GEFAHR IN DER TIEFE. Jonathan Green

GEFAHR IN DER TIEFE - Jonathan  Green


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vor weiteren drei Klopfern. Der Rollladen ratterte nach oben und präsentierte Ulysses zwei asiatische Männer. Die beiden warfen argwöhnische Blicke die vermüllte Straße hinauf und hinunter, bevor sie Dr. Ogilvy einließen. Hinter ihm wurde der Rollladen wieder heruntergelassen.

      Zwei verdächtig aussehende Chinesen hatten ein heimliches Treffen mit dem angesehenen Dr. Ogilvy, dem Chefmediziner an Bord des führenden Unterwasserliners der Welt auf seiner Jungfernfahrt rund um die Welt? Selbst Inspector Allardyce von der Metropolitan Police Ihrer Majestät würde bemerken, dass hier irgendetwas vor sich ging, was man nicht unerforscht lassen durfte.

      Sicherstellend, dass die Luft rein war, schlich Ulysses nach vorne.

      Eine Erkenntnis flammte in seinem Kopf auf. Noch während er sich umdrehte, erschien eine geschmeidige Figur aus der Dunkelheit hinter ihm. In diesem Sekundenbruchteil realisierte Ulysses, dass er selber verfolgt worden war. Zu sehr damit beschäftigt, Dr. Ogilvy zu folgen, hatte er das nicht bemerkt. Dann flackerte sein sechster Sinn erneut auf, als ihn zwei stahlharte Hände von hinten ergriffen.

      Kapitel 5

       Unser Mann in Schanghai

      »Ich danke Ihnen, Mr. Quicksilver«, sagte der Chinese und reichte Ulysses dessen Ausweismäppchen zurück.

      Ulysses schnappte es sich und verstaute es in seiner Jacketttasche. »Nicht, dass ich wirklich eine Wahl hatte«, sagte er säuerlich und starrte den größeren der beiden Chinesen an. »Es scheint mir, dass Sie mich auf dem falschen Fuß erwischt haben, Mr …«

      Der lächelnde, sprachgewandte Mann griff Ulysses’ Faden nicht auf.

      »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen. Meine Hilfskraft handelte lediglich in meinem Auftrag.«

      Dieselbe Hilfskraft starrte Ulysses an. Sein Gesicht sah aus wie das eines seltsamen Neandertalers und zeigte keinerlei Emotionen. Unüblich für einen Chinesen war er größer als der Engländer – groß in jeder Hinsicht. Er war gebaut wie ein Löffelbagger, angefangen bei seiner Gorilla-Figur bis hin zu seinen riesigen Händen, welche wie fette fleischige Pranken aussahen.

      »Kann er nicht für sich selbst sprechen?«, versuchte Ulysses ihn herauszulocken. Aber das Gesicht des großen Chinesen blieb regungslos und er schwieg weiterhin.

      »Er spricht kein Englisch, Mr. Quicksilver.«

      »Verstehe. Ich glaube, ich sollte Ihnen für Ihre Sprachgewandtheit dankbar sein«, entgegnete Ulysses widerwillig und ergänzte mit gezwungener Höflichkeit: »Wenn Sie mir vergeben, wenn ich behaupte, dass Sie diese fast wie ein Einheimischer beherrschen.«

      »Ich danke Ihnen. Das ist mir eine Ehre.«

      »Ihre Betonung hört sich fast heimisch an.«

      »Hong Kong, nach Oxford. Ich hatte das Glück, drei lehrreiche Jahre am Boriel College verbringen zu dürfen. Mein Großvater war Britte.«

      »Ich verstehe. Aber Sie sind nach wie vor Ihren chinesischen Wurzeln verbunden.«

      »Mein Großvater war kein großer Freund des Empire.«

      »Welches aber auch sein Empire war?«

      »Er sah das anders.«

      »Wirklich? Das ist interessant.«

      »Aber nicht relevant. Es scheint mir, dass Sie selbst in Oxford waren, Mr. Quicksilver.«

      »Treffer«, gab Ulysses zu. »Ebenfalls am Boriel College. Ich vermute aber, vor Ihrer Zeit.«

      »Damit liegen Sie wahrscheinlich richtig. Wenn auch nur knapp, wie ich zugeben muss.«

      »So, nachdem wir nun wissen, dass wir die gleiche Schulhymne gesungen haben, da wir beide Oxford-Männer sind, alte Schulbünde und so weiter, glaube ich, dass Sie mir nun auch Ihren Namen nennen können.«

      »Natürlich. Ich heiße Harry Cheng, Agent des prächtigen imperialen Throns von China und dessen angeschlossener Kolonien«, sagte er und zeigte Ulysses seinen Ausweis. »Und das dort ist mein Kollege Mr. Sin.«

      »Warum überrascht mich das nicht wirklich?« Ulysses bezog sich auf die englische Bedeutung des Wortes Sin, was so viel wie Sünde heißt.

