als es wieder heimwärts ging nach Kassel, erwähnte Reinhard in seinen Berichten den Namen der Gräfin Pappenheim nicht, nur von der zunehmenden Krankheit ihres Mannes war hier und da die Rede.[60] Da kam der trübe Winter 1810/11 nach der Zurücknahme Hannovers durch den Kaiser. Vor allen Festen fliehend, zog sich das Königspaar mit wenigen Getreuen, unter ihnen Diana von Pappenheim, nach Napoleonshöhe zurück. Hier, wo sie des Königs zerrissene Seele sah, wo zu der großen Liebe jene Empfindung hinzutrat, die dem Weibe die letzten Waffen nimmt, — das Mitleid —, öffnete sich ihm ihr Herz. In dem kleinen Landhaus Schönfeld, zwischen Kassel und Napoleonshöhe, trafen sich die Liebenden und vergaßen im Feuer ihrer Leidenschaft den harten Winter, der draußen mit starren Fingern an die Fenster klopfte, und das eisige Schicksal, das alle Blumen der Hoffnung zu knicken drohte.

      Am 7. September 1811 brachte Diana das Kind ihrer Liebe zur Welt: Jenny, die Jerome über die Taufe hielt und die, da der Gatte Dianens noch nicht von ihr getrennt lebte, als seine eheliche Tochter anerkannt wurde. Bis dahin hatten selbst die böswilligsten Lästerer das Geheimnis von Jeromes und Dianens Liebesbund nicht zu entdecken vermocht, das Kind mit den leuchtenden, dunkeln Augen, der gelblichen Haut, dem fein geschwungenen Näschen war seine Offenbarung. War es wohl auch sein Händchen, das den unglücklichen Pappenheim, dessen Geist sich mehr und mehr umnachtet hatte, in das Dunkel stieß, aus dem es ein Entweichen nicht mehr gab? Diana geleitete den Schwerkranken nach Paris und blieb bei ihm, bis die Ärzte ihr keine Hoffnung mehr gaben. Welche Qualen mögen sie gefoltert haben in dieser Zeit, wie zerrissen mag ihr


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