Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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Kör­per zit­ter­te, die Schul­tern wa­ren weich. Stu­der seufz­te grund­los. »Komm, Meit­schi, kom­m…«

      Son­ja setz­te sich auf einen Stuhl. Ihre Arme la­gen lang aus­ge­streckt auf der Tisch­plat­te ne­ben dem Tel­ler mit dem An­ken, ne­ben dem Kam­m…

      Drau­ßen wur­de die Däm­me­rung dicht. Stu­der hat­te we­nig Zeit. Um halb acht Uhr soll­te er bei Mur­mann zum Nachtes­sen sein…

      Son­ja dau­er­te ihn. Er woll­te sie nicht aus­fra­gen… Ihr Va­ter war tot, ihr Liebs­ter saß in ei­ner Zel­le, tags­über ging sie nach Bern schaf­fen, ihr Bru­der ließ sich von ei­ner Kell­ne­rin Geld ge­ben, und ihre Mut­ter las im Bahn­hof­ki­osk Ro­ma­ne…

      »Der Er­win«, sag­te Stu­der sanft, »der Er­win hat mir ge­sagt, er las­se dich grü­ßen…«

      »Und glau­bet Ihr, dass er schul­dig ist?«

      Stu­der schüt­tel­te stumm den Kopf. Ei­nen Au­gen­blick lä­chel­te Son­ja, dann ka­men die Trä­nen wie­der.

      »Er wird’s nicht be­wei­sen kön­nen, dass er un­schul­dig ist…«, sag­te sie schluch­zend.

      »Hast du ihm das Geld ge­ge­ben?«

      Merk­wür­dig, wie ein Ge­sicht sich ver­än­dern konn­te!… Son­ja blick­te starr vor sich hin, zum Fens­ter hin­aus, in die Rich­tung, wo der alte, ver­fal­le­ne Schup­pen stand, des­sen Ein­gang ein schwar­zes Recht­eck war… Und schwieg.

      »Wa­rum hast du dem Ger­ber, dem Coif­feur, den Füll­fe­der­hal­ter ge­schenkt?«

      »Weil… weil… er et­was weiß…«

      »So, so«, sag­te Stu­der.

      Er hat­te sich an den Tisch ge­setzt, das Hocker­li war zu klein für sei­nen schwe­ren Kör­per, er fühl­te sich un­ge­müt­lich.

      »– Ob sie schon lan­ge in dem Hau­se wohn­ten? frag­te er. – Der Va­ter habe es bau­en las­sen mit dem Geld der Mut­ter, er­zähl­te Son­ja, und es schi­en, als sei sie froh, spre­chen zu kön­nen. Der Va­ter sei bei der Bahn ge­we­sen, als Kon­duk­teur, und dann habe die Mut­ter eine Erb­schaft ge­macht. Die Mut­ter stam­me von hier, aus Ger­zen­stein, der Va­ter sei aus dem See­land ge­we­sen. Die Mut­ter habe den La­den ein­ge­rich­tet und der Va­ter habe wei­ter auf der Bahn ge­schafft. Wäh­rend dem Krieg sei das Ge­schäft gut ge­gan­gen, es hät­te da­mals noch we­nig Lä­den ge­ge­ben in Ger­zen­stein. Da habe sich der Va­ter pen­sio­nie­ren las­sen. Viel­mehr, er sei ein­fach aus­ge­tre­ten und habe auf die Pen­si­on ver­zich­tet, weil er einen Herz­feh­ler ge­habt habe, und sie hät­ten ihm auf der Bahn Schwie­rig­kei­ten ge­macht. Ja, wäh­rend dem Krieg sei es gut ge­gan­gen. Der Ar­min habe spä­ter aufs Gym­na­si­um kön­nen nach Bern, nach­dem er hät­te stu­die­ren sol­len. Aber dann sei der große Bank­krach ge­kom­men und die El­tern hät­ten al­les ver­lo­ren. Und dann sei es aus ge­we­sen. Die Mut­ter sei häs­sig ge­wor­den und der Va­ter sei rei­sen ge­gan­gen. Aber er habe we­nig ver­dient. Und al­les sei so teu­er!… Die Mut­ter kön­ne nicht mit dem Geld wirt­schaf­ten, sie gebe im­mer al­les aus für Me­di­zi­nen und sol­ches Zeug. Der On­kel Äsch­ba­cher sei ein oder zwei­mal ein­ge­sprun­gen…«

      Die letz­ten Wor­te wa­ren sehr sto­ckend her­aus­ge­kom­men.

      »Was ist’s mit dem On­kel Äsch­ba­cher?« frag­te Stu­der.

