GEFAHR IN DER TIEFE. Jonathan Green

GEFAHR IN DER TIEFE - Jonathan  Green


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kurz nach ihr. Das reichte vollkommen aus, um das Interesse eines Mannes wie Ulysses Quicksilver zu wecken. Er brauchte noch nicht einmal seinen unheimlichen sechsten Sinn bemühen, um zu erkennen, dass etwas Merkwürdiges vor sich ging.

      »Captain McCormack, vielen Dank für den wundervollen Abend«, sagte Ulysses, während er seine Serviette auf den Tisch legte. »Wenn Sie auch mich bitte entschuldigen würden.«

      »Wirklich, Mr. Quicksilver? Das ist aber eine Schande.« Es war Carcharodon, welcher den Einwurf machte. »Sie haben uns noch nicht mit der Geschichte über Ihren Auftritt bei den Geschehnissen im Hyde Park ergötzt. Ich hoffte, Sie lassen uns nicht zu lange darauf warten.«

      »Die Nacht ist noch jung, Carcharodon«, erwiderte Ulysses, während er in Richtung Tür ging. »Ich komme wieder. Bitte, bleiben Sie ruhig sitzen.«

      »Ulysses?«, lallte Glenda angetrunken und ungläubig.

      »Lassen Sie sich Ihr Glas auffüllen, Glenda. Ich bin schneller zurück, als Sie denken.«

      Ulysses verließ den Bankettsaal, ging durch das Vorzimmer, in welchem die Gäste des Captains früher am Abend ihre Aperitifs zu sich genommen hatten, und in den Korridor dahinter. Dieser Bereich des Schiffes war exklusiv den VIP-Gästen vorbehalten, entsprechend leer fand Ulysses ihn vor. Allerdings konnte er zwei Stimmen hören. Die Worte waren jedoch durch die Entfernung, die Teppiche und die Vorhänge gedämpft und somit zusammenhanglos. Der Klang und die Betonung machten jedoch deutlich, dass die beiden nicht fröhlich über die Freuden einer Seereise diskutierten.

      So leise wie möglich schlich Ulysses durch den Korridor auf die Abzweigung zu, hinter welcher die beiden Stimmen erklangen. Er hatte die Stelle fast erreicht, als der Streit stoppte. Hätte sein aufflackernder sechster Sinn ihn nicht gewarnt, wäre er direkt in den aufgebrachten Professor Crichton gelaufen, als dieser um die Ecke stürmte.

      Der Professor war offensichtlich überrascht, Ulysses zu begegnen. Weder seinen erschrockenen Gesichtsausdruck konnte er verbergen, noch sein überraschtes Aufkeuchen.

      »Entschuldigen Sie, Professor Crichton«, sagte Ulysses, welcher sich als Erster wieder gefangen hatte. »Fast hätte ich Sie nicht gesehen. Ich dachte, Sie hätten sich für den Abend zurückgezogen.«

      »Genau das habe ich. Gute Nacht, Sir.«

      Damit drückte sich der Professor an Ulysses vorbei und hastete den Korridor entlang. Einen Moment später tauchte Lady Denning in seinem Kielwasser auf.

      »Lady Denning, was für eine schöne Überraschung. Sie scheinen sich verlaufen zu haben. Kann ich Ihnen helfen, zu Ihrem Zimmer zurückzukehren?«

      Der stürmische Gesichtsausdruck der älteren Frau schwankte und brach schlussendlich unter Ulysses verschmitzt-charmantem Lächeln zusammen. Ohne sich auch nur im Ansatz zu erklären, musterte sie ihn schnell vom Kopf bis zu den Füßen.

      »Zwanzig Jahre früher vielleicht, Mr. Quicksilver. Aber nicht heute Nacht.«

      Es war nicht zu leugnen, dass sie eine attraktive Frau war. Attraktiv in der Art einer reifen Frau, die einst mehr als nur verlockend gewesen war, dachte Ulysses. Lord Denning hatte offensichtlich genauso gedacht.

      »Sehr wohl, Eure Ladyschaft. Und bitte nennen Sie mich Ulysses«, räumte er ein. »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«

      »Ihnen auch, Mr. Quicksilver.«

      Ulysses drehte sich um und blickte Professor Crichton und Lady Denning nach, welche den Flur entlang zu ihren jeweiligen Zimmern eilten. Er musste daran denken, dass seine verstorbenen Eltern wohl im gleichen Alter wie die beiden gewesen wären. Das war vielleicht ein seltsamer Gedanke, aber etwas an diesem zankenden Paar hatte an einer Erinnerung in seinem Kopf geklopft. Eine entfernte Erinnerung.

      Auch wenn er den Inhalt des Streitgesprächs nicht herausgefunden hatte, wusste er nun zumindest etwas Neues über die beiden Biologen. Es gab eine Geschichte zwischen den beiden. Sie waren alte Bekannte. Und beide hatten offensichtlich kein Interesse daran, diese Bekanntschaft neu aufleben zu lassen.

