GEFAHR IN DER TIEFE. Jonathan Green

GEFAHR IN DER TIEFE - Jonathan  Green


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      Kapitel 4

       Stadt unter dem Meer

      Eine Ansammlung verschwommener Bälle aus Licht war das Erste, was man von Pacifica in der abgrundtiefen Dunkelheit zu sehen bekam.

      Korkenzieher-Propeller wühlten die Dunkelheit hinter ihr auf, als die Neptune weiter vordrang. Das trübe Licht enthüllte nach und nach eine riesige Kuppel, welche mit weiteren kleineren Glaskonstruktionen verbunden war. Die Hauptkuppel der Unterwasserstadt war riesig. Ein gigantisches Bauwerk aus Stahl und Glas, sprießenden Antennen, Druckschleusen und Entlüftungsschleusen der kathedralengroßen Maschinen, welche die Lebenserhaltungssysteme der Stadt unterhielten.

      Beim Näherkommen wurde es für jeden an Bord der Neptune, der die Stadt noch nie zuvor gesehen hatte, offensichtlich, dass die geraden Linien und Ecken, welche zum Vorschein kamen, in der Form einer gewundenen Meeresschnecke gebaut waren. Der Überbau selber wirkte wie eine gigantische Version des erst vor kurzem rekonstruierten (und dann verheerend vernichteten) Crystal Palace. Die zentrale Kuppel der Stadt dominierte die Aussicht von den Plattformen am Bug des Unterwasserliners. Dabei war sie noch mehrere Kilometer entfernt.

      Schon aus dieser Entfernung konnte man sehen, dass die inneren Konstruktionen der Stadt ebenfalls einer Meeresschnecke ähnelten. Das Innere der Kuppel bestand aus einer Reihe von separat verschließbaren und unabhängigen Abteilen. Die verbundenen kleineren Kuppeln folgten diesem Muster. Sie waren Miniaturnachbildungen der Hauptkuppel. Durch diese architektonische Struktur wurde Stabilität und auch eine Extraportion Sicherheit gewährleistet. Sollte das Undenkbare geschehen und eine der Kuppeln unter dem Wasserdruck brechen, konnten die umgebenden Stadtteile hermetisch abgeriegelt werden.

      Die Neptune passierte einige der äußeren Kuppeln, in welchen Droiden-Sklaven Plantagen pflegten. Vor den Kuppeln waren unter Flutlicht rostrote krabbenartige Maschinenkonstruktionen damit beschäftigt, die Seetang-Felder abzuernten.

      Mittlerweile konnten die Passagiere der Neptune das offene Meer hinter den Aufbauten von Pacifica nicht mehr sehen. So riesig war die Stadtkuppel. Dies war wahrhaftig ein Erfolg. Ein Heiligenschrein der Menschheit, welcher von der Herrschaft über die Maschinen und die gesamte Welt zeugte.

      Die Passagiere, die an den vorderen Luftschleusen warteten, bekamen den imposantesten Blick auf die Stadt geboten, während die Neptune sanft in das reservierte Dock glitt. Die unzähligen Piers wuchsen wie Tentakel von Seeanemonen aus den Aufbauten der Stadt in die Tiefen des Ozeans. Zu diesen Passagieren gehörten auch Ulysses Quicksilver nebst weiblicher Begleitung in Gestalt von Miss Finch, welche nach wie vor an seinem Arm hing. Der Hausdiener des Dandys stand in respektvollem Abstand hinter ihnen. Er trug eine Tasche bei sich, welche Glenda erst kürzlich mit der Begründung, diese würde ihr beim Einkaufen helfen, erworben hatte. Er warf dem Paar vor sich einen missbilligenden Blick zu.

      Glenda Finch mochte vielleicht nicht die Art von Frau sein, welche Ulysses normalerweise als Begleiterin wählte, und sie würde mit Sicherheit niemals die Liebe seines Lebens werden, aber er würde nach seiner Vorstellung seinem Ruf mehr als gerecht werden, wenn er mit einer ledigen jungen Frau mit eigenem öffentlichen Profil eintraf. Je mehr ihn die Presse als berüchtigten geltungssüchtigen Frauenhelden darstellte, umso schneller würde die andere Seite seiner Persönlichkeit in Vergessenheit geraten: Die des Agenten der Krone von Magna Britannia, wo Spionage und Abenteuer nie weit weg waren.

      Glenda hatte sich für diesen Anlass ordentlich aufgedonnert, wie Ulysses zum wiederholten Male mit geschultem Auge feststellte. Beide hatten sich für ihren kleinen Ausflug in die Unterwasserstadt beeindruckend gekleidet. Er trug einen weißgrauen Leinenanzug mit magnoliafarbener Weste und spangrüner Krawatte. Sie ein wenig bescheiden aussehendes Kleid, welches sie in einer der vielen Boutiquen an Bord der Neptune erworben hatte. Es war ein Vasa-Original. Breit an den Schultern mit einem offenen Kragen, welcher in einen V-Ausschnitt überging. Es war engtailliert und offenbarte ihre schlanke Taille. An der Hüfte plusterte es sich auf, nur um an den Knöcheln wieder eng anzuliegen. Dieses Outfit betonte ihre klassische Sanduhr-Figur. Die beim Gehen lasziv rollenden Hüften ließen darauf schließen, dass sich Glenda Finch dessen sehr wohl bewusst war. Die Erkenntnis, dass sie heute selber für Schlagzeilen sorgen würde, anstatt diese zu schreiben, war ihr nicht entgangen.