      Schwei­gen…

      »Und doch bist du ihn ho­len ge­gan­gen, wie du mich hast zur Frau Hof­mann ge­hen se­hen?«

      Viel Qual drück­te das Ge­sicht aus. Stu­der hat­te Mit­leid. Er woll­te nicht wei­ter fra­gen. Nur ei­nes noch:

      »Wer ist der Leh­rer Schwomm?«

      Son­ja wur­de rot, hol­te Atem, woll­te spre­chen, die Stim­me ver­sag­te, sie hus­te­te, such­te nach ei­nem Ta­schen­tuch, wisch­te sich die Au­gen mit dem Han­drücken, stot­ter­te dann:

      »Er ist an der Se­kun­dar­schu­le, er ist Ge­mein­de­schrei­ber, auch Sek­ti­ons­chef, und den ge­misch­ten Chor lei­tet er auch…«

      »Dann hat er viel mit dem Ge­mein­de­prä­si­den­ten zu tun? Mit dem ›On­kel‹ Äsch­ba­cher?«

      Son­ja nick­te.

      »Leb wohl.« Stu­der streck­te ihr die Hand hin. »Und wein’ nicht. Es kommt schon bes­ser.«

      »Le­bet wohl, Wacht­meis­ter«, sag­te Son­ja und streck­te ihre klei­ne Hand aus. Die Nä­gel wa­ren sau­ber.

      Sie stand nicht auf und ließ Stu­der al­lein hin­aus­ge­hen. Im Haus­gang blieb Stu­der ste­hen und such­te nach sei­nem Schnupf­tuch, fand es nicht, er­in­ner­te sich, dass er es in der Kü­che ge­braucht hat­te, kehr­te an der Hau­stü­re um und be­trat, ohne an­zu­klop­fen, die Kü­che.

      Sie war leer. Die Tür zum an­de­ren Zim­mer war of­fen… Vor dem schwe­ren schwar­zen Büf­fet stand Son­ja. Sie hielt die Vase mit den Wachs­ro­sen und dem künst­li­chen Herbst­laub in der Hand und schi­en das Ge­wicht der Vase zu prü­fen. Ihre Au­gen wa­ren auf das Bild des Va­ters ge­rich­tet.

      Auf dem Bo­den ne­ben dem Kü­chen­tisch lag Stu­ders Nas­tuch.

      Stu­der ging lei­se zum Tisch, hob es auf, schlich zur Türe zu­rück:

      »Gut’ Nacht, Meit­schi«, sag­te er.

      Son­ja fuhr her­um, stell­te die Vase ab. Sie riss sich zu­sam­men:

      »Gut’ Nacht, Wacht­meis­ter…«

      Merk­wür­dig, ihr Blick er­in­ner­te Stu­der an den des Bur­schen Schlumpf: Er­stau­nen lag dar­in und viel ver­stock­te Verzweif­lung.

      Der Fall Wendelin Witschi zum zweiten

      Neh­met Platz, Stu­der«, sag­te Frau Mur­mann. Auf dem Tisch stand eine große Plat­te mit Auf­schnitt und Schin­ken, es gab Salat, und an der einen Ti­sche­cke, dicht ne­ben Mur­manns Platz, stan­den vier Fla­schen Bier.

      »Und, Stu­der, zie­het den Kit­tel ab«, mein­te Frau Mur­mann noch. Dann emp­fahl sie sich. Sie müs­se das Kind stil­len, sag­te sie.

      – Ob Stu­der et­was ge­fun­den habe, frag­te Mur­mann, ohne auf­zu­bli­cken. Er war da­mit be­schäf­tigt, ein Bü­schel Salat­blät­ter auf sei­ne Ga­bel zu spie­ßen. Dann kau­te er, an­däch­tig und ab­we­send.

      »Ich hab’ den Cot­te­reau ge­fun­den…«, sag­te Stu­der und be­äug­te prü­fend ein Stück saf­ti­gen Schin­kens.

      »So, so«, mein­te Mur­mann. »Al­ler­han­d…« Er leer­te sein Bier­glas auf einen Zug. Dann schwie­gen die bei­den.

      In ei­ner Ecke des Zim­mers stand ein bun­ter Bau­ern­schrank, des­sen Tü­ren Ro­sen­gir­lan­den um­rank­ten…

      Mur­mann trug die Tel­ler hin­aus. Dann setz­te er sich, zün­de­te sei­ne Pfei­fe an. »Also, er­zähl!…«

      Aber Stu­der schwieg. Er griff in die hin­te­re Ho­sen­ta­sche, zog die bei Frau Hof­mann ge­fun­de­ne Pis­to­le her­aus und leg­te sie auf den Tisch. Dann such­te er in der Rock­ta­sche, ließ die bei Wit­schis ge­fun­de­ne Pa­tro­nen­hül­se im Licht der Lam­pe glän­zen und frag­te schließ­lich:

      »Ge­hö­ren die bei­den zu­sam­men?«

      Mur­mann ver­tief­te


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