Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild. Gustav von Bodelschwingh

Friedrich v. Bodelschwingh: Ein Lebensbild - Gustav von Bodelschwingh


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Reue flehe ich daher für alle meine Verirrungen um Eure Verzeihung und versichere Euch vor Gott, daß in diesem Augenblick wenigstens die wärmste Liebe und Dankbarkeit gegen Euch mein Herz erfüllt und daß es mir unendlich schwer fällt, nur diesen schriftlichen Abschied von Euch nehmen zu können. Ach, ich bin Eurer Verzeihung ja gewiß; möchte ich ebenso gewiß der göttlichen Verzeihung sein können! Fleht für Euren armen sündigen Sohn, daß ihm Gnade werde!

      Meine Geschwister beschwöre ich, daß ihnen mein Tod eine ernste Warnung fürs ganze Leben sein möge, die Sünde zu fliehen und einen ernsten, Gott wohlgefälligen Wandel zu führen. Ja, werdet Ihr alle der Trost meiner armen Eltern, liebt und verehrt sie und bedenkt, daß Ihr das nie wieder gutmachen könnt, was Ihr an ihnen verschuldet! Vergeßt nie die letzte Bitte Eures Bruders, der Euch beschwört, daß Ihr Euer ganzes Leben hindurch unsern teuern Eltern Freude bereiten möget und dadurch einen Teil der großen Schuld abtragt, die auf mir in dieser meiner letzten Stunde so schwer lastet.

      So lebt denn zum letzten Male wohl, mein lieber guter Vater, meine innig geliebte Mutter, und Ihr alle, meine teuren Geschwister, und betet für Euren unglücklichen Sohn und Bruder Ludwig.” Diesen letzten Teil des Briefes schrieb sich jedes der Geschwister ab und führte ihn in seiner Bibel bei sich.

      Zum siebenten Mal seit der Verwundung 1813 erkrankte der Vater an der Lungenentzündung. Neun Tage und Nächte hindurch brachte die Mutter an seinem Bett zu. Mehrere Male fanden die Kinder sie nebenan auf den Knien liegend. Der König schickte seinen Leibarzt. Am neunten Tag, als die Krisis eintrat, glaubte der Arzt, daß sich die Krankheit zum Tode neige. Er trat in das Zimmer, wo die Kinder auf die Nachricht des Arztes warteten. Der Arzt stand vorn, die Mutter etwas hinter ihm. Während der Arzt den Kindern mitteilte, daß ihr Vater nur noch kurze Zeit zu leben haben würde, schüttelte die Mutter hinter ihm leise lächelnd mit dem Kopf. Das sah Franz, der Älteste, und konnte sich eines zuversichtlichen Lächelns nicht erwehren. Nicht wenig befremdet über den gefühllosen Sohn verließ der Arzt das Haus. Aber die Mutter, die aus vielfacher Erfahrung heraus auf dem Gesichte des Kranken die Wendung, nicht zum Tode, sondern zur Genesung gesehen hatte, behielt recht.

      Kaum hergestellt, hatte der Minister auf dem ersten vereinigten Landtage der preußischen Provinzial-Abgeordneten die Krone zu vertreten. Heinrich von Treitschke, der Geschichtsschreiber Preußens, sagt darüber: „Eben von schwerster Krankheit genesen, fast allein, selbst ein parlamentarischer Neuling, bot v. B. dieser stürmischen Versammlung die Stirn. Es ergab sich, daß er allein unter allen Ministern ein ungewöhnliches Rednertalent besaß. Höchst unscheinbar gekleidet, fiel er sogleich auf durch seine hohe kriegerische Gestalt und durch den treuherzigen Blick seiner offenen großen Augen. Ursprüngliche Kraft, unschuldige Frische sprachen aus seinem ganzen Wesen, und General von Gerlach, der einen „liberalen” Minister durchaus nicht liebte, sagte wohl: „So ungefähr muß Adam ausgesehen haben.” Der letzte hervorragende Vertreter des alten absolutistischen Beamtentums, hielt er sich verpflichtet, die Willensmeinung des Königs, sofern sie nur dem Rechte nicht offenbar widersprach, mit der ganzen Selbstverleugnung des altgermanischen Vasallen zu verteidigen. Er hatte bei der Beratung des Patents immer wieder und wieder Bedenken hervorgehoben, die ihm sein schlichter Geschäftsverstand aufdrängte, aber der Monarch hatte gesprochen, und an seinem Willen ließe sich nichts mehr ändern.”

      In der westfälischen Heimat. 1848 - 1849.

      Dreiviertel Jahre später, 1848, brach die Revolution aus, und Bodelschwingh erhielt seine Entlassung. In tiefstem Schmerz trat er den Weg in die westfälische Heimat an. In Minden auf dem Bahnhof wurde der verabschiedete Minister erkannt, und ein Mann spottete hinter ihm her: „Oller Ex, oller Ex.” „Laßt ihn spotten,” sagte er zu seinen Kindern, „es ist uns gut so.”

      Der König erwog ernstlich, Bodelschwingh als leitenden Minister zurückzurufen, und richtete eine Vorfrage an ihn, ob er bereit wäre zu kommen. Bodelschwingh aber lehnte in einem ausführlichen Schreiben ab. Diese Tatsache widerlegt stärker als alles andere den später gegen Bodelschwingh erhobenen Vorwurf, als hätte er am 19. März die Zurückziehung der Truppen veranlaßt. Nie würde Friedrich Wilhelm IV. einen Minister zurückgerufen haben, dem er die tiefe Demütigung der königlichen Würde zur Last legen mußte, die eine Folge der Zurückziehung der Truppen war.

