Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser


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auf dem Kol­ben zu fin­den, ob­wohl der Kol­ben ge­rippt war und die Ab­drücke si­cher nicht so klar wa­ren, dass man et­was mit ih­nen wür­de be­wei­sen kön­nen…

      Wie­der schrill­te die Klin­gel über der Kü­chen­tür kurz auf. Die Kun­den hat­ten wohl den La­den ver­las­sen. Frau Hof­mann wür­de gleich zu­rück­kom­men.

      »Ah bah«, sag­te Stu­der laut, nahm das zier­li­che schwar­ze Ding – und ganz kurz sah er das Loch, das dies Ding ge­macht hat­te, die Ein­schuss­öff­nung drei Fin­ger etwa vom rech­ten Ohr im Hin­ter­kopf des Wen­de­lin Wit­schi – dann steck­te Stu­der die Pis­to­le in sei­ne hin­te­re Ho­sen­ta­sche…

      Die Kü­chen­tür ging auf. Frau Hof­mann kam nicht al­lein zu­rück. Son­ja Wit­schi be­glei­te­te sie.

      Er habe ein we­nig Ord­nung ma­chen wol­len zum Dank für den Kaf­fee, sag­te Stu­der, aber das sei ja nicht mehr nö­tig. Er nahm den Stoß Pack­pa­pier, warf ihn auf das obe­re Brett des Kü­chen­schaf­tes und setz­te sich wie­der. Er schi­en das Mäd­chen gar nicht zu be­ach­ten.

      »Im Dorf wis­sen sie schon, dass Ihr die Un­ter­su­chung führt, Herr Wacht­meis­ter, und da hat die Son­ja mit Euch re­den wol­len«, sag­te Frau Hof­mann. Und zu dem Mäd­chen ge­wandt: – Es sol­le ab­ho­cken, Kaf­fee sei noch da…

      Stu­der sah das Mäd­chen an. Das klei­ne Ge­sicht mit der spit­zen Nase und den Som­mer­spros­sen an den Schlä­fen war bleich und sah ver­stört aus. Und im­mer wi­chen die Au­gen Stu­ders Blick aus. Die­se Au­gen blick­ten furcht­sam in der Kü­che um­her, wan­der­ten vom Tisch, auf dem das Pack­pa­pier ge­le­gen hat­te, zum Schaft, in dem der Sta­pel nun lag. Die Lip­pen press­ten sich auf­ein­an­der.

      Am liebs­ten wäre Stu­der auf­ge­stan­den, hät­te dem Mäd­chen die Haa­re ge­strei­chelt und es be­ru­higt, wie man einen zit­tern­den Hund be­ru­higt. Aber das ging nicht. Vi­el­leicht wuss­te das Mäd­chen et­was von der ver­steck­ten Pis­to­le? Hat­te der Schlumpf die Waf­fe ver­steckt und am Abend vor sei­ner Flucht dem Mäd­chen er­zählt, wo sie lag? Wa­rum war dann Son­ja nicht frü­her ge­kom­men, um sie bei­sei­te zu schaf­fen? Fra­gen, vie­le Fra­gen!… Stu­der seufz­te.

      Nun kam Son­ja auf ihn zu, sie schi­en ihn als den­je­ni­gen wie­der­zu­er­ken­nen, der im Zug die Be­mer­kung über Fe­li­ci­tas Rose ge­macht hat­te, denn sie wur­de rot, als sie Stu­der die Hand gab. Aber viel­leicht hat­te die Röte auch eine an­de­re Ur­sa­che. Die fried­li­che At­mo­sphä­re, die vor­her in der Kü­che ge­herrscht hat­te, war ge­stört. Es war eine Span­nung da, die nicht nur von der Ver­le­gen­heit (oder war es Angst?) der klei­nen Son­ja Wit­schi er­zeugt wur­de – nein, Stu­der schi­en es, als habe sich auch die Hal­tung Frau Hof­manns ver­än­dert.

      Das Schwei­gen, das über der klei­nen Kü­che lag, wur­de nur vom Ti­cken der Uhr un­ter­bro­chen, ei­ner wei­ßen Por­zel­lan­uhr mit blau­en Zif­fern. Und wäh­rend die­ses Schwei­gens wur­de Stu­ders op­ti­mis­ti­sche Stim­mung zer­nagt und lang­sam wuchs eine läh­men­de Mut­lo­sig­keit in ihm. Vi­el­leicht trug zum Wach­sen die­ser Mut­lo­sig­keit auch das un­ge­wohn­te Ge­wicht bei, das in sei­ner hin­te­ren Ho­sen­ta­sche las­te­te.

      – Es sei­en wohl noch an­de­re Kun­den da­ge­we­sen, mein­te Stu­der plötz­lich. – Nein, kei­ne Kun­den… Frau Hof­mann schüt­tel­te den Kopf. Zwei Her­ren sei­en da­ge­we­sen… – Zwei Her­ren? Wie sie ge­hei­ßen hät­ten? – Der Ge­mein­de­prä­si­dent und der Leh­rer Schwomm. – Was die Her­ren denn ge­wollt hät­ten?

