Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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ge­hör­te. Dann die Fe­li­ci­tas mit dem Loch im Strumpf und ih­rem son­der­ba­ren Be­neh­men dem Coif­feur­ge­hil­fen ge­gen­über. Her­nach der Maque­reau mit sei­ner Freun­din, der Kell­ne­rin.

      Mein Gott, die Men­schen wa­ren über­all gleich. In der Schweiz ver­steck­ten sie sich ein we­nig, wenn sie über die Schnur hau­en woll­ten, und so­lan­ge es nie­mand merk­te, schwie­gen die Mit­menschen. Und der Wen­de­lin Wit­schi, der im Ge­richts­me­di­zi­ni­schen In­sti­tut kon­ser­viert wur­de, war ein aus­ster­ben­der Cha­rak­ter.

      Gut und recht.

      Wa­rum nicht? Sol­che Aus­drücke ge­hö­ren zum Le­ben; die Leu­te, auf die sie an­ge­wandt wer­den, zot­teln wei­ter, nie­mand regt sich über ihre klei­ne­ren oder grö­ße­ren Sün­den auf, wenn nicht…

      Eben, wenn nicht ir­gend et­was Un­vor­her­ge­se­he­nes pas­siert. Ein Mord zum Bei­spiel. Zu ei­nem Mord ge­hört ein Schul­di­ger, wie der An­ken aufs Brot. Sonst re­kla­mie­ren die Leu­te. Und wenn dann der so­ge­nann­te Schul­di­ge ver­sucht, sich auf­zu­hän­gen und es kommt ein Fahn­der­wacht­meis­ter dazu, der einen har­ten Gring hat, dann kann es ge­sche­hen, dass alle die klei­nen Un­re­gel­mä­ßig­kei­ten, die im Le­ben je­des Men­schen vor­han­den sind, plötz­lich wich­tig wer­den; man ar­bei­tet dann mit ih­nen, wie ein Mau­rer mit Back­stei­nen – um ein Ge­bäu­de auf­zu­rich­ten… Ein Ge­bäu­de? Sa­gen wir vor­läu­fig: eine Wan­d…

      Am Wald­rand blieb Stu­der ste­hen, wisch­te sich die Stir­ne und schau­te übers Land. Auf ei­ner Te­le­gra­fen­stan­ge saß ein Mäu­se­bussard und ruh­te sich aus. Aber da kam eine Krä­he und be­gann den stil­len Vo­gel zu pla­gen. Der Bussard flog auf, die Krä­he folg­te ihm, und sie kra­hah­te dazu mit ei­ner un­an­ge­nehm hei­se­ren Stim­me. Der Bussard schwieg. Er flog im­mer hö­her, im­mer hö­her, warf sich dem Wind ent­ge­gen und be­weg­te kaum die Flü­gel. Die Krä­he folg­te. Sie woll­te ih­ren Krach ha­ben, sie ließ nicht lo­cker, im­mer wie­der stieß sie ge­gen den stil­len Vo­gel. Aber schließ­lich muss­te sie es auf­ge­ben. Der Bussard hat­te eine Höhe er­reicht, wo es der Krä­he un­ge­müt­lich wur­de. Kräch­zend ließ sie sich fal­len. Der Bussard flog einen voll­kom­me­nen Kreis und Stu­der be­nei­de­te ihn. Hier un­ten ent­kam man den Krä­hen nicht so mü­he­los.

      Er drang tiefer in den Wald ein. Und der Wald war sehr still…

      Wie weit war der Wacht­meis­ter ge­gan­gen? Über sei­nem Kop­fe spiel­te ein klei­ner Wind mit den Baum­wip­feln. Es rausch­te sanft.

      Und dann wur­de das küh­le Rau­schen plötz­lich von ei­nem an­de­ren Geräusch un­ter­bro­chen. Zwei­ge knack­ten, ein Stöh­nen war zu hö­ren – so als ob ein ver­wun­de­tes Tier sich müh­sam weiter­schlep­pen wür­de… Hin­ter ei­nem Ge­büsch fand Stu­der einen Mann, der auf dem Bauch lag und wim­mer­te. Die Rücken­naht sei­nes Rockes war auf­ge­ris­sen, das Haar zer­rauft, die Schu­he wa­ren ko­tig.

      Der Mann hat­te das Ge­sicht auf den Un­ter­arm ge­legt und wein­te in die Erde hin­ein.

      Ei­nen Au­gen­blick sah Stu­der ein an­de­res Bild: den Bur­schen Schlumpf, der die Au­gen in die Ell­bo­gen­beu­ge ge­presst hat­te…

      Dann klopf­te Stu­der dem Lie­gen­den auf die Schul­ter und frag­te:

      »Was ist los?«

      Der Mann dreh­te sich lang­sam auf den Rücken, blin­zel­te und schwieg. Stu­der er­kann­te den al­ten Cot­te­reau, den Ober­gärt­ner beim El­len­ber­ger…

      Aber als Stu­der noch ein­mal frag­te, was denn ei­gent­lich pas­siert sei, be­gann das Ge­wim­mer von neu­em. Jetzt wa­ren die Wor­te deut­lich zu ver­ste­hen:

      »Mein Gott! Mein Gott! Her­je­ses, ist das gut, dass end­lich ein Mensch kommt. Ver­re­cken könnt’ man in dem Wald. O je, o je! ganz trüm­me­lig ist mir, und so ha­ben sie mich ab­ge­schla­gen!…«

      Wer ihn denn ab­ge­schla­gen habe, woll­te Stu­der wis­sen. Da hör­te das Ge­jam­mer auf, das lin­ke Auge blin­zel­te ver­schmitzt – das an­de­re war blau un­ter­lau­fen und die ge­schwol­le­ne Haut ver­barg es fast ganz – und mit ganz ru­hi­ger Stim­me sag­te der Ober­gärt­ner Cot­te­reau:

      »Das tä­tet Ihr gern wis­sen, he? Aber von mir er­fahrt Ihr nichts. Es war, viel­leicht war es… Gar nichts war’s! Ei­gent­lich könn­tet Ihr mir auf­hel­fen und mich dann heim­füh­ren, bin oh­ne­hin ganz nass, die Nacht im Wald… Sie ha­ben mich zwar… Ja, der Meis­ter wird auf mich war­ten, hat er große Sor­ge ge­habt um mich?«

      »Er hat Euch durchs Ra­dio su­chen las­sen…«, sag­te Stu­der – da hock­te der Mann blitz­schnell auf, aber eine Gri­mas­se ver­zog sein Ge­sicht. Dann brei­te­te sich ein Aus­druck von Stolz dar­über aus:

      »Durchs Ra­dio?« frag­te er. Da­rauf be­wun­dernd: »Ja, der El­len­ber­ger!… Wie geht’s ihm, dem Meis­ter? Ist er schwer ver­letzt wor­den?«

      Stu­der schüt­tel­te den Kopf und mein­te streng, er wer­de ihn, den Cot­te­reau, lie­gen las­sen, wenn er nicht sa­gen wol­le, wer ihn über­fal­len habe.

      »Das könnt Ihr ma­chen, wie Ihr wollt, Herr Fahn­der«, sag­te der klei­ne di­cke Mann, zog einen Ta­schen­spie­gel her­vor, einen Kamm und be­gann sich zu sträh­len.

      »So, und jetzt könnt Ihr mich heim­füh­ren… Ihr seid oh­ne­hin schuld, dass sie mich so ab­ge­schwar­tet ha­ben. Aber der Cot­te­reau ist zäh, der sagt nichts, der weiß, was er sei­nem Meis­ter schul­dig ist…«

      Und nach ei­nem Schwei­gen:

      »Man wird alt«, sag­te der Klei­ne. »Man ist nicht mehr so rüs­tig wie frü­her. Schad, dass der Meis­ter ges­tern nicht mit­ge­kom­men ist, der hät­t’ die Bur­schen an­ders trak­tiert!«

      »Die Bur­schen?« frag­te Stu­der. »Wel­che Bur­schen?«

      »Hehe«, lach­te Cot­te­reau. »Das möch­tet Ihr gern wis­sen, Wacht­meis­ter. Aber ich sag nichts. Ich mach nicht mehr mit… Punk­t… Schluss… Ich mach nicht mehr mit!« Und er schüt­tel­te trotz der Schmer­zen, die er of­fen­bar ver­spür­te, ganz ener­gisch den Kopf.

      Stu­der bück­te sich. Cot­te­reau leg­te sei­nen Arm um die Schul­tern des Wacht­meis­ters, rich­te­te sich auf, stöh­nend, und be­gann dann lang­sam zu ge­hen. Stu­der stütz­te ihn.

      »Der Rücken!« klag­te der Di­cke. »Ge­schla­gen ha­ben sie! Und dazu im­mer ge­sagt: ›So!… ein Fahn­der von der Stadt will sich in un­se­re An­ge­le­gen­hei­ten mi­schen! Das ist nur‹, ha­ben sie ge­sagt, ›ei­ne klei­ne Pro­be, Cot­te­reau. Da­mit du’s Maul hältst. Ver­stan­den? Wir ha­ben un­sern Land­jä­ger. Wir brau­chen kei­nen Tschu­cker von der Stadt!‹ Ja, das ha­ben sie ge­sagt. Und von mir er­fährt nie­mand nichts. Ver­stan­den, Fahn­der? Ich bin still. Ich schwei­ge, ich schwei­ge, wie das Grab…« Dann mur­mel­te der alte Cot­te­reau noch ei­ni­ges, das nicht zu ver­ste­hen war…

      Wenn Stu­der ge­dacht hat­te, den gan­zen Vor­fall vom El­len­ber­ger er­klärt zu be­kom­men, so wur­de er ent­täuscht. El­len­ber­ger saß auf ei­nem Bänk­lein vor sei­nem Haus. Es war eine Art Vil­la, noch ziem­lich neu, ein Schup­pen stand hin­term Haus, die Fens­ter ei­nes Treib­hau­ses schim­mer­ten. Der El­len­ber­ger hat­te um den Kopf einen di­cken wei­ßen Ver­band.

      »So«, sag­te er tro­cken, »habt Ihr den Cot­te­reau ge­fun­den?


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