      Es sah ganz danach aus, als würden die anderen Anwesenden neben Ulysses und seinem kleinen Gefolge – Passagiere und auch menschliche Crew-Mitglieder des Schiffes – den kleinen Landgang kaum erwarten können. Auch wenn dieser nur einen einzigen Tag dauerte. Die Automaten an Bord würden für die Aufrechterhaltung der Systeme des Unterwasserliners sorgen.

      Diese Gelegenheit durfte man sich einfach nicht entgehen lassen. Man betrat zwar nicht wirklich festen Boden, aber ein Spaziergang in den Parks und auf den Promenaden von Pacifica war trotzdem etwas anderes als ein Spaziergang auf einem sich stetig bewegenden Schiff. Es würde sie alle etwas Zeit kosten, bis sie sich an den festen Boden gewöhnt hätten, nachdem die letzten Tage einem zwar subtilen aber dennoch konstanten Schwanken an Bord des Schiffes geschuldet waren.

      Die Luftschleusen zischten aufgrund des Druckausgleichs und öffneten sich dampfend. Die ungeduldigsten Passagiere hasteten direkt auf die Unterwasser-Metropole zu. Nachdem sie sämtliche Sicherheitsmaßnahmen der Docks – Luftdruckschleusen und verschließbare Schotten – durchlaufen hatten, bremste die Landgänger nur noch die Zollabfertigung.

      Scharen von Pacificianern und anderen Besuchern belagerten die Straßen hinter der Zollabfertigung. Sie standen hinter schnell errichteten Barrikaden. Eine Blaskapelle in roten Uniformen, an denen polierte Goldknöpfe strahlten, trötete von irgendwo hinter dem Menschenauflauf hervor.

      Die Luft roch steril und recycelt. Das war sie ja schließlich auch. Aber dann erreichten andere, komplett im Gegensatz dazu stehende Gerüche Ulysses’ feine Nase. Von Pacifica wurde gesagt, dass sie ein weltoffenes Sammelsurium war. Menschen aus allen Ecken der Erde wurden hier mit ihren eigenen Kulturen, Diäten und Spezialitäten willkommen geheißen. Leisere Stimmen sagten außerdem, dass man in Pacifica wirklich alles bekommen könnte. Egal wie anspruchsvoll oder fordernd der Geschmack des Kunden auch sein möge.

      Lichtblitze und eine Reihe von Kameras begleiteten jeden Schritt der Landgänger, als diese von der Neptune ausschifften. Glenda war ganz aufgeregt, als sie ihr eigenes Gesicht auf den großen Bildschirmen über dem Jakobsmuschel-Platz erkannte. Die gleichen Bilder würden wahrscheinlich innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden auf dem Nachrichtenkanal der Magna Britannia Broadcasting Corporation weltweit übertragen werden. Die Jungfernfahrt der Neptune würde auch Wochen, nachdem diese Southampton verlassen hatte, für Schlagzeilen sorgen. Und seit dem Debakel um die regierungsbedrohenden Aktivitäten von Darwinian Dawn war Ulysses im gesamten Empire so etwas wie ein Prominenter. Die Menschen tuschelten und zeigten mit dem Finger auf ihn, sobald sie ihn sahen. Ein ganz Mutiger fragte nach einem Autogramm oder einem Foto, während die meisten einfach nur stehenblieben und ihn anstarrten, während er vorbeiging. Ulysses genoss jede einzelne Sekunde.

      Glenda genoss die Aufmerksamkeit ebenfalls. Vor den Kameras holte sie alles aus sich heraus. Das war viel besser, als hinter einer Babbage-Konsole festzusitzen und zu schreiben. Lediglich Nimrod schien Schmerzen zu leiden und die Aufmerksamkeit zu verfluchen. Zumindest trug er einen leidigen Gesichtsausdruck, welcher sich immer dann verschlimmerte, wenn er sich selbst auf den Bildschirmen entdeckte. Vielleicht war es ein Überbleibsel seiner vergeudeten Jugend. Der verzweifelte Versuch, keine Aufmerksamkeit zu erregen oder von jemandem erkannt zu werden.

      »Nimrod, altes Haus«, sagte Ulysses zu seinem Butler. »Warum nimmst du dir nicht ein bisschen Zeit für dich selbst? Mach ein paar Stunden frei. Ich bin mir sicher, dass ich mehr als imstande dazu bin, Miss Finch beim Tragen ihrer Einkäufe zu helfen.«

      »Sehr wohl, Sir«, erwiderte Nimrod, ohne auch nur einen Hauch von Protest. Die Spannung in seinem Gesicht ließ sichtlich nach. »Sie sind sicher, dass Sie ohne meine Hilfe auskommen?«

      »Ich glaube, Miss Finch möchte lediglich ein paar Boutiquen in der Innenstadt besuchen. Anschließend machen wir vielleicht einen kleinen Abstecher zu den Korallenparks«, erklärte


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