      Frau Hof­mann schwieg ver­stockt. Stu­der blick­te auf Son­ja Wit­schi, die er bei sich Fe­li­ci­tas nann­te. Aber das Mäd­chen zuck­te nur die Ach­seln.

      – Ob sie mit den bei­den Her­ren ge­kom­men sei? frag­te Stu­der das Mäd­chen.– Es habe die bei­den ge­holt, als es den Wacht­meis­ter habe in den La­den ge­hen se­hen.

      Stu­der stand auf, kratz­te sich die Stir­ne – das wur­de ja im­mer kom­pli­zier­ter… Aus Frau Hof­mann war wohl nichts mehr zu ho­len… Aber viel­leicht aus dem Mäd­chen?…

      »Adieu, Frau Hof­mann«, sag­te Stu­der freund­lich. »Und du, komm ein­mal mit. Wir wol­len noch ein we­nig zu­sam­men re­den…«

      Es hat­te kei­nen Sinn, sich Schlumpfs Zim­mer an­zu­se­hen. Das war si­cher ge­putzt und ge­fegt wor­den und die Sa­chen, die Schlumpf ge­hört hat­ten, wa­ren ver­packt und la­gen ir­gend­wo…

      Als Stu­der aus dem Hau­se trat, wuss­te er, dass er mit die­ser An­sicht recht hat­te. Am grü­nen La­den ei­nes Fens­ters im obe­ren Stock bau­mel­te ein wei­ßes Kar­ton­stück.

      Da­rauf stand in un­ge­schick­ter Schrift ge­schrie­ben:

      ›Zim­mer zu ver­mie­ten.‹

      Der Wacht­meis­ter wand­te sich noch ein­mal an Frau Hof­mann, zeig­te auf die An­kün­di­gung und frag­te, ob sich schon Mie­ter ge­mel­det hät­ten.

      Frau Hof­mann nick­te.

      – Wer denn?

      Frau Hof­mann zö­ger­te mit der Ant­wort, doch schi­en ihr die Fra­ge nicht ge­fähr­lich. Und sie sag­te:

      »Der Leh­rer Schwomm hät­t’ das Zim­mer gern ge­habt für einen Ver­wand­ten, der einen Mo­nat zu ihm kom­men will. Dann ist der Ger­ber vor­bei­ge­kom­men, der ist beim Coif­feur als Ge­hil­fe… ja, das wä­ren alle.«

      »Und Ihr habt die bei­den in die Kü­che ge­führt und ih­nen Kaf­fee an­ge­bo­ten?«

      Frau Hof­mann wur­de rot, sie rieb sich ver­le­gen die Hän­de: »Wenn man den gan­zen Tag al­lein ist, wisst Ihr…«

      Stu­der nick­te, lüpf­te den Hut und ging mit lan­gen Schrit­ten da­von. An sei­ner Sei­te trip­pel­te Son­ja Wit­schi. Ihre Ab­sät­ze klap­per­ten auf dem As­phalt. Aber sie hat­te die St­rümp­fe ge­wech­selt. We­nigs­tens war über der Fer­se des rech­ten Schu­hes kein Loch mehr zu se­hen…

      Interieur der Familie Witschi

      Das Haus stand ab­seits auf ei­ner An­hö­he, in­mit­ten ei­ner klei­nen Wohn­ko­lo­nie, aber es war äl­ter als die Bau­ten, die es um­ga­ben. Die La­den­tü­re war ne­ben der Ein­gang­stü­re, links; da­ne­ben lag eine Art of­fe­ner Ve­ran­da, an de­ren Hin­ter­wand sich ein ge­mal­ter See vor Schnee­ber­gen aus­brei­te­te, und die Schnee­ber­ge wa­ren rosa, wie wäs­se­ri­ges Him­beereis. Über der Türe prang­te in ver­schnör­kel­ter Schrift der Spruch:

       Grüß Gott, tritt ein, bring Glück her­ein!

      Un­ter den Fens­tern des ers­ten Stockes in blau­er Far­be der Name des Hau­ses:

      Al­pen­ruh

      Über dem Schau­fens­ter des La­dens, in dem bun­te Mag­gi­pla­ka­te ver­blass­ten, ein Schild, das eben­falls ver­wit­tert war:

      W. Wit­schi-Misch­ler, Le­bens­mit­tel­hand­lung.

      Der Gar­ten war ver­lot­tert, ho­hes Un­kraut stand zwi­schen den Erb­sen, die nicht auf­ge­bun­den wa­ren. An ei­ner Hau­se­cke lehn­te ein ver­ros­te­ter Re­chen.

      Auf dem gan­zen Weg hat­te Stu­der ge­schwie­gen und ge­war­tet, ob das Mäd­chen be­gin­nen wür­de zu spre­chen. Aber auch Son­ja hat­te ge­schwie­gen. Nur ein­mal hat­te sie schüch­tern


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