Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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sag­te El­len­ber­ger, und er mach­te ein sehr erns­tes Ge­sicht. »Es gibt Äp­fel und Äp­fel. Sol­che, die könnt Ihr vom Baum es­sen, sie sind reif, und an­de­re, die müsst Ihr ein­kel­lern, die wer­den erst im Hor­ner gut, oder im Mär­zen… Ab­war­ten, Wacht­meis­ter, bis der Ap­fel reif wird. Ge­duld ha­ben. Ver­stan­den?«

      Und mit die­ser Aus­kunft muss­te sich Stu­der zu­frie­den ge­ben. Nicht ein­mal mit dem Schrei­er und dem Bu­cheg­ger konn­te er die Be­kannt­schaft er­neu­ern. Sie ar­bei­te­ten noch, hieß es.

      Eine Baum­schu­le sei kein Staats­be­trieb, sag­te der El­len­ber­ger bis­sig. Am Sams­tagnach­mit­tag wer­de hier ge­schafft…

      Zimmer zu vermieten

      Schlumpf hat­te dem Wacht­meis­ter er­zählt, er habe bei ei­nem Ehe­paar ge­wohnt, das in der Bahn­hof­stra­ße ein Kor­be­rei­ge­schäft be­trie­ben habe. Hof­mann hät­ten die Leu­te ge­hei­ßen.

      Das Haus war nicht schwer zu fin­den. Auf dem Trot­toir, vor dem La­den, stan­den ge­floch­te­ne Blu­men­stän­der, die sich nach ei­nem Sa­lon und der ob­li­ga­ten Pal­me zu seh­nen schie­nen. Stu­der trat ein, eine Klin­gel schrill­te ge­dämpft in ei­nem hin­te­ren Zim­mer und dann be­trat eine Frau den La­den. Sie trug eine blau­ge­streif­te Är­mel­schür­ze, ihre Haa­re wa­ren grau und or­dent­lich fri­siert. Sie frag­te, was der Herr wol­le, und ihre Höf­lich­keit wirk­te an­ge­lernt.

      Er kom­me, sag­te Stu­der, um über den Schlumpf Er­win, der ja hier ge­wohnt habe, Aus­kunft ein­zu­zie­hen. Wacht­meis­ter Stu­der von der Kan­tons­po­li­zei. Man habe ihn mit der Ver­fol­gung des Fal­les be­traut, und er hät­te gern et­was über den Bur­schen er­fah­ren.

      Die Frau nick­te, ihr Ge­sicht wur­de trau­rig.

      Das sei eine heil­lo­se Ge­schich­te, mein­te sie. Der Wacht­meis­ter möge doch ein­tre­ten, sie sei al­lein, ihr Mann sei hau­sie­ren ge­gan­gen, ob der Wacht­meis­ter nicht ein we­nig in die Kü­che kom­men wol­le, sie habe ge­ra­de Kaf­fee ge­macht, er kön­ne auch eine Tas­se trin­ken, wenn er wol­le.

      Ganz un­ge­niert.

      Auf Kaf­fee hat­te Stu­der ge­ra­de Lust…

      Und er be­reu­te es nicht, denn der Kaf­fee war gut, kei­ne laue Brü­he wie im ›Bä­ren‹. Die Kü­che war klein, weiß, sehr sau­ber. Nur der Stuhl, auf dem Stu­der Platz ge­nom­men hat­te, war ein we­nig zu schmal…

      Stu­der be­gann vor­sich­tig zu fra­gen.

      – Ob der Schlumpf pünkt­lich ge­zahlt habe? – O ja, je­den Mo­nat, am letz­ten, wenn er Zahl­tag ge­habt hät­te, sei er ge­kom­men und habe 25 Fran­ken auf den Tisch ge­legt. – Und sei am Abend im­mer da­heim ge­blie­ben? – Das ers­te Jahr schon, aber seit färn sei er am Abend oft spät zu­rück­ge­kom­men. – Aha, mein­te Stu­der, eine Lieb­schaft?

      Frau Hof­mann lä­chel­te. Es war ein freund­li­ches, müt­ter­li­ches Lä­cheln. Stu­der freu­te sich im stil­len über die Frau. Sie nick­te.

      – Aber das Mäd­chen sei nie zum Schlumpf ins Zim­mer ge­kom­men? – Nie, nein. Sol­che Sa­chen wol­le sie nicht ha­ben. Nicht dass sie et­was dar­an fin­de, aber in ei­nem Dorf!… Der Wacht­meis­ter wer­de ver­ste­hen…

      Stu­der ver­stand. Es war an ihm zu ni­cken, und er nick­te über­zeugt. Er saß da in sei­ner Lieb­lings­hal­tung, die Schen­kel ge­spreizt, die Un­ter­ar­me auf den Schen­keln und die Hän­de ge­fal­tet. Sein ma­ge­rer Kopf war ge­senkt.