      Der Dandy warf einen Blick die Straße hinunter. Alle Arten von Cafés und Imbissen waren hier angesiedelt, fernab der besseren Restaurants und Hotels in der Hauptkuppel. Es gab türkische Lokale mit den dafür typischen draußen sitzenden und Wasserpfeife rauchenden Gästen. Desweiteren waren da Tavernen im mediterranen Stil als auch orientalische Fast-Food-Restaurants. Sie selbst saßen in einem italienischen Kaffeehaus.

      Ulysses konnte sich durchaus vorstellen, dass hier das wahre Leben tobte. Diese Straße mit seinen Cafés und Bars war ein Mikrokosmos allen Lebens in Pacifica. Ein klarer weltoffener Querschnitt der Stadtbevölkerung.

      Für einen Moment schloss er die Augen und nahm die unterschiedlichen Aromen der Straße in sich auf. Er fühlte die Hitze der Sonnenlampen auf seinem Gesicht. Das war einer der Vorteile des Lebens in einer Unterwasserstadt: Das Wetter war immer gut. Die künstlichen Lichtbögen, welche genau wie der Rest der Stadt geothermisch aus unterseeischen Vulkanen gespeist wurden, schafften über das gesamte Jahr genug Energie für die künstliche Sonne. Lediglich in der Nacht wurde es gedimmt.

      »Wenn wir dann zum eigentlichen Thema zurückkehren könnten«, sagte Cheng.

      »Ach ja, Sie meinen meine gewaltsame Entführung und wie Sie mich hierhin verschleppt haben? Warum war das nochmal?«

      »Wenn ich Sie zuerst fragen darf, Mr. Quicksilver, was Sie in der finstersten Ecke der Stadt zwischen den Lagerhäusern im Slumviertel zu suchen hatten?«

      »Das Gleiche könnte ich Sie fragen«, erwiderte Ulysses.

      Harry Cheng atmete tief ein und murmelte irgendetwas auf Chinesisch. Daraufhin zogen sich Mr. Sins Lippen zurück und er knurrte wie ein Mastiff. Ein weiteres Wort von Cheng beruhigte ihn wieder.

      »Und schon wieder erwischen Sie mich auf dem falschen Fuß«, bemerkte Ulysses arrogant. Er hatte schon mit Schlimmerem zu tun gehabt, als diesem Mr. Sin.

      »Mr. Quicksilver, wir können das Spiel den ganzen Tag fortsetzen. Ich versichere Ihnen, dass es im gegenseitigen Interesse ist, wenn wir offen und ehrlich zueinander sind.«

      »Mr. Cheng, Sie scheinen in einem Wolkenkuckucksheim zu leben, wenn Sie der Meinung sind, dass die Interessen eines Agenten des chinesischen Imperiums und denen eines treuen Dieners des gekrönten Oberhauptes von Magna Britannia in einer öffentlichen Zusammenarbeit liegen.«

      »Um Ihre Zustimmung und Kooperation zu erhalten, muss ich Ihnen anscheinend vorab etwas erklären.«

      »Versuchen Sie es.«

      Cheng lehnte sich über den Tisch nach vorne. Ulysses tat es ihm gleich.

      »Mr. Quicksilver, ich glaube, dass wir beide uns in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich sind. Wenn wir zusammenarbeiten würden, wären wir ein unschlagbares Team. Oder wir könnten tödliche Rivalen sein. Schlussendlich jedoch arbeiten wir auf das gleiche Ziel hinaus.«

      »Ich verstehe nicht ganz.«

      »Mehr als das. Wir arbeiten für die gleiche Seite.«

      Auf diese Enthüllung antwortete Ulysses mit dem Hochziehen einer Augenbraue.

      »Das ist eine kühne Behauptung. Sollte sie zutreffen: wie wollen Sie sie beweisen? Wo ist Ihr entsprechender Ausweis? Beweisen Sie mir, dass Sie ein Doppelagent sind.«

      »Bitte, Mr. Quicksilver«, zischte Cheng und blickte sich unruhig um. »Ich mag diese Bezeichnung gar nicht. Ich habe mit Ihnen etwas sehr persönliches und privates geteilt. Und im strengsten Vertrauen.«

      »Können Sie es denn beweisen?«, setzte Ulysses nach.

      »Ich kann Ihnen sagen, warum Sie die finsteren Ecken der Stadt erkundeten. Warum wir dort aufeinander


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