      Kapitel 3

       Wasserwelt

      Der Abend setzte sich mit der gleichen Stimmung wie in den vorangegangenen Stunden fort, mit dem einzigen auffallenden Unterschied, dass sowohl Lady Josephine Denning als auch Professor Maxwell Crichton nicht mehr anwesend waren. Nachdem seine direkten Tischnachbarn rechts und links den Tisch verlassen hatten, fand sich Captain McCormack plötzlich ohne Gesprächspartner wieder und blickte verloren und unbehaglich drein. John Schafer war zu sehr mit seiner zukünftigen Ehefrau beschäftigt, um höflichen Smalltalk mit dem Captain zu halten. Dr. Ogilvy hingegen hatte anscheinend sein persönliches Ziel damit erreicht, eine Flasche Portwein im Alleingang zu leeren. Der Captain wirkte sichtlich erleichtert, als ihm ein Crewmitglied entschuldigend eine Nachricht überbrachte. Mit einer Dessertgabel klopfte Captain McCormack an ein leeres Weinglas und richtete somit die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich.

      »Ich entschuldige mich für die Unterbrechung«, sagte er. Sein ruhiger schottischer Akzent füllte den Raum mit sanfter Autorität. »Ich wurde soeben darüber informiert, dass die Neptune in Kürze abtauchen wird. Die nächste Etappe unserer Reise in Richtung Pacifica wird unter Wasser stattfinden.«

      Ein Gemurmel freudiger Erwartungen ging durch den Raum.

      »Für diejenigen unter Ihnen, die die Gelegenheit beim Tauchgang nach Atlantic City verpasst haben: Auf dem Promenadendeck kann man dem Erlebnis des Tauchgangs auf spektakuläre Art und Weise beiwohnen, während man einen kleinen Verdauungsspaziergang macht.«

      Die Gäste nahmen dies als Stichwort zur Beendigung der Mahlzeit, erhoben sich und machten sich auf den Weg aus dem vergoldeten Speisesaal.

      Als Ulysses sich von seinem Stuhl erhob, klammerte sich Glenda an seinen Arm. »Ich finde Mondscheinspaziergänge so romantisch. Sie nicht auch, Ulysses?«

      Der Dandy schaute auf sie herunter. Sie strahlte ihn mit einem beschwipsten Lächeln auf den gefärbten Lippen an. Seine anfängliche Verärgerung wegen ihres besitzergreifenden Auftretens verschwand, als er in ihre Augen blickte. Er dachte, er hätte etwas anderes jenseits des jeder Story nachjagenden Schmierfinks gespürt.

      »Meine Liebe«, sagte er. »Hätten Sie Lust, mit mir über die Promenade zu bummeln?«

      »Und ich dachte schon, Sie würden nie fragen.«

      Sie war eine Ablenkung, mehr nicht, sagte er sich selbst. Etwas, um ihn auf andere Gedanken zu bringen. Jemand, der seine Gedanken von der Frau ablenken könnte, welche diese in letzter Zeit dominierte, trotz der Tatsache, dass diese versucht hatte, ihn bei ihrem letzten Aufeinandertreffen zu töten.

      Während Ulysses Arm in Arm mit Glenda über die Promenade schlenderte, warf er einen Blick zum samtigen Nachthimmel hinauf, welcher hinter der verstärkten Glaskuppel lag. Diese sorgte dafür, dass sie den langsamen Tauchgang der Neptune in Richtung Pacifica mit der sicheren Gewissheit genießen konnten, dass die Atemluft drinnen und das Meer draußen bleiben würden.

      Das Promenadendeck der Neptune war ein Wunder moderner viktorianischer Konstrukteurskunst. Es zog sich nahezu zwei Drittel über die Länge des Schiffes beiderseits des massiven Schornsteins und über seine gesamte Breite bis hin zum Bug. Um eine gesamte Runde über die Promenade zu drehen, benötigte man ungefähr eine Dreiviertelstunde und hätte dabei eine Strecke von fast einem Kilometer zurückgelegt. Das umschließende Netzwerk aus Stahlträgern und Holzbalken, welches die Scheiben aus gehärtetem Glas an Ort und Stelle hielt, sowie der verstärkte Rumpf der Neptune, konnten einem enormen Druck von knapp über 1300 Kilogramm pro Quadratzentimeter aushalten. Dies bedeutete, dass der Unterwasserliner ganz bequem zu den tiefsten der Unterwasserstädte reisen konnte, deren Existenz der ständig wachsenden Weltbevölkerung geschuldet war.

      Hier draußen, inmitten des Pazifischen Ozeans und damit weit entfernt von den omnipräsenten Lichtern und der Verschmutzung der industrialisierten Zentren wie Londinium Maximum oder Paris, war das üppige Dunkelblau


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