      – Das Mäd­chen sei auch nie ge­kom­men, um den Schlumpf ab­zu­ho­len? – Nein… Das heißt, wohl ein­mal… am Mitt­wo­cha­ben­d…

      »Um wel­che Zeit?«

      »Um halb sie­ben. Der Schlumpf ist ge­ra­de von der Ar­beit zu­rück­ge­kom­men, hat sich im Zim­mer ge­wa­schen… Er war ge­ra­de am Wa­schen, da ist das Meit­schi in den La­den ge­kom­men, ganz blass war sie, aber das hat mich wei­ter nicht ge­wun­dert, weil doch ihr Va­ter er­mor­det auf­ge­fun­den wor­den war… Sie hat ge­sagt, sie müs­se den Schlumpf spre­chen und ob ich ihn ru­fen wol­le. Er ist dann ge­kom­men, ich hab’ die bei­den in der Kü­che al­lein ge­las­sen, aber sie ha­ben kaum eine Mi­nu­te mit­ein­an­der ge­spro­chen. Dann ist das Meit­schi wie­der fort­ge­gan­gen. Und der Schlumpf ist erst nach Mit­ter­nacht heim­ge­kom­men…«

      »Das war am Mitt­woch, also am Abend nach der Ent­de­ckung des Mor­des, nicht wahr?«

      »Ja, Herr Wacht­meis­ter. Ich hab schlecht ge­schla­fen in der Nacht, um vier Uhr hab ich den Schlumpf ge­hört, wie er auf den So­cken die Trep­pe hin­un­ter­ge­schli­chen ist. Um sie­ben Uhr ist dann schon der Mur­mann ge­kom­men und hat den Schlumpf ver­haf­ten wol­len. Aber da war der Er­win schon for­t…«

      Der Er­win… Der Name klang zärt­lich im Mund der grau­en Frau. Zwei Jah­re hat­te der Er­win also bei den glei­chen Leu­ten ge­wohnt, er muss­te sich gut auf­ge­führt ha­ben, sonst hät­ten sie ihn wohl nicht so lan­ge be­hal­ten…

      »Und habt Ihr sein Vor­le­ben ge­kannt?«

      »Ach, Wacht­meis­ter«, sag­te Frau Hof­mann. »Er hat Un­glück ge­habt, der Er­win. Mein Va­ter hat im­mer ge­sagt: ›Rich­tet nicht, auf dass Ihr nicht ge­rich­tet wer­det‹. Nein, nein, ich geh’ nicht zu den Stün­de­lern, aber Ihr wisst ja, Wacht­meis­ter, wie es manch­mal ge­hen kann. Der Er­win hat uns in der zwei­ten Wo­che al­les er­zählt, von sei­nen Ein­brü­chen und von Thor­berg und von der Zwangs­er­zie­hungs­an­stal­t… Ein­mal hat ihn sei­ne Mut­ter be­sucht… Eine gute Frau… Der Er­win hat viel von sei­ner Mut­ter ge­hal­ten… Habt Ihr die Mut­ter ge­se­hen?«

      Stu­der nick­te. Er hör­te die alte, ru­hi­ge Stim­me, die frag­te: »Aber er darf noch z’Mor­gen neh­men?«

      Über der Kü­chen­tür schrill­te die Klin­gel. Es sei wohl je­mand im La­den, mein­te die Frau, stand auf, füll­te vor­sorg­lich Stu­ders Tas­se – mit Zu­cker und Milch sol­le er sich nur be­die­nen, mein­te sie –, und dann ging sie ihre Kun­den be­die­nen.

      Stu­der trank die Tas­se in klei­nen Schlücken leer, zog die Uhr: es war bald sechs. Er hat­te noch Zeit.

      Er spa­zier­te in der klei­nen Kü­che um­her, die Hän­de auf dem Rücken ver­schränkt, dach­te an nichts und schüt­tel­te nur von Zeit zu Zeit den Kopf, wenn ihn ir­gend­ein Ge­dan­ke be­läs­ti­gen woll­te. Zwei­mal, drei­mal kam er an dem wei­ßen Kü­chen­schaft vor­bei, ohne ihn rich­tig zu se­hen, bis er sich, bei ei­ner brüs­ken Kehrt­wen­dung, schmerz­haft an ei­ner Ecke stieß. Nun be­trach­te­te er erst das Mö­bel, auf­merk­sam und miss­bil­li­gend. Es war ein wei­ßer Kü­chen­schaft, un­ten breit, mit Holz­tü­ren; auf die­sem brei­ten un­te­ren Teil er­hob sich ein schmä­le­res Ge­stell mit Glas­fens­tern. Ein Sta­pel Tel­ler, da­ne­ben Tas­sen und Glä­ser, ei­ni­ge Bra­ten­schüs­seln. Auf dem obers­ten Brett la­gen alte Zei­tun­gen, or­dent­lich auf­ge­schich­tet und ne­ben ih­nen, durch­ein­an­der, al­tes Pack­pa­pier. Die Tü­ren wa­ren nur an­ge­lehnt. Stu­der starr­te auf den un­or­dent­li­chen Stoß Pack­pa­pier. Und da er sich lang­weil­te, nahm er das Pack­pa­pier her­aus – er pack­te es fest mit bei­den Hän­den, da­mit nicht ir­gend­ein klei­ne­res Blatt zu Bo­den flat­ter­te –, leg­te den Stoß auf den Tisch und be­gann es sorg­fäl­tig zu­sam­men­zu­le­gen.

      Als


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