      Zeitweise beschäftigte den verabschiedeten Minister der Gedanke, mit den Seinen nach Amerika auszuwandern. Aber dann entschloß er sich, die heimatliche Scholle zu pflügen, und gerade jetzt nach den schmerzlichen Erlebnissen brach die glücklichste Zeit für die Familie an. Das alte Gutshaus in Velmede war schon vor den Freiheitskriegen abgebrochen worden und hatte längst durch ein neues ersetzt werden sollen. Da aber infolge des Krieges ein großer Teil des Vermögens verloren gegangen war, so war der Neubau bis jetzt unterblieben. Nur die alte, strohgedeckte Wagenremise stand noch, die sich einst die Eltern des Ministers zum Wohnhaus eingerichtet hatten und in der jetzt der Förster wohnte. Hier zog nun die Familie ein.

      Bald ging es an den Bau eines einfachen einstöckigen Landhauses, an das Zuschütten des alten Hausgrabens und an die Einrichtung des neuen Blumen- und Obstgartens. Überall legten der Vater und seine Söhne selbst mit Hand an. Dazwischen aber tauchten all die alten Freuden aus Koblenz und Berlin wieder auf. In der Seseke, dem kleinen Fluß, der das Gutsland durchschnitt, wurde geschwommen, gefischt und gerudert; auch die Jagdflinte wurde wieder über den Rücken geworfen und mit dem geliebten Vater um die Wette das Land in die Länge und Breite durchstreift.

      Aber inzwischen mußten weitere Schritte ins Leben hinein getan werden. Der Konfirmationsunterricht bei dem Hofprediger Snethlage in Berlin war unterbrochen worden. So brachte der Vater den nun schon siebzehnjährigen Friedrich nach Unna. Pastor von Velsen, als Mensch und als Christ eine gleich anziehende Persönlichkeit, wollte den Primaner nicht mit den so viel jüngeren Konfirmanden zusammen unterrichten und gab ihm auf seinem Zimmer die Konfirmationsstunden. „Das waren selige Wege nach dem lieben Unna hinaus,” schrieb er, „und tiefer als die Konfirmationsfeier selbst blieben diese Stunden in der Seele haften.”

      Dann kam die Aufnahme in das Gymnasium zu Dortmund. Aber heimisch wurde er hier nicht. Dazu war die Heimat zu nah. Einige Male machte er am Sonntag zu Fuß den weiten Weg von Dortmund nach Unna, um den Konfirmator wiederzusehen, dessen Predigten ihm mehr zu Herzen gingen, als es sonst ein menschliches Wort bis dahin getan hatte. Aber für gewöhnlich ging es mit den Brüdern Franz und Ernst jeden Sonnabend Nachmittag auf Fußwegen quer durch die Felder die drei Stunden weit zu Eltern und Geschwistern nach Velmede. „Dabei begegnete es mir einmal,” erzählt er, „als das Elternhaus aus der Ferne winkte, daß ich mich wiederholt umblickte, weil es mir vorkam, als ob ein Reiter auf dem schmalen Fußpfade hinter mir her galoppierte, bis ich erkannte, daß es mein eigenes Herz war, welches so laut vor Freude und Wonne klopfte beim Anblick des geliebten Vaterhauses.” Und am letzten Busch kamen Vater und Mutter und die beiden Schwestern Frieda und Sophie den Brüdern entgegen. Dann ging es gemeinsam ins Elternhaus, das vorher nie so genossen worden war als jetzt, wo die Söhne nicht jeden Tag darin zubringen konnten.

      Am Sonntagmorgen stand der Vater, der in gesunden Tagen nie den Gottesdienst versäumte, für den Weg in die Kirche nach Methler bereit, und die Kinder folgten ihm, während die Mutter sich alle vierzehn Tage mit den Mägden abwechselte. Am Nachmittag ging es dann unter die Eichen des Mühlenbruchs, wo die Söhne einen lauschigen, stillen Sitzplatz für die Eltern und Schwestern errichtet hatten und wo nun an dem flackernden Feuer die Kartoffeln geröstet wurden. „Wie konnte der Vater jubeln durch den Mühlenbruch wie ein Kind!” schreibt der Sohn. Und in einem Brief der Tochter Sophie heißt es: „An jeder Blume, jedem Blatt und Strauch hatte er seine kindliche Freude. Es ist ja auch ein wahrhaft erfrischender Anblick, den Mann zu sehen, der durch alle Unnatur der Welt, alle Schlechtigkeit und Niedrigkeit der Menschen, alle die ertötendsten Geschäfte des täglichen Lebens und durch viel bittere Enttäuschungen sich hindurchgerettet und sich den reinen, heiteren, ungetrübten Sinn eines Kindes zu erhalten gewußt hat. So heiter, frisch und kräftig habe ich ihn eigentlich noch nie gekannt.”

      Ostern 1849 entließ das Gymnasium in Dortmund den jungen Friedrich von Bodelschwingh mit dem Zeugnis der Reife. Da er nur ein halbes Jahr in Berlin und nur ein Jahr in Dortmund die Prima besucht hatte, so würde er am liebsten noch


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